"Deutsche Vorstandsgehälter sind kaum noch vergleichbar"
Personalmagazin: Frau Siepmann, im Vorjahr hatten laut Ihrer Analyse die Personalvorstände von VW und Deutsche Bank beim Gehalt die Nase vorn. Das Durchschnittsgehalt der CHROs lag bei 2,23 Millionen Euro. Wer sind nun die Topverdiener unter den Dax-CHROs?
Regine Siepmann: Das lässt sich nicht mehr so leicht beantworten – aus diversen Gründen. Zum einen hat die Deutsche Börse die Zusammensetzung des Index verändert. Wir haben nun einen Dax40 statt wie bisher Dax30. Es sind also zehn Gesellschaften hinzugekommen. Dadurch sind die Durchschnittswerte der Vorstandsvergütung nicht mit dem Vorjahr vergleichbar. Zudem gibt es neue aktienrechtliche Vorgaben an die Veröffentlichung, den sogenannten Ausweis der Vorstandsvergütung (ARUG II, siehe unten). All das führt zu unterschiedlichen Berichtsgrundlagen für die Bestimmung der Vorstandsgehälter.
CHROs verdienen weniger als die übrigen Vorstände
Personalmagazin: Das heißt, es ist weder ein Vergleich zum Vorjahr noch zwischen Unternehmen möglich. Wie sieht es mit dem Vergleich innerhalb eines Unternehmens aus? Zuletzt hatten die CHROs unter den Vorständen am wenigsten verdient.
Siepmann: Auch für das Geschäftsjahr 2021 zeigt sich, dass den CHROs mehrheitlich weniger Vergütung zugeflossen ist als ihren Vorstandskolleginnen und -kollegen. Häufig liegt das an ihrer noch kurzen Vorstandszugehörigkeit, weil langfristig variable Vergütungen noch nicht zur Auszahlung gelangt sind. Im Geschäftsjahr 2021 sind zudem sechs CHROs neu dazugekommen – bei Adidas, Bayer, Mercedes Benz, Siemens Healthineers, SAP und Zalando. Es gibt in vielen Häusern die Vergütungsphilosophie, dass Vorstandsmitglieder die gleiche Verantwortung und Haftungsrisiken tragen und deshalb gleich verdienen sollten. Aber häufig differenzieren die Unternehmen bei der Vorstandsvergütung personenspezifisch. In dem Fall haben der oder die CHRO selten die Spitzenposition beim Gehalt.
Es gibt in vielen Häusern die Vergütungsphilosophie, dass Vorstandsmitglieder die gleiche Verantwortung und Haftungsrisiken tragen und deshalb gleich verdienen sollten. Aber häufig differenzieren die Unternehmen bei der Vorstandsvergütung personenspezifisch. - Regine Siepmann
Personalmagazin: Nun regelt das Aktiengesetz, wie und in welcher Form die Vorstandsvergütung veröffentlicht werden muss. Warum genügt das Ihrer Meinung nach nicht?
Siepmann: Bisher haben die Dax-Unternehmen für ihre Vergütungsberichte die Mustertabellen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) verwendet. Dadurch waren die Top-Gehälter sehr gut vergleichbar. Nun wurden diese Tabellen aber aus dem Kodex gestrichen, da nach Meinung der Kodex-Kommission eigentlich alles im Aktiengesetz geregelt sein sollte.
Nicht alles ist im Aktiengesetz geregelt
Personalmagazin: Und das ist es nicht?
Siepmann: Das Aktiengesetz enthält nur sehr dürre Zeilen dazu. Der europäische und deutsche Gesetzgeber hat zudem für Verwirrung gesorgt, indem er eine neue Begrifflichkeit bei der Vorstandsvergütung eingeführt hat: die Unterscheidung in gewährte und geschuldete Vergütung. Der DCGK kannte bisher nur die gewährte Vergütung und meinte damit den Betrag, der sich auf den Vergütungsanspruch bei 100-prozentiger Zielerreichung in einem Geschäftsjahr bezog. Nun ist damit die Vergütung gemeint, die im Berichtszeitraum geflossen ist. Das ist eine ganz andere Betrachtung. Zudem erfolgt die technische Abrechnung in der Regel erst später. Es wird im Zweifel also nicht die Vergütung für das Geschäftsjahr, sondern im Geschäftsjahr ausgewiesen.
Personalmagazin: Die Unternehmen müssen jetzt die Vorstandsvergütung nicht mehr im Geschäftsbericht, sondern erst zur Einladung zur Hauptversammlung veröffentlichen. Inwiefern spielt das auch eine Rolle?
Siepmann: Die meisten Unternehmen haben die Vergütung weiterhin im Geschäftsbericht abgedruckt. Problematisch ist vielmehr, dass die Darstellung dort nicht mehr einheitlich ist. Wenig kompromissbereit waren dabei manche Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Nach einer sehr restriktiven Auslegung des Aktiengesetzes hat das Institut der Wirtschaftsprüfer IDW noch eine alternative Auslegung zugelassen. Deshalb finden sich in den Geschäftsberichten mal die Vergütung im Geschäftsjahr und mal jene für das Geschäftsjahr beziehungsweise beide Lesarten.
Transparenzstandard und Vergleichbarkeit haben abgenommen
Personalmagazin: Durch das ARUG II müssen Unternehmen mehr Vergütungsinformationen veröffentlichen als bisher. Das soll einer höheren Transparenz dienen. Ist dies aus Ihrer Sicht gelungen?
Siepmann: Im europäischen Vergleich hatten wir einen sehr hohen Transparenzstandard und eine gute Vergleichbarkeit. Andere Mitgliedstaaten hinkten da deutlich hinterher. Während sich deren Standards verbessert haben, wurde er bei uns deutlich gesenkt. Die Gesellschaften haben die neuen und wenig konkreten Regelungen unterschiedlich ausgelegt und umgesetzt. Und auch ein direkter Vergleich zu den Vorjahresgehältern ist nun nicht mehr zwingend erforderlich. Doch ohne Vergleichbarkeit liefern nackte Vergütungszahlen keine Verständnishilfe, wie sich Top-Gehälter entwickeln. So gesehen sind deutsche Vorstandsgehälter aktuell zwar transparent, aber kaum noch vergleichbar.
Im europäischen Vergleich hatten wir einen sehr hohen Transparenzstandard und eine gute Vergleichbarkeit. Andere Mitgliedstaaten hinkten da deutlich hinterher. Während sich deren Standards verbessert haben, wurde er bei uns deutlich gesenkt. - Regine Siepmann
Personalmagazin: Das Aktiengesetz sieht vor, dass die Entwicklung der Vorstandsvergütung jetzt im Verhältnis zur durchschnittlichen Belegschaftsvergütung in den vergangenen fünf Jahren dargelegt werden muss. Was hat das bewirkt?
Siepmann: Das ist für Deutschland keine neue Entwicklung. Der Corporate Governance Kodex hat vor vielen Jahren diesen Vertikalvergleich eingeführt – in Bezug auf den aktuellen Status-quo und die Entwicklung. Denn nur so kann man feststellen, ob die Gehaltsschere weiter auseinandergeht. Die große Mehrheit der Unternehmen setzt dafür die Zielvergütung an. Das ist präziser, da der größte Anteil der Long Term Incentives erst Jahre später fließen kann. Da im Vergütungsbericht die tatsächliche Vergütung im Geschäftsjahr ausgewiesen werden soll, sind die Schwankungen enorm. Diese stehen nicht in direkter Relation zur Mitarbeitendenvergütung, die sich nur minimal ändert, beispielsweise durch Tarif- und Gehaltsrunden. Der Relation fehlt dadurch jede Aussagekraft.
Personalmagazin: Der Aufsichtsrat muss laut ARUG II nun im Vergütungssystem eine Maximalvergütung festlegen – entweder pro Vorstandsmitglied oder aber für den gesamten Vorstand. Verhindert das Gehaltsexzesse?
Siepmann: Diese deutsche Besonderheit halte ich für unnötig, da die variablen Vergütungen schon immer begrenzt waren. Die Maximalvergütung muss nun im Vergütungssystem und nicht mehr nur bei den einzelnen Vergütungsbestandteilen festgelegt werden. Und die Aktionäre können diese Obergrenze verbindlich heruntersetzen. Ich halte es allerdings für relativ unwahrscheinlich, dass der Fall eintritt. Investoren schauen nämlich weniger auf die absolute Höhe der Vergütung, sondern vielmehr auf die Pay-for-Performance-Relation – also, ob die Unternehmensleistung mit der Vergütung der Vorstände übereinstimmt. Bei Abfindungen sind Investoren hingegen deutlich kritischer.
Vorstandsvergütung: Aktionäre bekommen mehr Macht
Personalmagazin: Durch die neuen Regelungen haben die Aktionäre mehr Macht bekommen – weil sie in der Hauptversammlung nun jährlich über den Vergütungsbericht abstimmen. Wie bewerten Sie das?
Siepmann: Durchaus kritisch. Denn die Vorstandsvergütung ist Sache des Aufsichtsrats, als gewähltem Vertreter der Aktionäre. Der Aufsichtsrat ist auch weiterhin für die Vergütungsentscheidungen haftbar, die er an dieser Stelle trifft. Der Gesetzgeber hat mit dem sogenannten "Say on Pay" der Hauptversammlung einen zusätzlichen Mitspieler geschaffen und die bisherige Balance in der Vergütungs-Governance ausgehebelt. Das Thema Vorstandsvergütung ist aufgrund der Vielzahl an Regelungen komplex und nicht für Detaildiskussionen auf einer Hauptversammlung geeignet. Zudem ist das Grundkapital nur zu einem gewissen Anteil auf der Hauptversammlung vertreten. Und was noch schwerer wiegt: Die durchschnittliche Haltedauer von Aktionären liegt nur noch bei sechs bis neun Monaten. Damit ist nicht klar, ob ein Investor von heute noch morgen an Bord ist.
Der Gesetzgeber hat mit dem sogenannten "Say on Pay" der Hauptversammlung einen zusätzlichen Mitspieler geschaffen und die bisherige Balance in der Vergütungs-Governance ausgehebelt. - Regine Siepmann
Personalmagazin: Haben Aufsichtsräte wirklich eine so große Vergütungsexpertise? Und außerdem ist doch das Say on Pay überhaupt nicht rechtlich bindend für die Unternehmen.
Siepmann: Das stimmt. Nach dem ARUG II hat die Hauptversammlung das Recht, mindestens alle vier Jahre und bei jeder wesentlichen Änderung über das Vergütungssystem abzustimmen. Dieses gibt den Rahmen vor, zum Beispiel wie Boni und Langfristvergütungen zu berechnen sind. Zusätzlich können Investoren über das "Say on Pay" zum Vergütungsbericht auch ihre Stimme dazu erheben, wie die Vergütungspolitik in der Realität umgesetzt wurde. Aber das ist immer eine rückblickende Betrachtung, wenn die Auszahlung bereits erfolgt ist.
Personalmagazin: Aber das kann doch ein wichtiger Hinweis für den Aufsichtsrat sein, dass hier das System nicht wie gewünscht wirkt – und dass es einer Anpassung bedarf, oder?
Siepmann: Ja, das wird auch in der Realität erfolgen. Als formal erfolgreich gilt das "Say on Pay", wenn es mehr als 50 Prozent der Stimmen auf der Hauptversammlung erhält. Aber die institutionellen Investoren wie auch Stimmrechtsberater erwarten eine Reaktion, wenn die 80-Prozent-Zustimmmung unterschritten wird. Natürlich ist der Aufsichtsrat dann gut beraten, sich mit der Kritik auseinanderzusetzen. Er muss sich anschauen, ob es sich dabei um ein Transparenz- und Darstellungsthema handelt. Also es kann sein, dass Informationen gefehlt haben oder sie nicht gut erklärt wurden. Oder ob tatsächlich ein generelles Problem im Vergütungssystem vorliegt.
Personalmagazin: Was empfehlen Sie Ihren Kunden, wie sie nun mit der neuen Situation umgehen sollen?
Siepmann: Aus dem gegenwärtigen Dilemma das Beste machen. Es ist nicht in Sicht, dass die EU-Kommission demnächst bahnbrechende Lösungen in Form neuer Mustertabellen herausbringt. Solange sollten die Unternehmen die bewährten Mustertabellen weiter nutzen, auch wenn sie nicht mehr im DCGK enthalten sind.
Hintergrund: Neuer Ausweis der Vorstandsvergütung
Die zweite Europäische Aktionärsrechterichtlinie (Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie, ARUG II, seit 1. Januar 2020 in Kraft) stärkt die Rechte der Aktionäre. Sie haben nun jährlich ein "Say on Pay" – ein Recht auf Abstimmung zum Vergütungsbericht und können zudem eine Obergrenze für die Vorstandsvergütung festlegen. Die DAX-Unternehmen – seit September 2021 sind es 40 und nicht wie bisher 30 Gesellschaften – müssen die Vorstandsvergütung nicht mehr mit dem Geschäftsbericht, sondern spätestens zur Einladung zur Hauptversammlung veröffentlichen. Außerdem sind neue Ausweispflichten hinzugekommen: unter anderem eine vergleichende Darstellung der Entwicklung.
Dieses Interview ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 11/2022. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
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