Digitales Recruiting im Mittelstand wird überschätzt

Deutsche Mittelständler überschätzen ihre digitale Leistungsfähigkeit – auch im Recruiting, zeigt die neue Studie „Recruiting 4.0“. Die Befragten sind sich zwar sicher, dass sie im digitalen Recruiting besser sind als ihre Wettbewerber. Jedoch sind ihnen viele Handlungsfelder unklar.

Bei der Einbindung digitaler Verfahren in die Produktions- und Organisationsprozesse stehen deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich nur auf Platz 15. Das zeigt der 2017 veröffentlichte Innovationsindikator des Bundesverbands der Deutschen Industrie und des Fraunhofer-Instituts. Ein wesentlicher Grund für die schwache Platzierung sind laut dieser Analyse große Defizite gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen.

Deshalb befasst sich die Studie "Recruiting 4.0: Unternehmenserfolg durch digitale Personalgewinnung" speziell mit der Situation dieser kleinen und mittleren Unternehmen. An der Befragung nahmen 101 Geschäftsführer und HR-Verantwortliche kleiner und mittelständischer Unternehmen teil. Zusätzlich fanden vier Experteninterviews statt. Durchgeführt hat die Befragung das Marktforschungsinstitut Innofact im Auftrag von Xing E-Recruiting und in Kooperation mit dem Lehrstuhl für allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Personalmanagement und Führung der Universität Mannheim.

Mittelstand überschätzt sich in Sachen Digitalisierung

Was die Studienautoren des Innovationsindikators aufzeigen, spiegelt sich zunächst nicht in der Einschätzung der Befragten in der Studie "Recruiting 4.0" wider – im Gegenteil: Vor allem im direkten Vergleich zu ihren Wettbewerbern halten sich mittelständische und kleinere Firmen in Sachen Digitalisierung für gut aufgestellt: 70 Prozent schätzen den Stand der Digitalisierung des eigenen Unternehmens fortschrittlicher als den ihrer Wettbewerber ein. Weitere 28 Prozent sehen sich im Mittelfeld und lediglich drei Prozent der befragten Entscheider bekennen sich zu Nachholbedarf auf diesem Gebiet.

Geht es um die Digitalisierung des HR-Bereichs, glauben 58 Prozent, dass sie weiter fortgeschritten sind als ihr Wettbewerb. 40 Prozent sehen sich als durchschnittlich an und drei Prozent als unterdurchschnittlich.

Das logische Dilemma bei diesen Antworten: Wenn der Durchschnitt einen mittelmäßigen Stand der Digitalisierung markiert, dann müsste der Anteil der über- und der unterdurchschnittlichen Unternehmen etwa gleich groß sein. Wenn 70 Prozent der Befragten den Stand der Digitalisierung in ihrem Unternehmen jedoch für überdurchschnittlich halten und nur drei Prozent einen Rückstand sehen, kann ihre Einschätzung nicht der Wirklichkeit entsprechen.

Digitales Recruiting in der Geschäftsführung unterschätzt

Die Studie "Recruiting 4.0" zeigt zudem, dass die HR-Verantwortlichen dem digitalen Recruiting einen erheblich höheren Stellenwert einräumen als die Unternehmenslenker: 66 Prozent der HR-Verantwortlichen halten die Digitalisierung im Recruiting für hochrelevant, aber nur 35 Prozent der Geschäftsführer.

Der viel zitierte Wettbewerb um die besten Köpfe macht moderne Methoden notwendig. Entsprechend sind sich 84 Prozent der Befragten sicher, dass digitale Recruiting-Tools über den Erfolg der Personalmanager entscheiden.

Online-Recruiting: Präsenz auf Online-Plattformen und mobile Optimierung im Fokus

Bei der Kandidatenansprache ist vielen HR-Verantwortlichen bewusst, dass die Präsenz auf möglichst vielen Plattformen wichtig ist. 85 Prozent aller Befragten stimmen dieser Aussage zu. Allerdings gilt die Auswahl des korrekten Kanals bei vier von fünf Befragten als problematisch. 66 Prozent der Teilnehmer sind überzeugt, dass der Einsatz von Business-Plattformen wie Xing oder Linkedin den Recruiting-Erfolg erhöht.

Darüber hinaus reagieren die Unternehmen darauf, dass sich die Internetnutzung immer stärker auf mobile Endgeräte verlagert. 80 Prozent der befragten Firmen arbeiten daran, den Karrierebereich ihrer Webseite fürs mobile Netz zu optimieren, oder haben das bereits umgesetzt (Eine Checkliste dafür finden Sie hier.)

Recruiting-Kompetenzen: mehr analytische Fähigkeiten gefragt

Geht es um das geforderte Digital-Know-how im Recruiting, so zeigt die Befragung ein klares Bild: Das Berufsprofil ist in den vergangenen Jahren deutlich anspruchsvoller geworden. Bei allen zwölf abgefragten Kompetenzen meinen zwischen 50 und 80 Prozent der Studienteilnehmer, sie seien wichtiger geworden. Besonders starke Bedeutungszunahme sehen sie bei den analytischen Fähigkeiten (77 Prozent), der Kommunikationsfähigkeit (76 Prozent), der Flexibilität, den IT-Kenntnissen, der Organisationsfähigkeit und der schnellen Auffassungsgabe (jeweils 75 Prozent). Mehr Belastbarkeit empfinden 74 Prozent als nötig, mehr Kreativität 72 Prozent.

Big Data im Recruiting: noch viele Unsicherheiten

Als hochrelevante Kombination von HR und IT gilt der gesamte Komplex Big Data. Zwei von drei Personalmanagern gehen davon aus, dass die kluge Auswertung großer Datenmengen den Recruiting-Prozess revolutionieren wird. Unklar ist zurzeit allerdings noch, wie das geschehen soll und welche rechtlichen Hürden überwunden werden müssen. Jeder zweite Personaler und jeder dritte Geschäftsführer haben die Sorge, dass entsprechende Projekte nicht mit den strengen deutschen Datenschutzregeln vereinbar sind.

Um die knappen Projektmittel eines mittelständischen HR-Managements für den Aufbau eines Smart-Data-Recruiting einzusetzen, müssten sich die Verantwortlichen des späteren Erfolgs sicher sein. Doch nicht nur die rechtlichen Bedenken lassen sie daran zweifeln. Ein Fünftel der Befragten geht davon aus, dass die Qualität und Aktualität der vorhandenen Daten nicht reicht, um sinnvolle Auswertungen zu ermöglichen. Nur 18 Prozent können sicher angeben, dass ihr Unternehmen im kommenden Jahr ein Projekt zur Nutzung von Big oder Smart Data im Bewerbungsprozess anstoßen wird.


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