Interview D. Sliwka: Boni können positive Effekte zerstören

In Feldexperimenten untersuchte die Universität zu Köln den Effekt von Boni und Gesprächen auf die Gewinnsteigerung – mit sehr überraschenden Ergebnissen. Professor Dirk Sliwka erklärt, wie sich diese Unter­suchungen auf die Forschung zur Mitarbeiter­motivation auswirken und wann Boni sogar schaden können.

Personalmagazin: In einem Feldexperiment, das Sie in einer Handelskette durchführten, steigerten Gespräche der Vorgesetzten mit den Mitarbeitern zu Verkaufsaktivitäten den Gewinn gewaltig. Doch dieser sank, sobald zusätzlich Boni ausgelobt wurden. Hatten Sie so etwas erwartet?

Prof. Dr. Dirk Sliwka: Keinesfalls. Auch für mich war das eines der überraschendsten Ergebnisse unserer RCT, also der Feldexperimente, die wir in verschiedenen Unternehmen zur Wirkung von Boni gemacht haben. Bei der Untersuchung, die Sie ansprechen, hatten wir in einer Region ungefähr zweihundertvierzig Supermärkte einer Handelskette in vier unterschiedliche Gruppen eingeteilt. In einer Gruppe führten anstelle einer Bonusauslobung die Vorgesetzten mit den Marktleitern im Zwei-Wochen-Rhythmus Gespräche zu bereits geschehenen und möglichen Aktivitäten zur Steigerung des Deckungsbeitrags. Nicht so überraschend für uns war, dass die Gespräche zur Gewinnsteigerung besser funktionierten als die Boni – es ergab sich hier eine deutliche Profitsteigerung zwischen sieben bis acht Prozent.

Erstaunlich aber war das Ergebnis einer weiteren Gruppe, in der es sowohl Boni als auch Gespräche gab: Hier hat der Bonus die Wirkung der Gespräche kaputt gemacht – die Auswirkungen auf den Profit waren ähnlich schwach wie in den Märkten, in denen lediglich Boni eingeführt worden waren oder in denen weder Boni noch Gespräche genutzt wurden.

Personalmagazin: Gibt es dafür eine Erklärung?

Sliwka: Ja, denn das Schöne an diesem Projekt war, dass wir sehr viel Daten sammeln und auch Gesprächsprotokolle dezidiert auswerten konnten. Dabei zeigte sich: In den Gruppen, in denen alleine Gespräche geführt wurden, aber kein Bonus ausgelobt war, wurde sehr offen über Probleme bei den Versuchen, den Deckungsbeitrag zu steigern, gesprochen. In den Märkten, in denen sowohl Gespräche wie auch Bonuszahlungen eingeführt wurden, wurden dagegen fast keine Probleme besprochen. Der aus unserer Sicht wahrscheinlichste Schluss ist, dass der Bonus die Offenheit und Authentizität der Gespräche überlagert. Die Gruppe der Märkte, die nur Gespräche führten, waren übrigens auch deutlich zufriedener mit dem Feedback ihrer Vorgesetzten bei den Gesprächen.

Boni können sowohl motivieren als auch bremsen

Personalmagazin: Also haben Sie nun einen Beweis, dass Boni gar nicht motivieren?

Sliwka: Man muss vorsichtig sein bei der Herleitung genereller Aussagen. In jedem Unternehmen und in jeder Branche können zusätzlich Mechanismen wirken. Deshalb gilt nach wie vor, dass es Kontexte gibt, wo wir sehr klare Evidenz haben, dass Boni wirken. Und es gibt Kontexte, wo wir immer mehr Evidenz sammeln, dass Boni auch nicht wirken können, beziehungsweise teilweise sogar, dass sie schaden können.

Personalmagazin: Das Ergebnis des eben besprochenen Beispiels könnte sich aber doch auch in vielen anderen Kontexten einstellen.

Sliwka: Sobald Geld im Hintergrund ist, wird die Natur des Austausches beeinflusst, das wirkt über alle Unternehmen hinweg. In der unter Praktikern geführten Debatte zum Zusammenspiel von Feedback, Performance und Boni taucht immer wieder das Argument auf, dass die Qualität des Feedbacks sich verändert, wenn Geld gezahlt wird. Wir haben in diesem Experiment die sehr saubere kausale Evidenz dafür gefunden, dass das tatsächlich stimmt.

Personalmagazin: Warum war das Ergebnis dann eigentlich so überraschend?

Sliwka: Es gibt ja einige Bereiche und Branchen, in der aus Unternehmensperspektive Bonuszahlungen immer noch sinnvoll zur Profisteigerung sein kann, zum Beispiel weil die Mitarbeiter nicht unbedingt intrinsisch motiviert sind. Wir haben beispielsweise bei Untersuchungen von Bonusspreizung in Banken feststellen können, dass in den Bereichen, wo man Leistung objektiv recht gut messen kann, Bonusdifferenzierungen auch Leistung treiben kann. Dass das gerade im Handel nicht funktioniert, wo man ja auch auf einer kleinen Einheit die Leistung sehr präzise messen kann und gute Finanzkennzahlen für die kleine Einheit hat, war für mich aber neu.

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Personalmagazin: Viele Unternehmen sind ja inzwischen davon abgekommen, Feedbackgespräche mit einem Bonus zu verknüpfen. Ihre Studienergebnisse bestätigen diese Entscheidung, oder?

Sliwka: Das Ergebnis stützt tatsächlich empirisch den Trend, Feedbackgespräche oder Zielvereinbarungen und Bonuszahlungen zu trennen. Boni sind ja auch in den Köpfen der Mitarbeiter nicht zwangsläufig mit Feedbackgesprächen verknüpft, sie werden teilweise alleine nach finanziellen Kennzahlen und unternehmensweit ausgezahlt. Zum anderen zeigt die Untersuchung aber auch die Bedeutung von Feedback, insbesondere der direkten Interaktion, bei der man über die wichtigen Performancegrößen spricht. Eine Implikation wäre, dass regelmäßige Gespräche über wesentliche Leistungsaspekte in diesem Fall viel wirksamer waren als die Bonuszahlung.

Die Wirkung von Boni ist sehr von der Persönlichkeit und der Art der Mitarbeiter abhängig. Ist sich ein Unternehmen beispielsweise relativ sicher, dass die Belegschaft sich mit den Zielen der Organisation weitgehend identifiziert, dann spricht mittlerweile aus meiner Sicht viel der neueren Evidenz dafür, dass man individuelle Boni oft nicht braucht. Viel Mehrwert können die Boni hier gar nicht schaffen, da die Mitarbeiter schon aufgrund ihrer eigenen Motivation hart an der Umsetzung der Unternehmensziele arbeiten.

Einheitliches Bonussystem im Unternehmen: ja oder nein?

Personalmagazin: Haben Sie noch mehr Beispiele dafür, dass Boni auch schaden können?

Sliwka: Wir haben ganz frische Daten von einem Handelsunternehmen, in dem wir die Wirkung eines Abwesenheitsbonus untersucht haben. Bei dem Projekt, das wir begleitet hatten, bekam die Hälfte der Auszubildenden einen Bonus, wenn sie keine Fehlzeiten hatte. Der eindeutige Feldbefund: Der Bonus hatte geschadet. Er hatte zu mehr Fehlzeiten geführt als in der Gruppe, die keinen Anwesenheitsbonus bekam.

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Personalmagazin: Und was ist hier Ihre Erklärung?

Sliwka: Die Effekte gab es nur bei den Auszubildenden im ersten Jahr, bei den Azubis im zweiten Jahr hat der Bonus keinen Unterschied bewirkt. Wir gehen deshalb davon aus, dass der Bonus beeinflusst hat, was die Azubis als Norm empfinden. Eigentlich empfindet der Mitarbeiter es als normal, dass er zur Arbeit kommen muss, wenn er gesund ist. Wenn das Unternehmen aber eben dafür einen Bonus auslobt, setzt es indirekt einen Preis für dieses eigentlich selbstverständliche Verhalten. Also wird das Verhalten für den Bonusempfänger verhandelbar: Nach dem Empfinden des Azubi wird es legitim, wenn er beispielsweise zu lange gefeiert hat oder montagmorgens noch müde ist, zu Hause zu bleiben und auf den Bonus zu verzichten. Gäbe es dagegen gar keinen Bonus, könnte der Mitarbeiter sich auch keine Legitimation für Fehlzeiten holen.

Personalmagazin: Was wäre jetzt die Ableitung für die Praxis aus den Ergebnissen Ihrer Untersuchungen?

Sliwka: Konsequenz könnte sein, dass man sich vielleicht ein Stück weit von dem Anspruch verabschieden sollte, dass ein Unternehmen ein einheitliches Bonussystem haben muss. Es kann durchaus auch sinnvoll sein, Bonussysteme stärker als bisher nach der Funktion zu variieren. Schon jetzt ist es ja oft üblich ein Bonussystem für die Vertriebsmitarbeiter zu haben, ein anderes für andere. Die Idee dahinter ist auch, dass Vertriebsmitarbeiter vom Typ her eher monetär motiviert sind, hier kann man die Leistung messen und sehr stark variabel vergüten. Bei anderen Mitarbeitern gelten dementsprechend andere Bonussysteme. Diesen Gedanken kann man aber auch weiterspinnen und die Frage, ob individuelle oder kollektive Boni genutzt werden oder ob man auf höhere Fixgehälter setzt, stärker nach Jobfamilien oder den Funktionen differenzieren.

Der Trend "weg vom Bonus" und seine Auswirkungen

Personalmagazin: Ist der Trend zur Motivation auch ohne Bonus eigentlich durch die veränderte Einstellung der Mitarbeiter veranlasst? Oder differenziert die Forschung nun einfach genauer zwischen einzelnen Mitarbeitern?

Sliwka: Der Trend, dass die variable Vergütung jedes Jahr weiter zurückgeht, ist empirisch eindeutig. Doch auf die Frage nach den Gründen kann ich Ihnen keine wirklich seriöse Antwort geben. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass sich die Natur der Mitarbeiter in den letzten Generationen gar nicht so sehr verändert hat, sondern dass die Erkenntnis wächst, dass Bonussysteme weniger gut funktionieren, als man lange Zeit geglaubt hat. Vor zwei Jahren wurde der Wirtschaftsnobelpreis noch an Hart und Holmström verliehen, zwei Theoretiker aus der Schule, die sehr stark von der Idee geprägt ist, dass Leute rational handeln und dass man über Geld steuern kann.

Insofern glaube ich eher, dass es auch ein Lernen ist. In den Neunzigerjahren gab es noch relativ wenig experimentelle Studien – doch die wenigen, die es gab, haben sehr oft positive Effekte der Boni gezeigt. Dadurch, dass wir heute immer mehr Studien haben, bekommen wir einfach ein differenzierteres Bild. Gleichzeitig merken die Unternehmen wohl auch, dass die Bonussysteme immer auch mit viel Aufwand verbunden sind.

Personalmagazin: Wie wirkt sich der Trend "weg vom Bonus" denn auf die Mitarbeiter aus? Haben die nicht das Gefühl, ihnen wird etwas weggenommen?

Sliwka: Tatsächlich hätte die Abschaffung des Bonus, wäre er mit einer Kürzung der Gehaltszahlung verbunden, auf jeden Fall negative Konsequenzen. Es gibt Studien, nach denen in Unternehmen, in denen nach Vereinheitlichung der Vergütung die Boni gekürzt wurden, die Motivation der Mitarbeiter noch Jahre später reduziert war. Hier wäre natürlich hilfreicher, man zahlt ein höheres Fixgehalt, um zumindest Teile der Bonuskürzung oder Abschaffung zu kompensieren.

Personalmagazin: Was würden Sie einem mittelständischen Unternehmen empfehlen, das seine Vergütung neu aufstellen möchte?

Sliwka: Zunächst muss man hier wieder auf die Branche schauen. Aber persönlich würde ich aus dem Bauchgefühl heraus gerade im Mittelstand empfehlen, den Bonus als Gewinnbeteiligung vor Allem abhängig vom finanziellen Erfolg des Unternehmens zu machen. Früher wurde aus Sicht der Ökonomen gegen solch ein System immer eingewandt, dass es Trittbrettfahrerprobleme auslöse. Aber wir sammeln immer mehr Erkenntnisse dazu, dass dieses Problem weit weniger gravierend zu sein scheint, als man das aus der Theorie heraus immer befürchtet hat. Doch es gibt bestimmt auch Mittelständler, bei denen die Mehrheit im Außendienst schwer direkt kontrollierbar ist und eventuell den Job alleine wegen der Bezahlung macht. Hier kann ein individueller Bonus, der nur den Einzelerfolg beurteilt, passen. Man muss also immer genau auf den einzelnen Mitarbeiter und den Kontext schauen.


Das Interview ist in ungekürzter Fassung im Personalmagazin 11/2019 erschienen. Lesen Sie die gesamte Ausgabe auch in der Personalmagazin-App


Schlagworte zum Thema:  Vergütung, Bonusprogramm