Belegschaftsaktien als Ergänzung der Mitbestimmung
Top-Manager trommeln für mehr Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter. Die Vorstände von Dax-Konzernen wie Siemens, BASF oder RWE wollen, dass sich Mitarbeiter stärker am eigenen Unternehmen beteiligen und mehr Belegschaftsaktien halten. Die Idee dahinter: Man bindet die Beschäftigten enger ans Unternehmen, gewinnt die Belegschaft als loyalen Ankeraktionär.
Doch was bedeutet es für Arbeitnehmer, wenn sie nicht nur Angestellte, sondern gleichzeitig Aktionäre ihrer Firma sind? Die Hans-Böckler-Stiftung hat in einer Studie untersucht, wie Belegschaftsaktien in deutschen börsennotierten Unternehmen aktuell genutzt werden und welche Möglichkeiten sie insbesondere zur Ergänzung der unternehmerischen Mitbestimmung bergen.
Mitarbeiteraktien in fast allen börsennotierten Unternehmen
Tatsächlich setzen derzeit über 70 Prozent der börsennotierten Unternehmen Mitarbeiteraktien ein. Bisher kommen diese jedoch meist nur kleinen Kreisen zugute, das zeigt die Analyse, die der Wirtschaftswissenschaften-Professor Thomas Steger von der Universität Regensburg und der Rechtswissenschaften-Professor Rainer Sieg aus Passau im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung aufgestellt haben.
Von 160 Unternehmen, die in den vier deutschen Börsenindizes notiert sind, bieten aktuell 112 - das entspricht rund 70 Prozent - irgendeine Form von Belegschaftsaktien an. Dabei ist der Anteil von Unternehmen mit Belegschaftsaktien im Dax nicht wesentlich höher als im MDax oder SDax. Am weitesten verbreitet sind sie im TecDax: 77 Prozent der Unternehmen im Technologie-Index bieten diese Form der Mitarbeiterbeteiligung an.
Gründe für die Einführung von Belegschaftsaktien
Als Gründe für die Einführung von Belegschaftsaktien werden der Analyse zufolge monetäre Gründe am häufigsten genannt. Konkret: Belegschaftsaktien stellen in 36 Unternehmen einen Teil der variablen Vergütung dar. In 35 Fällen heißt es, sie seien dazu gedacht, die Mitarbeiter am Erfolg des Unternehmens zu beteiligen.
Auffällig ist dabei, dass die erste Begründung bei Dax-Unternehmen relativ selten vorkommt, während die zweite den meist genannten Grund darstellt – bei den TecDax-Unternehmen ist es genau umgekehrt. Dies könne ein Hinweis darauf sein, schreiben Steger und Sieg, dass Belegschaftsaktien in TecDax-Unternehmen vor allem Führungskräften zuteil werden, während sie bei Dax-Unternehmen breitflächiger eingesetzt werden.
Ebenfalls häufig genannt werden weiche Gründe: Entweder soll die Mitarbeiterbindung gesteigert werden, die Motivation, das unternehmerische Denken oder die Identifikation mit dem Unternehmen. Andere Motive scheinen dagegen von nachrangiger Bedeutung: So wird die Altersvorsorge der Beschäftigten lediglich siebenmal genannt, die Stärkung der Mitbestimmung sechsmal und die Abwehr von Übernahmen ein einziges Mal.
Vorreiter Siemens: Zwei von drei Mitarbeitern sind Aktienbesitzer
Ein Blick auf die Modelle und Zielgruppen von Belegschaftsaktien offenbart große Unterschiede. Zum einen existieren "eher traditionelle, großzügige Programme", die etwa Gratisaktien oder Preisnachlässe vorsehen. Ein positives und erfolgreiches Beispiel sei das Programm bei Siemens, erklären die Wissenschaftler. Mehr als zwei Drittel der Siemens-Mitarbeiter besitzen Aktien des eigenen Unternehmens. Zusammen halten die Belegschaftsaktionäre immerhin fünf Prozent des gesamten Aktienkapitals, wobei je die Hälfte den Mitarbeitern und den Pensionären zuzurechnen sind.
Belegschaftsaktien meist nur für Führungskräfte und Top-Manager
Daneben gibt es "eher moderne, kostengünstige Ansätze", bei denen es häufig lediglich darum geht, den jährlichen Steuerfreibetrag von 360 Euro pro Mitarbeiter auszuschöpfen. Häufig gibt es auch Programme, die sich speziell an privilegierte Gruppen innerhalb der Belegschaft richten. "Belegschaftsaktien-Programme werden oft vor allem für Führungskräfte beziehungsweise die Vertreter des oberen Managements hin konzipiert", schreiben die Forscher. Insbesondere bei den kleineren der untersuchten Unternehmen im TecDax und SDax konzentrierten sich die Programme auf diese exklusiven Zirkel. So halten beispielsweise Belegschaftsaktionäre beim Pharmaforschungsunternehmen Evotec rund drei Prozent des gesamten Kapitals – dabei handelt es sich jedoch ausschließlich um Manager und weitere ausgewählte Mitarbeiter.
Das Fazit der Studienautoren: Belegschaftsaktien werden zwar in vielen großen Unternehmen angeboten, aber nur in wenigen kommen sie der gesamten Belegschaft zugute. "Offensichtlich sind Belegschaftsaktien zurzeit noch vornehmlich ein unternehmensinternes Thema mit Schwerpunkt auf finanzielle Motive", schreiben die Wissenschaftler. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass sich die Belegschaftsaktionäre bislang lediglich in Ausnahmefällen in Vereinen organisieren, um Einfluss auf die Ausrichtung ihres Betriebs zu nehmen. Aktive Vereine für Belegschaftsaktionäre registrieren die Forscher bei Siemens, Adidas, Evonik und Volkswagen.
Mitbestimmung durch Belegschaftsaktien als Ergänzung der gesetzlichen Mitbestimmung
Belegschaftsaktien hätten durchaus das Potenzial, die unternehmerische Mitbestimmung zu ergänzen – dafür müssten sie aber weiter verbreitet und "demokratischer" zugänglich sein. Diesem Gedanken stellten sich auch die Betriebsräte und die Gewerkschaften nicht in den Weg, so die Studie. Sie betonten aber, dass die Kapitalbeteiligung keinen Ersatz für tarifvertragliche Gehaltsbestandteile und angestammte Mitbestimmungsrechte darstellen darf. Zudem tragen die Arbeitnehmer ein "doppelte Risiko", wenn das Unternehmen in eine existenzielle Krise gerät: zusätzlich zum Verlust des Arbeitsplatzes droht der Wertverlust der Aktien.
Angesichts einer immer größeren Rolle, die kurzfristig ausgerichtete Kapitalmarktinvestoren bei deutschen Unternehmen spielen, sei eine starke Mitbestimmung der Beschäftigten "eine der letzten Hürden gegen den Durchmarsch eines Shareholder-Kapitalismus angelsächsischer Prägung in Unternehmensentscheidungen", sagt Dr. Norbert Kluge, der die Mitbestimmungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung leitet. "Daher wäre es grundfalsch und gefährlich, Kapitalbeteiligung gegen bewährte, gesetzlich garantierte Mitbestimmungsrechte ausspielen zu wollen." Aber als Ergänzung könne sie hilfreich sein.
Deshalb lohne es sich, darüber zu diskutieren: "Inwieweit können die traditionell eher kontaktarmen Stiefschwestern Mitarbeiterkapitalbeteiligung und Mitbestimmung besser zusammenwirken? Was könnten sie in Zeiten globaler Unternehmensfinanzierung dazu beitragen, Unternehmen eine nachhaltige Perspektive für heimische Arbeitsplätze und Standorte zu geben?"
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