Standards für das Human Capital Reporting
Unabhängig von der Frage, inwieweit Kennzahlen die Qualität von Personalmanagement tatsächlich abbilden können, werden heute in der Personalberichterstattung weltweit verschiedenste Indikatoren verwendet. Nicht nur Personaler, die international tätig sind, haben mit unterschiedlichsten Kennzahlen und Systemen zu kämpfen, was eine Vergleichbarkeit von Organisationseinheiten oft erschwert. Zudem mangelt es an einem allgemein anerkannten Modell, den Faktor Mensch im Unternehmen auch für eine Berichterstattung greifbar zu machen. Hierzu liefert das Human Capital Reporting einen Beitrag.
Human Capital Reporting: Den Faktor Mensch transparent machen
Die wichtigste Quelle unternehmerischer Wertschöpfung hat sich inzwischen von den materiellen zu den immateriellen Vermögenswerten verlagert, zu denen auch das „Humankapital“ gezählt wird. Einer Studie der Harvard Business Review zufolge, die sich mit den 500 größten amerikanischen börsennotierten Unternehmen beschäftigt hat, setzt sich der Marktwert dieser Unternehmen heute nur noch zu 16 Prozent aus materiellen Vermögenswerten zusammen (im Jahr 1975 waren das noch 83 Prozent); die restlichen 84 Prozent entfallen auf immaterielle Vermögenswerte. Assets wie Fabrikhallen, Grundstücke, Maschinenparks, Lizenzen oder Patente entscheiden nicht mehr allein über die Zukunftsperspektiven eines Unternehmens, sondern zunehmend Kundenbeziehungen und vor allem Köpfe, die maßgeblich an der Wertschöpfung eines Unternehmens beteiligt sind.
Insoweit überrascht es auch nicht, dass ein breites Spektrum an Interessengruppen – Führungskräfte, Investoren und Beschäftigte selbst – mittlerweile mehr über die „menschliche“ Seite eines Unternehmens und ihren Wert erfahren will. Anhaltspunkte dafür können Kennzahlen liefern, wie sie in der Finanzberichterstattung verwendet werden.
HCR: Standard für die mitarbeiterbezogene Berichterstattung
Der neue Standard für mitarbeiterbezogene Berichterstattung bietet Organisationen die Möglichkeit, sich in allen Personalbereichen auf einen stärker kennzahlengesteuerten Entscheidungsprozess zuzubewegen. Gleichzeitig können Unternehmen aber auch durch die externe, öffentliche Berichterstattung Anforderungen von Investoren und anderen Interessengruppen (wie zum Beispiel Gesetzgeber, Gewerkschaften, NGOs) erfüllen, indem sie zusätzliche Informationen über die Ressource „Mitarbeiter“ zur Verfügung stellen. In welchem Maß entscheiden die Anwender des Standards selbst. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, dass es sich am Markt durchaus etablieren kann, bestimmte Kennzahlen zu veröffentlichen.
DIN ISO 30414: Leitlinien für das Human Capital Reporting
Die deutsche Version des Standards (Personalmanagement – Leitlinien für das interne und externe Human Capital Reporting) umfasst knapp 50 Seiten und ermöglicht es Unternehmen, einen Überblick über wichtige Felder des Personalmanagements aufzubauen, für die Kennzahlen existieren. Anwender finden darin eine Einführung in die wesentlichen Prinzipien einer mitarbeiterbezogenen Berichterstattung sowie Hilfestellung bei der grundlegenden Strukturierung. Der Standard weist auf die mögliche Relevanz für unterschiedliche Zielgruppen hin und macht Vorschläge für Datenbeschaffung und Zuständigkeiten innerhalb der Organisation. Dabei werden auch Empfehlungen dazu getroffen, wie gerade mittelständische Unternehmen, die keine komplexen Datenerfassungssysteme im Einsatz haben, dies dennoch umsetzen können. Zudem trifft er Empfehlungen dazu, wie Reporting-Dokumente aufgebaut sein können und in welchen Zeiträumen die mitarbeiterbezogene Berichterstattung sinnvoll ist.
Kennzahlen für elf HR-Berichtsthemen
Den Kern des Standards bilden die eigentlichen Berichtsthemen: Compliance und Ethik, Personalkosten, Vielfalt, Führung, Unternehmenskultur, Wohlbefinden/Arbeits- und Gesundheitsschutz, Produktivität, Personaleinstellung, Mobilität und Fluktuation, Fähigkeiten und Leistungspotenzial, Nachfolgeplanung sowie Mitarbeiterverfügbarkeit. Für jedes dieser Kernberichtsthemen liefert der Standard Anwendern ein Kennzahlengerüst und erläutert,
- warum eine Kennzahl wichtig sein kann,
- für welchen Berichtszweck sie verwendet werden soll (intern/extern; für große Unternehmen oder KMUs),
- wie die Kennzahl definiert ist,
- wie sie berechnet werden kann und
- zeigt ein mögliches Reporting-Beispiel.
Für kleine und mittlere Unternehmen werden insgesamt zehn Kennzahlen für die externe Berichterstattung empfohlen. Für große Unternehmen werden 20 Kennzahlen für die öffentliche Berichterstattung vorgeschlagen. Darunter sind auch Kennzahlen, die bislang von großen Unternehmen nur selten veröffentlicht werden – etwa die Gesamtpersonalkosten, in denen auch Kosten für externes Personal (darunter Werkvertrags-Auftragnehmer, Berater, Zeitarbeiter und Cloud-Arbeiter) enthalten sind, oder Angaben zur Zahl und Art eingereichter Beschwerden.
HCR-Standard: Gestaltungsmöglichkeiten für die Praxis
Viele Praktiker haben zurecht Vorbehalte, wenn sie das Wort Standard hören. Gibt es nicht ohnehin schon zu viel Bürokratie, Regeln und Reporting-Anforderungen? Der HCR-Standard versucht hier, Antworten für die Praxis zu geben, indem er Empfehlungen für das Reporting, das zudem auch auf einem globalen Level anwendbar ist, gibt.
Der Standard ist unter maßgeblicher Beteiligung von Personalberatern, Vertretern der Wissenschaft, Personalverbänden sowie Personalexperten aus der Unternehmenspraxis entstanden. Auf deutscher Ebene haben beispielsweise die beteiligten Arbeitgeberverbände dazu beigetragen, den Standard an die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen anzupassen, was in Teilen gelungen ist, wie etwa durch das Ausklammern bestimmter Kennzahlen.
DIN ISO 30414 berücksichtigt auch HCR 10 und GRI
Der Standard hat zudem bestehende Modelle, wie beispielsweise den „HCR 10“ (Human Capital Reporting 10) oder den „GRI“ (Global Reporting Initiative), berücksichtigt und viele Beispiele aus in der Praxis üblicher mitarbeiterbezogener Berichterstattung miteinbezogen. Wer den Standard voll ausschöpfen will, bekommt ein Portfolio von insgesamt 58 Kennzahlen an die Hand.
Insgesamt ist der Standard sehr breit aufgestellt. Es kann durchaus Teile darin geben, die für bestimmte Unternehmen nicht relevant sind, die schwer zu ermitteln sind, hohen Erläuterungsbedarf auslösen oder eine unerwünschte Transparenz schaffen. Deshalb müssen Unternehmen den Standard auch nicht vollständig implementieren. Vielmehr kann er zur Grundlage eines Entwicklungsprozesses gemacht werden, der Schritt für Schritt eine kennzahlenbasierte Berichterstattung aufbaut.
Freiwilliger Leitfaden für das Human Capital Reporting
Da es sich beim Human Capital Reporting um einen freiwilligen Leitfaden handelt, entscheidet der Anwender selbst, welche der angebotenen Kennzahlensystematiken in seiner Organisation sinnvoll sind. Und auch eine öffentliche Berichterstattung ist freiwillig, und nicht verpflichtend.
Hinweis: Die deutschsprachige Version der DIN ISO 30414 ist ab April 2019 bei DINMedia erhältlich und kostet circa 150 Euro.
Zum Hintergrund: ISO und DIN
ISO ist die Internationale Organisation für Normung, die sich aus den jeweiligen nationalen Normungsorganisationen weltweit zusammensetzt. Deutsches Mitglied der ISO ist DIN – Deutsches Institut für Normung e. V. Internationale Normen werden von sogenannten Technischen Komitees erarbeitet, in welche die nationalen Normungsorganisationen ihre Experten entsenden. Sämtliche Fragen des Personalmanagements werden vom Technischen Komitee 260 „Human Resource Management“ (ISO/TC 260) verantwortet, das unter Vorsitz der US-Normungsorganisation ANSI steht ( committee.iso.org/home/tc260).
Auf nationaler Ebene wird die Arbeit in einem sogenannten Spiegelausschuss begleitet. Das deutsche Gremium ist der Arbeitsausschuss Personalmanagement. Er setzt sich aus Experten aus Unternehmens- und Personalberatungen, Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft zusammen und hat die Aufgabe, sich an der internationalen Normungsarbeit inhaltlich zu beteiligen. Er entscheidet auch, ob internationale Normen in das deutsche Regelwerk übernommen werden. Für die ISO 30414 Human Resource Management – Guidelines for Internal and External Human Capital Reporting wurde genau dies entschieden. Die Norm basiert auf einem ursprünglichen Vorschlag aus Deutschland.
Autoren:
Dr. Stefanie Becker ist Senior HR Project Consultant bei SAP in Walldorf und leitet im DIN-Normungsausschuss die Arbeitsgruppe ISO/TC 260/WG 7 Human Capital Reporting.
Oliver Kothrade ist HR Director Consumer Marketing bei Panasonic Business Support Europe in Hamburg und Mitglied der Arbeitsgruppe Human Capital Reporting im DIN-Normungsausschuss.
Dieser Text ist im Personalmagazin Ausgabe 4/2019 erschienen. Dort lesen Sie auch, was HR-Praktiker, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaftsvertreter über den neuen HCR-Standard sagen.
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