"Soziale Bedürfnisse motivieren uns zum Lernen"
„83 Milliarden Neuronen gefällt das. Die Antriebskräfte unseres Gehirns verstehen und nutzen“ – unter diesem Titel referierte die Sozial- und Neurowissenschaftlerin Franca Parianen auf der Learntec über den Zusammenhang von Sozialleben und Lernverhalten. Die Science-Slammerin, die am Helmholtz Institut der Universität Utrecht die Grundlagen menschlichen Verhaltens erforscht, nutzte zur Veranschaulichung ihrer Forschung humorvolle Bilder und Videos und sorgte so für gute Unterhaltung mit Tiefgang.
Post-its im Gehirn: Bitte nicht nochmal machen
Das Sozialleben sei für alle Menschen ein bedeutender Motivator und Lernen eine soziale Überlebensmotivation, erklärte Parianen. "Wir sind darauf angewiesen von anderen zu lernen, aber das Konstrukt ist sehr zerbrechlich. Deswegen sind uns andere Menschen so wichtig, weil wir nie wissen, ob wir uns Sorgen machen sollten.“ Von klein auf lernten wir, indem wir andere Menschen nachmachten – unsere Spiegelneuronen sind laut Parianen dafür verantwortlich. Wir probierten Dinge aus und die Dopaminausschüttung im Gehirn funktioniere dabei wie Zuckerbrot und Peitsche: Die Dosis sage uns, ob etwas erfolgreich war oder nicht. "Wenn etwas nicht so gut funktioniert, entwickeln wir einen sogenannter Somatic Marker. Das kann man sich vorstellen wie ein Post-it, das unser Gehirn daran anklebt und damit sagt: ‚Das machen wir nicht noch mal‘.“
Loss frame: Verluste minimieren
Über- oder Unterforderung schadeten dem Lernen gleichermaßen. "Für Sachen, die selbsterklärend sind, strengt sich unser Gehirn nicht an. Wenn wir Aufgaben bekommen, von denen wir schon wissen, dass sie einfach sind, freuen wir uns nicht, wenn wir sie lösen“, so Parianen. Frage jemand, was 2 + 2 sei, mache es uns nicht glücklich, die Lösung 4 zu präsentieren. Klassische Unterforderung, folgert die Neurowissenschaftlerin. Auch wenn eine Aufgabe zu schwer sei, gehe die Motivation in den Keller. Entscheidend sei dabei nicht nur der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe. Der gleiche Mechanismus greife in dem Fall, wenn jemand übermäßiges Engagement verlange. "110 Prozent kann ich nicht erreichen und dabei also nur verlieren.“ Die Forscherin nennt das Verlustminimierung. Der Mensch versuche immer, den Verlust so gering wie möglich zu halten, denn das Ziel sei Dopaminausschüttung, die bei Über- oder Unterforderung ausbleibe.
Parianen nennt als weiteres Beispiel schlechtes Zeitmanagement. "Wenn wir dachten, eine Task soll nur eine Viertelstunde dauern, sie dauert dann aber drei Stunden, dann ist alles, was nach dieser Viertelstunde passiert, reiner Verlust.“ Wir kämpften gegen das schlechte Gefühl an, dass wir jetzt schon Zeit verschwendet hätten. Doch es gebe keinen Ausweg, dann noch positive Gefühle zu entwickeln. "Das Wegpaddeln von schlimmen Dingen ist kein Flow. Das ist keine nachhaltige Arbeitsatmosphäre.“
Zu viele Regeln schaden dem Flow
Ähnliches passiere, wenn Organisationen zu viel kontrollierten oder viele Regeln einsetzten. Das bringe weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer etwas: "Die Leute die vorher schlecht waren, werden dadurch noch schlechter. Denn sie waren schon unter Druck, sind es jetzt noch mehr und haben das Gefühl, das kann ich eh nicht schaffen.“ Auch die High Performer bringe Regelwut aus dem Lot. Sie würden nur kurzfristig besser, aber danach auch wieder schlechter, sobald die positiven Erwartungen wegfallen. "Wenn wir zu viele Regeln machen, fangen die Leute an darüber nachzudenken, welchen Preis sie eigentlich bereit sind zu zahlen.“
Strafen könnten intrinsische Motivation zwar überschreiben, Menschen hätten dann aber auch oft kein schlechtes Gewissen mehr, wenn sie gegen Regeln verstoßen und nähmen lieber die Strafen in Kauf. Es müsse klar sein, wer Sanktionen aussprechen dürfe. "Wenn jeder in der Lage ist, den andern zu reviewen, haben alle Angst, das zu tun. Oder wir landen in Rachespiralen.“ Da sei es noch erfolgversprechender, wenn alle für Regelverstöße kollektiv bestraft würden.
Auch Belohnen gewünschten Verhaltens wirke ähnlich. "Positive intrinsische Motivation kann ebenso überschrieben werden, wenn wir nur noch auf die Bestätigung von außen warten.“ Doch intrinsische Motivation könne sich regenerieren. Extrinsische müsse man hingegen immer aufrechterhalten. Setzten wir eine derartige Belohnung ab, führe das zu Enttäuschung. Also verlagere sich extrinsische Belohnung immer weiter nach vorne: Wir bräuchten immer mehr davon. "Wenn sich die Belohnung nicht einstellt, erleben wir einen Dopamin-Dip: eine Art Antiglück. So kann man in einen Burnout kommen, weil man sich immer zwingen muss.“
Soziales Verhalten im digitalen Raum
Parianen übertrug ihre Erkenntnisse auch auf unser Verhalten im Internet, schweifte dabei aber immer mehr vom Thema Lernverhalten und Lernmotivation ab. Soziale Spiegelung funktioniere im digitalen Raum nicht gut, weshalb wir dazu tendierten, negative Informationen stärker wahrzunehmen. Außerdem neigten wir im Netz stärker zum „Egocentricity bias“: dem Fehlglauben, dass unsere Sichtweise auch die aller anderen ist. Das sei problematisch, wenn wir Informationen ausließen oder zu viele Instruktionen gäben. „Wir müssen verstehen, dass wir eine eigenständige Perspektive haben, einen eigenen Informationsstand, der nicht für andere gleich zugänglich ist. Bevor wir andere erkennen, müssen wir uns selbst erkennen“, wagte die Forscherin einen nahezu philosophischen Exkurs.
Den Wunsch nach sozialer Bestätigung beleuchtete sie wieder digital und analog. Dieser sei uns auch im Lernen wichtiger als Sinnhaftigkeit. Die Forscherin erklärt das mit Group Think: "Wir achten sehr viel auf die Bestätigung von anderen Menschen und darauf, ob das, was wir lernen, sozial akzeptiert ist.“ Divers zusammengesetzte Teams tendierten allerdings weniger zu Group Think und seien deshalb ein Garant für bessere Entscheidungen.
Welche Lernsettings Personalentwickler folglich schaffen sollten, sprach Franca Parianen nicht direkt an. Doch ihre Lösung war klar: Weiterbildung funktioniert am besten mit möglichst wenig Vorgaben und Regeln – und zwar dann, wenn die Lerner weder über- noch unterfordert sind. Unternehmen brauchen soziales Lernen: "Andere Menschen sind unser stärkster Antrieb.“
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