Neue Arbeit braucht neue Ausstattung
Die Büromitarbeitenden von 70 Prozent der Unternehmen in Deutschland arbeiteten in der Hochphase der Corona-Beschränkungen überwiegend im Homeoffice. So lautet ein zentrales Ergebnis der Studie "Large Scale Home Office", die das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (Fraunhofer IAO) zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) im Mai 2020 durchgeführt hat.
Büroflächen werden nicht im bisherigen Maß weiterwachsen
Teams und Führungskräfte haben sich inzwischen weitgehend an die neuen Formen der Zusammenarbeit gewöhnt. Doch das Homeoffice und die Mehrfachbelastung von Homeschooling, Arbeit und Familienalltag in dafür häufig ungeeigneten Arbeitsumgebungen wie dem heimischen Küchentisch bringen langfristig auch Probleme für die Gesundheit und Stressbelastung von Beschäftigten und letztlich auch für deren Produktivität mit sich. Zugleich zeigt die DGFP-Studie, dass die Büroflächen im Unternehmen langfristig nicht mehr im bisherigen Maß weiterwachsen werden, möglicherweise werden die Flächen sogar schrumpfen: 27 Prozent der Befragten stimmen der Aussage, dass Wachstumswünsche in Bezug auf Büroflächen künftig kritischer betrachtet werden, "voll und ganz zu", weitere 34 Prozent stimmen "eher zu".
Hinzu kommt, dass durch die Umstellung auf Remote Work nicht nur häufiger im Homeoffice statt im Büro, sondern überhaupt häufiger am Computer gearbeitet wird: So zeigt die DGFP-Studie auch, dass der Corona-Lockdown viele Unternehmen gezwungen hat, für verschiedene bis dahin analog vorgenommene Services und Leistungen Konferenztechnik zu nutzen: 57 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, erstmals virtuelle Bewerbungs- oder Einstellungsgespräche geführt zu haben, 62 Prozent nutzen digitale Möglichkeiten erstmals auch für Mitarbeitergespräche.
Psychische und körperliche Beschwerden im Homeoffice
Doch auch jenseits von HR-Aufgaben zeigt sich ein starker Digitalisierungsschub in der Kommunikation der Betriebe: 72 Prozent der von der DGPF befragten Unternehmen gaben beispielsweise an, auch Auftragsklärungsgespräche mit Kunden virtuell durchzuführen. Die Wahrheit lautet demnach: Zu Hause erledigen Wissensarbeitende nicht nur die konzentrierten Aufgaben vor dem Computerbildschirm – auch für kreative Tätigkeiten, Wissensaustausch, Diskussionen und Informelles wird der heimische PC mit entsprechender Kollaborationssoftware genutzt. Selbst der soziale Austausch unter Kollegen oder mit Kunden findet zunehmend am Bildschirm statt.
Umso wichtiger ist ein entsprechend ausgerüsteter Computerarbeitsplatz. Doch noch scheint es hier Nachrüstungsbedarf zu geben: In einer Umfrage aus dem April 2020, die der Personalvermittler Avantgarde Experts unter 500 Arbeitnehmern mit Homeoffice-Möglichkeit durchgeführt hat, berichtete fast ein Drittel von psychischen (31 Prozent) und körperlichen (32 Prozent) Beschwerden, die seit den Corona-Beschränkungen aufgetreten seien. In der Hektik des Lockdowns gerieten diese Themen verständlicherweise zunächst aus dem Blick.
Die Wirtschaftskrise wirkt sich direkt auf die Büromöbelbranche aus
Wie gut lässt sich unser Zuhause überhaupt für diese neuen Formen von Arbeit ausrüsten? Und was geschieht langfristig mit den zeitweise gähnend leeren Büroflächen? Wie reagieren Unternehmen, aber auch Büroausstatter und Möbelhersteller auf die geänderten Anforderungen? Ein Blick auf den Markt der Büromöbelbranche zeigt: Vor allem die coronabedingte Wirtschaftskrise nagt an den alten Geschäftsmodellen. Gleichzeitig zeigen sich viele optimistisch und zukunftsgewandt. Die Branche bringt innovative Lösungen und Dienstleistungen hervor, sowohl für das Homeoffice als auch für das Post-Corona-Büro.
Das Homeoffice wird integraler Bestandteil der Arbeitswelt bleiben – aber nicht mehr am Küchentisch." - Jochen Ihring, Geschäftsführer von Dauphin
Die Auftragslage bei Büromöbeln ging im April erstmal zurück: "Wir haben über die kritischen Monate hinweg ein Minus von 25 Prozent im Auftragseingang verzeichnet, im April lag der Wert sogar bei 50 Prozent", erzählt Dauphin-Geschäftsführer Jochen Ihring. Zwischenzeitlich produzierte der Büromöbelhersteller aus dem fränkischen Offenhausen seine eigenen Mund-Nasen-Schutzmasken für Mitarbeitende. Zwar verbessere sich die wirtschaftliche Lage allmählich, so Ihring, dennoch werde die Krise wohl noch lange nachwirken, denn die Branche der Büromöbelhersteller und -ausstatter reagiere stets verhältnismäßig sensibel auf Wirtschaftskrisen: "Wenn die Wirtschaft insgesamt um zwei oder drei Prozent runtergeht, heißt das für unsere Branche eher 20 bis 30 Prozent." Es brauche dann häufig zwei bis vier Jahre, bis das Umsatzniveau der Branche wieder auf Vor-Krisenzeiten zurückkehre. "Allerdings gibt es eine immer größer werdende Anzahl von Unternehmen, die nun Mitarbeitende mit Stühlen fürs Homeoffice ausstatten, und zwar weltweit, vom Kleinunternehmen bis zum Großkonzern." Das Homeoffice werde integraler Bestandteil der Arbeitswelt bleiben, nur eben nicht mehr aus einem Laptop auf dem Küchentisch bestehen. Ihring ist überzeugt, dass Homeoffice die Arbeit im Büro langfristig aber nicht ersetzen wird: "Der Mensch will als soziales Wesen sein Gegenüber sehen. Außerdem ergeben sich viele Ideen in der Kaffeeküche."
Neue Produkte für Infektionsschutz und Möbel fürs Homeoffice
Michael Cappello, Vorstandssprecher von König und Neurath, führt den Umsatzrückgang der Branche ebenfalls nicht auf das Homeoffice, sondern auf die allgemeine wirtschaftliche Krise zurück: "Aktuell verzeichnet die Büromöbelbranche wie viele andere Wirtschaftszweige einen Einbruch. Dieser Rückgang ist jedoch nicht auf das Arbeiten im Homeoffice zurückzuführen."
Als Anbieter von Büromobiliar und Raumsystemen hat auch König und Neurath das eigene Portfolio schnell an die neue Situation angepasst: Durchsichtige Hygieneschutzpaneele sollen helfen, die neuen Arbeitsschutzstandards zu erfüllen. Auch für das Homeoffice sei eine ergonomische Büroausstattung notwendig, meint Cappello: "Der Bedarf an Arbeitsplätzen zu Hause, die qualitativ hochwertig, ergonomisch und funktional ausgestattet sein müssen, steigt." Er ist zuversichtlich, dass Unternehmen langfristig aber weiterhin in ihre Büroräume am Campus investieren: "Unternehmen verschieben Investitionsvorhaben oder passen Möblierungskonzepte an die neuen Anforderungen an." Durch digitale Tools könnten Unternehmen das Arbeiten im Homeoffice zwar als einen weiteren Baustein in verschiedenen Arbeitsmodellen etablieren, dennoch ist auch Cappello überzeugt: "Der soziale Kontakt und persönliche Austausch mit den Kollegen im Büro bleibt ein wichtiger Faktor in der Zusammenarbeit."
Mehr Flexibilität auf weniger Bürofläche?
Was sich in diesen Anbieterstimmen bereits andeutet: Auch wenn sich der Markt allmählich wieder erholt, ein "Weiter-so" wird es nach der Krise wohl nicht geben. Die veränderten Umstände vor Ort, aufgrund von Social Distancing und Infektionsschutz, aber eben auch aufgrund der flexiblen Nutzung von Räumen, Homeoffice und Desksharing, werden die Raumplanung und damit auch den Markt der Büroausstatter noch lange beschäftigen. "Wir gehen davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren mindestens 20 Prozent weniger Büroflächen genutzt werden und rund die Hälfte der Immobilienflächen ersetzt werden müssen", meint Tom Dreiner. Als Commercial Director ist er Mitglied der Geschäftsführung des Gebäudedienstleisters ISS Deutschland. Die Entwicklung hin zu neuen, digitalen Arbeitswelten beschleunige sich, sagt er: "Vor der Corona-Krise haben 23 Prozent der Berufstätigen mindestens einmal pro Woche im Homeoffice gearbeitet. Während der Corona-Krise arbeiten 39 Prozent mehrmals pro Woche im Homeoffice."
Letztlich müssen sich Unternehmen, die Immobilienwirtschaft und Büromöbelhersteller damit auseinandersetzen, dass unterschiedliche Mitarbeitende unterschiedliche Aufgaben an unterschiedlichen Orten erledigen werden. Bei ISS werden deshalb neue Dienstleistungen und Angebote für flexibles Arbeiten zu Hause oder im Büro geschaffen. Damit Unternehmen nicht für jedes kurzfristige Mitarbeiterwachstum oder für temporäre Auslastungsspitzen neue Arbeitsplätze einrichten oder gar neue Büroflächen schaffen müssen, seien flexible Lösungen gefragt. "Workplace as a Service" nennt Dreiner diese Idee: Anstatt fest eingerichteter Arbeitsplätze könnten Co-Working-Spaces mit Desksharing in Kombination mit mobiler Arbeit und Homeoffice den schwankenden Anforderungen gerecht werden. "Zusätzlich zu Angeboten wie Workplace as a Service können wir mit unserem Partner Kinnarps auch die Ausstattung der mobilen Arbeitsplätze für Co-Working und Homeoffice anbieten", erklärt Dreiner. Über einen Online Shop könnten ISS-Kunden auch Büroausstattung für zu Hause bestellen, die technisch und ergonomisch den Unternehmensstandards entsprechen.
Büromöbelhersteller bieten Seminare für Führungskräfte an
Klaus Schalk, Geschäftsführer des Büromöbelherstellers Kinnarps in Deutschland, bestätigt, dass das Angebot der Homeoffice-Möbel angenommen wird: "Seit dem Lockdown haben wir eine gesteigerte Nachfrage nach Stühlen, Tischen und ergänzenden Möbeln feststellen können, die sich gut in den Wohnalltag integrieren lassen." Da der Büromöbelhersteller auch schon zuvor den Homeoffice-Markt bedient habe, mussten hierfür keine neuen Produkte entwickelt werden, erklärt Schalk. Stattdessen habe man aus dem bestehenden Sortiment spezielle Homeoffice-Pakete für verschiedene Ansprüche zusammengestellt. "Um den Kunden schnellstmöglich beiseitezustehen, bieten wir für diese Lösungen eine dementsprechend schnellere Lieferzeit. Dazu gehören auch Angebote, die im kleinen Wohnraum integrierbar sind."
Für Schalk steht fest, dass die Branche trotzdem mit Umsatzrückgängen rechnen und sich rechtzeitig darauf einstellen muss. Wie viele Anbieter im Markt bietet er deshalb auch zusätzliche Beratungsmodelle an: In Webinaren können Führungskräfte sich beispielsweise darüber informieren, wie ein Team aus dem Homeoffice geführt werden kann. Nutzer erhalten Tipps, was sie bei der Einrichtung eines Heimarbeitsplatzes beachten sollten. "Als besonderen Service bieten wir Kunden Online Surveys dazu an, wie Mitarbeitende die Arbeit im Homeoffice beurteilen." Diese Leistungen werden im Rahmen des Beratungskonzepts "Next Office Concept" angeboten. Schalk sagt diesem eine vielversprechende Zukunft voraus: "Die Arbeitsumgebungen müssen neu gestaltet werden, um Menschen zusammenzuführen. Die bisherige Arbeitswelt wird sich ändern und den Anforderungen an das Coronavirus anpassen. Dafür sind gute, sichere und attraktive Lösungen gefordert."
Dieser Beitrag ist im aktuellen Sonderheft "Neue Arbeitswelten - Konzepte, Modelle, Räume" erschienen. Das Sonderheft können Sie hier kostenlos als PDF herunterladen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Datenschutz: Was Mobilarbeit von Homeoffice unterscheidet
Interview zur Ergonomie: "Dann tanzt die Wirbelsäule im Homeoffice Salsa"
-
Workation und Homeoffice im Ausland: Was Arbeitgeber beachten müssen
1.993
-
Essenszuschuss als steuerfreier Benefit
1.713
-
Vorlage: Leitfaden für das Mitarbeitergespräch
1.500
-
Ablauf und Struktur des betrieblichen Eingliederungsmanagements
1.276
-
Probezeitgespräche als Feedbackquelle für den Onboarding-Prozess
1.249
-
Krankschreibung per Telefon nun dauerhaft möglich
1.129
-
BEM ist Pflicht des Arbeitgebers
1.031
-
Checkliste: Das sollten Sie bei der Vorbereitung eines Mitarbeitergesprächs beachten
709
-
Das sind die 25 größten Anbieter für HR-Software
514
-
Modelle der Viertagewoche: Was Unternehmen beachten sollten
390
-
Tipp der Woche: Mehr Inklusion durch KI
19.12.2024
-
Gleichstellung in Europa verbessert sich nur langsam
16.12.2024
-
Fünf Tipps für effektive Recruiting-Kampagnen zum Jahresstart
13.12.2024
-
Eine neue Krankenkasse als Zeichen der Fürsorge
11.12.2024
-
Wie Personalarbeit wirtschaftlichen Erfolg beeinflusst
10.12.2024
-
1.000 neue Fachkräfte für den Glasfaserausbau
09.12.2024
-
KI für eine inklusive Arbeitswelt
06.12.2024
-
Weihnachtsgeld: Wer bekommt wie viel?
05.12.2024
-
Mit Corporate Volunteering Ehrenamt ins Unternehmen bringen
05.12.2024
-
Die Angst vor KI lässt nach
05.12.2024