Mangelnde Fehlerkultur begünstigt Compliance-Verstöße
Für die Studie befragte die Agentur A&B One in Kooperation mit Prof. Dr. Lars Rademacher von der TU Darmstadt 351 Führungskräfte aus dem unteren und mittleren Management in Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. Die Befragten sind mit großer Mehrheit (66 Prozent) sehr oder ziemlich beunruhigt über Missstände und Fehlentwicklungen in der Wirtschaft. Die Hälfte (51 Prozent) geht sogar davon aus, dass Skandale in den letzten zehn Jahren zugenommen haben.
Compliance-Risiko: Starke Zielorientierung bei mäßiger Konfliktfähigkeit
Zu Problemen und Fehlentwicklungen kommt es aus Sicht der Befragten besonders oft aufgrund von zu hohen Gewinnerwartungen (82 Prozent) und zu hohen Zielvorgaben (77 Prozent). Zwei Drittel kritisieren außerdem sinkende Moralvorstellungen und ein fehlendes Wertebewusstsein. Klassische Compliance-Themen wie Unwissenheit über geltende Regeln (53 Prozent) oder explizit kriminelle Energie (40 Prozent) gelten hingegen seltener als problematisch.
Die Studie zeigt gleichzeitig, dass die Fehlerkultur und die Konfliktfähigkeit in den Unternehmen schlechter ausgeprägt sind als die starke Zielorientierung. Dies kritisieren vor allem die unteren Führungsebenen: Hier wünschen sich zwei Drittel der Befragten (67 Prozent) einen besseren Umgang mit Fehlern. Das Top-Management ist vom Handlungsbedarf allerdings nicht gleichermaßen (nur zu 39 Prozent) überzeugt. Eine ausgeprägte Zielorientierung berge aber hohe Compliance-Risiken, wenn Zielkonflikte nicht angesprochen und Fehler nicht zugegeben werden können, so die Studienautoren. Dialogbereitschaft, Offenheit und ein verantwortlicher Umgang mit Zielkonflikten seien damit zentrale Themen für die Personal- und Führungskräfteentwicklung.
Compliance wirkt informativ, aber wenig kulturbildend
Im Compliance-Management der Unternehmen dominieren laut der Studie derzeit verschriftlichte Regeln und Leitbilder. Angebote für persönliche Beratung haben aus Sicht der Befragten einen deutlich höheren Nutzen, werden aber vergleichsweise selten eingesetzt: 47 Prozent kennen ein entsprechendes Angebot an ihrem Arbeitsplatz. In den Unternehmen mit Compliance-Abteilung fühlen sich die Führungskräfte über "regelkonformes Verhalten" zwar gut informiert, Compliance hat für sie aber einen reaktiven und kontrollierenden Charakter. Die Führungskräfte verstehen darunter die einfache Einhaltung und Befolgung von Regeln oder Vorschriften, die andere gesetzt haben. Compliance-Maßnahmen haben hingegen nur selten einen nachhaltigen Effekt auf die Führungskultur, also zum Beispiel auf Fehlerkultur und Konfliktfähigkeit.
Corporate Integrity: Integrität fördert Eigenverantwortung
Die Fachwelt fordert schon länger, regelorientierte Compliance durch ein umfassenderes "Integrity Management" zu ergänzen. Das Konzept Integrität hat den Studienergebnissen zufolge tatsächlich eine hohe persönliche Relevanz und motivierendes Potenzial. Schon der Begriff steht aus Sicht der Befragten für grundlegende Werte, die man sich zu eigen machen kann und will, und adressiert die Eigenverantwortung des Einzelnen auch in schwierigen Situationen. Das große Wort Integrität wirke aber noch zu allgemein. Es müsse kommunikativ heruntergebrochen und übersetzt werden in nachvollziehbare, alltagstaugliche Beispiele und Verhaltensvorgaben auf allen Ebenen, heißt es in der Studie. So sehen es auch die Verantwortlichen in den Unternehmen: Zwei Drittel der Top-Führungskräfte sind der Ansicht, dass zu wenig deutlich wird, was genau mit dem Begriff Integrität gemeint ist.
Die Führungskräftebefragung zeigt insgesamt, dass die Skandale der vergangenen Jahre ihre Spuren hinterlassen haben, auch in den Köpfen der Mitarbeiter. Sie bestätige eindrücklich, dass Compliance stärker als ein "Trusted Advisor" positioniert und in ein umfassenderes Integrity Management eingebettet werden müsse.
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