"Wertorientierte Arbeitskultur"
personalmagazin: Bosch verändert wahrnehmbar seine Unternehmenskultur: Ergebnis- statt Präsenzkultur, die Mitarbeiter können während der Arbeit soziale Medien nutzen. Orientieren Sie sich bei der Veränderung an den Unternehmen im Silicon Valley?
Christoph Kübel: Bei Bosch nutzen wir Impulse von außen, orientieren uns aber an unseren Werten, unserem Auftrag und an unserem Leitmotiv "Technik fürs Leben". Als internationales Technologie- und Dienstleistungsunternehmen leben wir von der Kreativität und dem Know-how unserer hochqualifizierten Mitarbeiter. Wir wollen mit unseren Produkten und Dienstleistungen die Lebensqualität der Menschen verbessern und helfen, natürliche Ressourcen zu schonen. Unsere Arbeitskultur ist ein wichtiger Impulsgeber für diese Innovationskraft. Deshalb entwickeln wir die Arbeitskultur ständig weiter. Unsere Personalstrategie schafft dafür die Rahmenbedingungen. Übrigens, auch an unseren Standorten im Silicon Valley.
personalmagazin: Sie wollen in diesem Jahr 12.000 Akademiker einstellen. Auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren Sie aber mit Google und Co. Was sagen Sie Bewerbern, warum sie zu Bosch kommen sollen?
Kübel: Bosch ist heute schon ein Softwareunternehmen. Wir beschäftigen 45.000 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung, ein Drittel davon arbeitet bereits im Software- und IT-Umfeld. 3.000 Spezialisten arbeiten an Lösungen für das Internet der Dinge. Von unseren geplanten Neueinstellungen entfallen rund 30 Prozent auf Fachkräfte mit Softwarekompetenz. Auf dem Arbeitsmarkt haben wir einiges anzubieten. Wir sind ein finanziell unabhängiges Unternehmen und können langfristige Strategien umsetzen. Wir bieten Menschen sinnstiftende Aufgaben und die Chance, an der Gestaltung der vernetzten Welt mitzuarbeiten. Und unsere Mitarbeiter finden Freiraum für Kreativität und auch Start-up-ähnliche Strukturen.
personalmagazin: Wenn Sie den Unterschied zum Silicon Valley in einem Satz darstellen müssten, was antworten Sie?
Kübel: Bei Bosch finden Sie auch die Start-up-Mentalität, aber in Sachen Beruf und Privatleben legen wir großen Wert auf eine gute Vereinbarkeit. Wir wollen nicht, dass unsere Mitarbeiter ihr Privatleben am Arbeitsplatz verbringen. Sie sollen bewusst auch abschalten können und nach Hause gehen. Das entspricht unseren Wertvorstellungen.
personalmagazin: Im Silicon Valley wird von disruptiven Veränderungen geredet, die auf etablierte Märkte und Unternehmen zukommen. Bringt die Digitalisierung auch eine radikale Veränderung für das Unternehmen Bosch mit sich?
Kübel: Nein, ich sehe die Veränderungen als einen evolutionären Prozess. Wir sind vielmehr ein Gestalter des Wandels. Bosch ist als Technologieführer in etablierten und neuen Märkten erfolgreich. Unsere innovative Arbeitskultur und unsere Mitarbeiter sind die Basis, Produkte für die künftig vernetzte Welt zu schaffen.
personalmagazin: Der Arbeitsdirektor von Volkswagen rechnet damit, dass durch die Digitalisierung jeder zweite Arbeitsplatz in den Fabriken wegfällt. Gibt es solche Szenarien auch für Ihre Fabriken?
Kübel: Wir sehen in der vernetzten Produktion eine große Chance, weil wir eine Doppelstrategie verfolgen. Bosch ist nicht nur Leitanwender, sondern auch Leitanbieter. Einerseits entwickeln und vermarkten wir Industrieausrüstung für vernetzte Fabriken. Andererseits setzen wir diese Technologien weltweit in unseren Werken ein. Als Arbeitgeber haben wir damit einen Wettbewerbsvorteil und nutzen die Erfahrungen für unsere Personalarbeit. Die menschenleere Fabrik bleibt aber eine Illusion. Es geht für uns darum, die Wettbewerbsfähigkeit durch die vernetzte Produktion zu steigern. Kürzlich wurde etwa unser Homburger Werk mit einem Preis ausgezeichnet. Wir konnten dort mit "Industrie 4.0" die Montagevorräte um 30 Prozent reduzieren und die Produktivität um 10 Prozent steigern. Mit unseren Arbeitnehmervertretern arbeiten wir eng zusammen, um solche Erkenntnisse zu nutzen und die künftige Arbeitswelt gemeinsam zu gestalten.
personalmagazin: Was zeichnet Ihre innovative Arbeitskultur aus?
Kübel: Die Grundlage ist unsere werteorientierte Führungskultur. Wir leben keine Präsenz-, sondern eine Ergebniskultur. Dazu bieten wir über 100 verschiedene Arbeitszeitmodelle an, damit die Mitarbeiter Beruf und Privates vereinbaren können. Unsere Diversity-Strategie wertschätzt Unterschiede in Alter, Nationalität und Geschlecht. Dazu kommt die Vernetzung der Mitarbeiter. Wir kommunizieren nicht mehr allein über Hierarchien, sondern setzen bei der Zusammenarbeit verstärkt auf soziale Netzwerke. Wir haben in Renningen einen neuen Forschungscampus für 1.700 Mitarbeiter gebaut, sie vernetzen sich nach außen mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen weltweit. Agile Organisationsmodelle ergänzen die Linienorganisation. Alles zusammen schafft eine Arbeitskultur, die jährlich tausende Patente und neue Produkte hervorbringt.
personalmagazin: Das Projekt Enterprise 2.0, mit dem Sie neue Formen der Zusammenarbeit fördern, hat Bosch auf Youtube vorgestellt. Welche Rolle spielt bei solchen Zukunftsprojekten HR?
Kübel: Ziel des Projektes ist es, Bosch zu einem hochvernetzten Unternehmen zu entwickeln. Unser Personalbereich versteht sich als Business Partner, der dazu entscheidende Impulse zur Gestaltung der Führungs- und Arbeitskultur liefert. Speziell bei Fragen der Führung und Zusammenarbeit begleiten viele Mitarbeiter aus dem Personalbereich das Projekt.
personalmagazin: Agile Organisationskonzepte gelten als zukunftsweisend, scheitern aber häufig in der Umsetzung. Wie sieht das bei Bosch aus?
Kübel: Das ist ein wichtiger Punkt. Deshalb unterstützt der Personalbereich die Umsetzung bei uns sehr eng. Ein Beispiel: Wir wollten die Akzeptanz von flexiblen Arbeitsmodellen erhöhen. Dazu haben wir vor drei Jahren das Veränderungsprojekt MORE, das steht für "Mindset Organization Executives", gestartet, um Führungskräften zu ermöglichen, eigene Erfahrungen in Sachen Führen in Teilzeit oder Arbeiten im Homeoffice zu sammeln. Vorbehalte sollten abgebaut werden, sie sollten flexibles Arbeiten selbst erleben. Weltweit haben schon mehr als 1.000 Führungskräfte teilgenommen, gut 80 Prozent behalten im Anschluss ihr neues Arbeitsmodell bei.
personalmagazin: Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf den Personalbereich selbst?
Kübel: Für die Mitarbeiter der Personalabteilung bleibt der persönliche Kontakt zu den Führungskräften und Mitarbeitern ein wichtiger Erfolgsfaktor. Gleichwohl vereinheitlichen auch wir weltweit unsere Personalprozesse und setzen auf IT-Systeme. Beispielsweise lassen sich Mitarbeitergespräche, das Kompetenzmanagement, also etwa das Planen von Weiterbildungen, aber auch die Personalakte bei uns online abbilden. Das bietet mehr Komfort. Wir wollten damit ursprünglich in 21 Ländern starten, doch letztlich haben es rund 70 Länder eingeführt. Die Nachfrage nach digitalisierten Arbeitsabläufen war größer als zunächst erwartet. Das zeigt, wie sich die Personalarbeit in der digitalen Welt ändert und wie positiv unsere Mitarbeiter dieser Veränderung gegenüberstehen.
personalmagazin: Kritiker werfen HR vor, die Digitalisierung zu verschlafen und deshalb an Bedeutung zu verlieren. Wie ist Ihre Einschätzung?
Kübel: Bei Bosch kann ich keinen Bedeutungsverlust erkennen. Die Rolle des Personalwesens bei Bosch war, ist und wird auch in der Zukunft stark bleiben. In jeder Geschäftsführersitzung stehen Personalthemen auf der Tagesordnung. Die Personalarbeit ist Teil des Geschäfts. Sie hat für die Gestaltung der Zukunft eine große Bedeutung.
personalmagazin: Sie selbst haben viele Jahre in der Linie gearbeitet und waren für Geschäftsbereiche verantwortlich. Braucht man Erfahrung in der Linie, um gute Personalarbeit zu machen?
Kübel: Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass jeder Wechsel den Blick weitet. Bei Bosch gibt es grundsätzlich Karrierebausteine, die solche Wechsel gezielt vorsehen. Wir sind überzeugt, dass jeder Mitarbeiter, der Karriere machen will, nicht nur in einem Fachgebiet Erfahrungen sammeln soll. Das gilt sowohl für die Führungs-, Projekt- wie auch die Fachkarriere. Zudem empfehlen wir, Station im Ausland zu machen.
personalmagazin: Was hat Sie persönlich gereizt, von der Business-Verantwortung in den Personalbereich zu wechseln?
Kübel: Für mich ist der Reiz der Personalarbeit, mit Menschen zu arbeiten. Ich will ein Beispiel nennen: Wir geben unseren Mitarbeitern die Möglichkeit, sich innerhalb des Unternehmens weiterzuentwickeln. Vier unserer aktuellen Geschäftsführer sind als Trainees bei Bosch eingestiegen und haben es bis in die Geschäftsführung geschafft. Der Personalbereich ist dafür verantwortlich, dass wir die richtigen Frauen und Männer einstellen, an Bosch binden und weiter qualifizieren – und zwar auf allen Ebenen. Das ist eine entscheidende Zukunftsaufgabe. Denn unsere Mitarbeiter schaffen letztendlich die Technik fürs Leben unserer Kunden.
Christoph Kübel ist Arbeitsdirektor der Robert Bosch GmbH.
Das Interview ist im Personalmagazin Ausgabe 7/2015 erschienen. Die vollständige Ausgabe können Sie sich hier als App herunterladen.
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