Talent Management sollte auch Chefsache sein
Fast zwanzig Jahre sind vergangen, seit einige Unternehmensberater kurz vor der Jahrtausendwende den "War for Talent" über das Sprachrohr der "McKinsey Quarterly" proklamierten. Doch aktuell ist das Thema "Talent Management" wie eh und je, wie die deutsche Studie des "Cranfield Network on International Human Resource Management" (kurz: "Cranet") 2015/2016 zeigt. (Weitere Auswertungen aus der aktuellen Cranet-Studie finden Sie in der Titelstrecke von Personalmagazin 02/2017. Hier können Sie die Ausgabe als App herunterladen.)
Digitalisierung nicht als große HR-Herausforderung gewertet
Nach den drei größten Herausforderungen für das Personalmanagement in den nächsten drei Jahren gefragt, wurden von den befragten Personalmanagern am häufigsten zwei Phänomene genannt, die nicht ganz unabhängig voneinander sind: Der Fachkräftemangel (33 Prozent) und der demografische Wandel (28 Prozent). Zum Vergleich: Im Megatrend "Digitalisierung" sehen gerade einmal neun Prozent eine Herausforderung für das Personalmanagement. (Mehr dazu lesen Sie im Interview mit Cranet-Repräsentant Rüdiger Kabst in Personalmagazin Ausgabe 02/2017. Hier gelangen Sie zur App.)
Für die genannten Herausforderungen fühlen sich viele der befragten Personalmanager gut aufgestellt: 46 Prozent gaben an, das Personalmanagement in ihrem Unternehmen sei in hohem oder sehr hohem Maße für den demografischen Wandel gerüstet. Demgegenüber stehen nur zwölf Prozent, die das Personalmanagement in ihrem Unternehmen (gar) nicht für den demografischen Wandel gewappnet sehen. Allerdings: Für 42 Prozent der Unternehmen gilt dies nur teilweise – nicht wenige schauen also vermutlich mit etwas mulmigem Gefühl in die Zukunft.
Talent Management: Was konkret gemacht wird
Wie die Cranet-Studie 2015/2016 zeigt, setzen 60 Prozent der Unternehmen dem Fachkräftemangel Talent Management entgegen. Um Raum für organisationsspezifische Talentdefinitionen zu lassen, wurden die Befragten instruiert, dass mit Talent Management alle Aktivitäten gemeint sind, die auf die Attraktion, Entwicklung, den Einsatz, und den Erhalt von Talenten abzielen.
Die meisten Unternehmen, die Talent Management betreiben (75 Prozent), bauen dabei auf High-Potential-Programme, folgen also einem exklusiven Ansatz, der typischerweise nur einen kleinen Teil der Belegschaft adressiert. Fast alle Unternehmen aus dieser Gruppe setzen bei der Karriereentwicklung zudem auf Spezialaufgaben (98 Prozent), Networking (90 Prozent), Coaching (88 Prozent), und Mentoring (81 Prozent). Das sind zwar nicht notwendigerweise Talent-Management-spezifische Maßnahmen – Unternehmen, die Talent Management betreiben, setzen diese jedoch signifikant häufiger ein als andere Unternehmen.
Wo Talent Management Chefsache ist, zählt nicht nur die Leistung
Aber auch sonst stellt sich weniger die Frage, welche Praktiken im Talent Management angewandt werden, sondern vielmehr, in welchem Maße. Das heißt vor allem, inwiefern das Top-Management an der Umsetzung von Talent Management beteiligt ist: Wenn Top-Management-Support in HR-Angelegenheiten bereits im Allgemeinen nützlich ist, um HR-Praktiken so wie vom Personalmanagement intendiert implementieren zu können, so ist Top-Management-Support für Talent Management unerlässlich.
Talente zu fördern und im Unternehmen zu halten sollte Chefsache sein – und ist es auch in den meisten Unternehmen, insbesondere in den Unternehmen, in denen HR als Quelle von Wettbewerbsvorteilen allgemein anerkannt sind. So gaben 80 Prozent der Befragten an, dass das Top-Management in ihrem Unternehmen in hohem oder sehr hohem Maße in die Umsetzung von Talent Management involviert sei.
Und das hat Auswirkungen – auf alle weiteren Dimensionen, die für das Talent Management basierend auf einem exklusiven Ansatz wichtig sind. Unternehmen, in denen das Top-Management aktiv in die Umsetzung von Talent Management involviert ist, geben mehr, um Talente im Unternehmen zu halten und knüpfen Beförderungen, die Entlohnung, und Investments in die Entwicklung von Mitarbeitern stärker an deren Potenzial (und nicht nur an deren Leistung auf der aktuellen Position).
Leistung versus Potenzial: Warum Leistung allein nicht ausreicht
Die bisherige Leistung ist zwar noch immer der beste (verfügbare) Faktor, um künftige Leistung vorauszusagen. Allerdings gilt dies nur in eng gefassten Grenzen, weil diese sich etwa auch aus der Zusammenarbeit mit bestimmten Personen aus dem bisherigen Team oder Abteilung ergeben.
So hat eine Harvard-Studie zur Leistung von Star-Analysten der Wall Street vor und nach Arbeitgeberwechseln gezeigt, dass diese meist an ihre früheren Leistungen nicht anknüpfen können. Die Ursachen sind denkbar einfach: Ihre herausragende Leistung hatten sie dem guten Zusammenspiel mit ihren früheren Kollegen und firmenspezifischen Ressourcen zu verdanken – Faktoren, die auch bei internen Jobwechseln eine Rolle spielen können.
Dementsprechend kommt der Einschätzung des Potenzials eines Mitarbeiters für das Talent Management eine weitaus größere Rolle zu als der Leistungsbeurteilung – die für sich genommen bereits problematisch ist, etwa durch Wahrnehmungsverzerrungen des Vorgesetzten. Wie bei der Leistungsbeurteilung kommt es darauf an, ob und inwiefern Konsequenzen aus der Einschätzung des Potenzials gezogen werden. Ohne das eine ist das andere schließlich nichts wert.
Potenzial entscheidet über Beförderung – aber nicht über Vergütung
Bei Beförderungen ist dies üblicherweise gegeben: Die meisten Befragten gaben an, dass das Potenzial eines Mitarbeiters (gegenüber der Leistung auf der aktuellen Position) in hohem (49 Prozent) oder in sehr hohem (31 Prozent) Maße entscheidend für Beförderungen in ihrem Unternehmen ist. Ähnlich verhält es sich mit Investitionen in die Entwicklung von Mitarbeitern, die in 22 Prozent beziehungsweise 55 Prozent der Unternehmen in sehr hohem oder hohem Maße am eingeschätzten Potenzial ausgerichtet werden – insbesondere dann, wenn der Weiterbildungsbedarf systematisch überprüft wird und das Unternehmen über eine HR-Strategie verfügt.
Bei der Entlohnung hingegen stehen vermutlich (zu) starre Vergütungsstrukturen im Wege: Die Mehrheit der Befragten stimmte der Aussage, dass sich in ihrem Unternehmen die Entlohnung nicht nur an der individuellen Leistung, sondern auch dem Potenzial eines Mitarbeiters ausrichte, (überhaupt) nicht (33 Prozent) oder nur teilweise (28 Prozent) zu. Nur acht Prozent konnten dieser Aussage voll und ganz zustimmen. In dieser Hinsicht besteht also noch in vielen Unternehmen Verbesserungsbedarf.
Talent Management: Nichts weiter als eine Management-Mode?
Es darf nicht verschwiegen werden, dass Talent Management alle Kriterien für die Etikette "Management-Mode" erfüllt: Das Konzept ist einerseits rational, da es wertgeschätzte Ziele wie hochproduktive, talentierte Mitarbeiter im Unternehmen zu halten adressiert, und progressiv, da es ein innovatives Konzept ist. Andererseits fehlt es an Klarheit und Konsens über die Definition von Talent Management genauso wie über die Frage, was Talente ausmacht.
Demnach ist es nicht verwunderlich, dass Unternehmen, die sich in HR an Best Practices aus ihrer Branche orientieren, auch häufiger Talent Management betreiben. Allerdings ist der Umsetzungsgrad von Talent Management in diesen Unternehmen auch höher als in Unternehmen, die sich weniger an solchen Best Practices orientieren.
Demografie und Fachkräftemangel: mit Talent Management gut gerüstet
Auch wenn es grundsätzlich in statistischer Hinsicht schwierig ist, einen Zusammenhang zwischen Management-Praktiken und der Leistung von Unternehmen zu identifizieren, so lässt sich immerhin konstatieren, dass ein Zusammenhang zwischen Talent Management und der Einschätzung, inwiefern die Befragten das Personalmanagement in ihrem Unternehmen für den demografischen Wandel – und damit dem zunehmenden Fachkräftemangel – gerüstet sehen, besteht.
Dieser Befund bleibt auch dann bestehen, wenn Unterschiede hinsichtlich Organisationsmerkmalen wie der Firmengröße, dem Sektor, der Existenz einer Unternehmens- und HR-Strategie berücksichtigt werden.
Offenbar ist Talent Management eben doch mehr als nur eine kurzlebige Management-Mode.
Autoren:
Benjamin Krebs ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl International Business der Universität Paderborn.
Prof. Dr. Rüdiger Kabst ist Lehrstuhlinhaber an der Universität Paderborn und deutscher Repräsentant von Cranet.
Alles News zum Thema Talent Management finden Sie auf unserer Themenseite.
Zum Weiterlesen:
Mehr zur aktuellen Cranet-Studie lesen Sie im Personalmagazin, Ausgabe 02/2017. (Hier können Sie die Ausgabe als App lesen.) Darin erläutern die Autoren Marius Wehner, Rüdiger Kabst, Matthias Meifert und Benjamin Krebs,
- wie es im internationalen Vergleich um die strategische Einbindung von deutschen Personalern bestellt ist (Eine Zusammenfassung des Beitrags finden Sie hier.)
- wie deutsche Unternehmen mit ihren Diversity-Maßnahmen im internationalen Vergleich da stehen
- wie weit Demokratie und Partizipation global schon verbreitet sind
- welche für Cranet-Repräsentant Rüdiger Kabst die Highlights der Cranet-Studie 2015/2016 sind.
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