Jedes dritte Unternehmen ohne KI-Strategie
In ruhigem Fahrwasser bewegen sich Unternehmen derzeit nicht: Während viele noch damit beschäftigt sind, sich zu digitalisieren, taucht schon das Thema KI auf. Wie die Digitalisierung ist KI ein allumfassendes Unterfangen, betrifft es doch alle Facetten einer Organisation. In ihrem HR-Report 2024 haben der Personaldienstleister Hays und das Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) nun empirisch untersucht, wie KI künftig die gesamte Unternehmenswelt beeinflusst – von den Geschäftsprozessen über Führung bis hin zu den Beschäftigungseffekten: "Für uns war es wichtig zu erfahren, welchen Einfluss der Einsatz von künstlicher Intelligenz auf die Kompetenzanforderungen der Mitarbeitenden hat, aber auch generell, welches strategische Ziel Unternehmen damit verfolgen," erklärt Sarah Köhl, Head of Technology bei Hays, was den Ausschlag für das diesjährige Schwerpunktthema des HR-Reports gab.
Laut dessen Daten nutzt bereits etwas mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen KI-Anwendungen (53 Prozent). In erster Linie in ihrer IT, in Forschung und Entwicklung sowie im Vertrieb. Jedes zehnte Unternehmen setzt KI im HR-Bereich ein. Zu den Unternehmen, die in Sachen KI aktiv sind, gehört das weltweit tätige Unternehmen Festo, das Steuerungs- und Automatisierungstechnik herstellt und hier KI-Lösungen integriert: "In der HR selbst setzen wir noch keine KI-Lösungen ein. Wir planen für unsere Mitarbeitenden einen Chatbot, um ihre Fragen an uns sofort beantworten zu können, ohne dass sie auf unser Team warten müssen," stellt Martin Günther fest. Er ist Vice President Global HR Business Partners bei Festo.
Künstliche Intelligenz: HR verhält sich noch zurückhaltend
Auch die Ifm-Unternehmensgruppe bietet ihren Industriekunden in ihren Komponenten und Systemen KI-Lösungen an. In HR-Bereich ist Ifm jedoch vorsichtiger, was den Einsatz von KI betrifft: "Wir nutzen Instrumente, in denen KI im Hintergrund läuft, wie LinkedIn und Microsoft. Zudem können unsere Mitarbeitenden mit ChatGPT arbeiten," führt Steffen Fischer, Geschäftsführer Personal, aus. Da er selbst ein eigenes KI-HR-Lab betreibe, kenne er die KI-Werkzeuge für HR und beobachte genau, wie die Europäische Union den Umgang mit KI regele. Im Bundesverband der Personalmanager, für den Steffen Fischer aktiv ist, öffnen sich HR-Akteure zunehmend in Richtung KI: "HR ist zwar nicht so IT-affin, aber erkennt langsam, dass sie sich damit beschäftigen müssen."
"HR ist zwar nicht so IT-affin, aber erkennt langsam, dass sie sich damit beschäftigen müssen." - Steffen Fischer, Geschäftsführer Personal der Ifm-Unternehmensgruppe
Wie Ifm nutzt das People & Culture Team von Powercloud, das eine Software-as-a-Service-Plattform für die Energiewirtschaft betreibt, die KI-Möglichkeiten der Microsoft Suite für die tägliche Arbeit: "Zudem nutzen wir ChatGPT für Texte, Übersetzungen, konzeptionelle Arbeiten oder Recherchen," sagt Alexander Türpe, Chief People & Culture Officer des Unternehmens. Im Kerngeschäft nutzt das Unternehmen KI an verschiedenen Stellen zur Softwareentwicklung und zur Automatisierung von Prozessen
Diese beiden Beispiele zeigen: Unternehmen nutzen KI in ihrem Kerngeschäft, wenn es ihre Produkte und Services verbessert. Nichtsdestotrotz verfügt nur ein Drittel der für den HR-Report befragten Organisationen über eine KI-Strategie. Von den Unternehmen, die bereits KI nutzen, tun dies drei von zehn Unternehmen ohne eine Strategie.
Bei Ifm gibt es dagegen einen fachübergreifenden Strategiekreis, der neue Trends analysiert und nach ihrer Relevanz für das Unternehmen überprüft. Dies gelte auch für KI. Festo hat eine KI-Strategie: "Wir wollen unsere Automatisierungstechnik digital besser machen und unsere Produkte innovativ gestalten", so Martin Günther. Grundsätzlich sei KI in die unternehmensweite Strategie integriert, in der es vor allem darum gehe, das Kerngeschäft kontinuierlich zu optimieren: "Wir nutzen KI, um produktiver zu werden und den Mitarbeitenden mehr Raum für kreative Themen zu eröffnen."
KI soll vor allem das Kerngeschäft verbessern
Dieser Ansatz spiegelt sich auch in den Daten des HR-Reports wider. So sehen die Befragten die Beschleunigung von Prozessen (45 Prozent) als größten KI-Vorteil; gefolgt von der Chance, große Datenmengen zu verarbeiten (34 Prozent). Weniger im Fokus steht dagegen, die eigene Innovationskraft zu stärken (21 Prozent). Bereits in den vorherigen Ausgaben des HR-Reports zeigte sich anhand der analysierten Themen, dass deutsche Unternehmen eher ihr bestehendes Kerngeschäft optimieren, als neue Wege zu beschreiten.
Organisatorisch sind die KI-Aktivitäten - so der HR-Report - in vier der zehn befragten Unternehmen im IT-Bereich verankert. In jedem dritten Unternehmen verantwortet die Geschäftsführung das KI-Thema und in 17 Prozent der CIO. Jedes zehnte Unternehmen lässt den Fachbereichen eigenen Spielraum. Festo gehört zu diesen Unternehmen: "Wir haben nicht einen KI-Verantwortlichen. KI hat bei uns je nach Anwendung funktional unterschiedliche Heimathäfen", konstatiert Martin Günther. Wenn HR KI-Lösungen einführe, würde dies auch im Bereich verantwortet.
"Wir haben nicht einen KI-Verantwortlichen. KI hat bei uns je nach Anwendung funktional unterschiedliche Heimathäfen." - Martin Günther, Vice President Global HR Business Partners bei Festo
Bei Ifm gibt es ebenfalls noch keine eigene KI-Abteilung. Auch hier sind die Fachbereiche die maßgeblichen Instanzen. Unternehmensweit werde aber ein Rahmen gesetzt, wie KI zu nutzen sei: "Die sich aus dem KI-Einsatz ergebenden Aufgaben teilen wir uns gemeinschaftlich in übergreifenden Arbeitskreisen und Vorgehensweisen auf", zeigt Steffen Fischer auf. Dabei kümmere sich HR vor allem um die Fort- und Weiterbildung: "Wir erklären unseren Mitarbeitenden auf unterschiedlichen Niveauebenen KI und animieren sie, das Thema anzugehen."
KI ersetzt nicht Führungsaufgaben
Jenseits der harten Themen liefert der aktuelle HR-Report Daten zu den "weichen" Themen rund um den KI-Einsatz, wie Führung: KI werde die Führungskräfte vor allem von Routine- (45 Prozent) und Kontrollaufgaben entlasten (36 Prozent) sowie bei Entscheidungen unterstützen (33 Prozent). Dabei sind die Führungskräfte gefordert, den Blick auf die Menschen hinter den Zahlen zu bewahren (34 Prozent), sich die erforderlichen Fachkompetenzen im Umgang mit KI anzueignen (33 Prozent) und Vertrauen in KI und KI-gestützte Entscheidungen zu schaffen (31 Prozent).
Steffen Fischer ist sich hier sicher, dass KI keine Führung ersetzt: "Ich kenne kein Unternehmen, das glaubt, KI übernehme die Auswahl- und Förderungsprozesse. Sie dient als Assistent." Für Martin Günther ist es wichtig, dass Führungskräfte KI bei ihren Mitarbeitenden vernünftig positionieren: "Führung muss sie befähigen, mit KI konstruktiv umzugehen, und ihnen aufzeigen, wie KI ihnen im Arbeitsalltag helfen kann." Dass KI den Führungskräften ihre Verantwortung abnehme, komme für Festo ebenfalls nicht infrage: "Auch wenn wir eine Tech Company sind, steht bei uns der Mensch im Zentrum." KI verstärke die Fähigkeiten von Menschen, sei aber kein Substitut.
In die gleiche Richtung denkt Powercloud. Durch KI bekämen Führungskräfte mehr Informationen an die Hand und müssten lernen, diese sinnvoll für ihre Mitarbeitenden einzusetzen: "Wir erleben durch KI keine Neuentdeckung von Führung, sondern eine Weiterentwicklung," ist sich Alexander Türpe sicher.
"Wir erleben durch KI keine Neuentdeckung von Führung, sondern eine Weiterentwicklung." - Alexander Türpe, Chief People & Culture Officer bei Powercloud
Wie sich KI auf die Unternehmenskultur auswirkt, dazu vermitteln die Daten gleichfalls ein erstes Bild: KI verändere vor allem die Kommunikationsstrukturen (37 Prozent) und führe zu einer Symbiose von Technik und Mensch (31 Prozent), Dass KI Informationen und Wissen demokratisiere sowie eine Kultur der Mitarbeiterorientierung fördere, glauben dagegen nur 15 Prozent bzw. 13 Prozent. Für Alexander Türpe ist es deshalb entscheidend, "wie gut Mitarbeitende in den Prozess des KI-Einsatzes eingebunden sind." Da KI große Mengen von Informationen auswerten könne, stelle sich natürlich die Frage, ob sich damit Mitarbeitende besser kontrollieren lassen. Dies führe zu Unsicherheiten: "Hier müssen Unternehmen sehr transparent sein, wie weitgehend sie Tools einsetzen." Damit steht er nicht allein: Für die Befragten des HR-Reports bildet der Datenschutz die größte Herausforderung beim KI-Einsatz (32 Prozent).
Menschen bleiben das Maß der Dinge
Für Festo rechnet Martin Günther nicht damit, dass KI die Grundfesten der Kultur verändere: "Unsere Kultur basiert auf Wertesystemen, in die sich KI einfügt." Doch die Frage, ob wir Dinge künftig selbst machen oder ob es dafür KI-Lösungen gebe, werde das Unternehmen verändern.
Und was verändert sich für die Mitarbeitenden selbst? Laut den empirischen Daten des HR-Reports erhoffen sich Unternehmen von KI vor allem einen Zeitgewinn (43 Prozent) sowie durch Arbeitserleichterungen weniger Stress (37 Prozent). Dagegen werde KI weniger ihre Handlungsspielräume erweitern (18 Prozent) oder ihre Arbeitstätigkeit aufwerten (17 Prozent).
Aus der Praxis überwiegen die positiven Töne, wie sich das Verhältnis von KI und Mitarbeitenden entwickeln werde: "Uns zu automatisieren bedeutet, dass wir uns auf die wesentlichen Themen konzentrieren und Menschen für kreative Themen freischaufeln. Denn wir differenzieren uns über die Haltung und Kompetenzen unserer Mitarbeitenden", betont Martin Günther. "Großartige Chancen" für Mitarbeitende sieht auch Alexander Türpe. Der Umgang mit KI-Tools vereinfache ihren Alltag und ermögliche es, Neues zu lernen: “Durch transparente Informationen zeigt KI auf, welche Rolle jede und jeder Einzelne für den Unternehmenserfolg spielt. Das erhöht ihre Wirksamkeit.“
"Künstliche Intelligenz hilft Unternehmen, die Arbeitsabläufe zwischen Menschen und Maschine neu zu gewichten." - Sarah Köhl, Head of Technology bei Hays
Auch für Hays verändert KI die Arbeitswelt nachhaltig: "Sie hilft Unternehmen, die Arbeitsabläufe zwischen Menschen und Maschine neu zu gewichten und die Arbeit für Mitarbeitende wieder reizvoller zu machen. So können sie in neue Wissensgebiete eintauchen und für ihr Unternehmen mehr Innovation erzeugen", ist sich Sarah Köhl sicher.
KI polarisiert den Arbeitsmarkt
Wie sich KI auf die Entwicklung der Beschäftigungszahlen auswirkt, darüber sind sich die Befragten des HR-Reports uneins. Knapp vier von zehn gehen von gleichbleibenden Beschäftigungszahlen aus (38 Prozent), doch fast die die gleiche Anzahl (37 Prozent) rechnet mit einer sinkenden Beschäftigung. Nur 14 Prozent meinen, KI sorge für mehr Beschäftigung. Nicht überraschend erwarten daher drei von vier der Befragten für ihr Unternehmen Substitutionseffekte, vor allem bei Routine- und einfachen Analysetätigkeiten. Sechs von zehn gehen davon aus, dass die Anforderungen an Qualifikationen zunehmen und qualitativ höherwertige Stellen entstehen werde. Die Hälfte sieht zudem Polarisierungseffekte, das heißt einen Anstieg der Nachfrage nach niedrig- als auch hochqualifizierter Arbeit bei Rückgängen im mittleren Niveau.
Steffen Fischers Beobachtungen gehen in die gleiche Richtung: "Bestimmte Aufgaben werden wegfallen. Zudem werden sich viele Tätigkeiten verändern." Aber für eine flächendeckende Bewertung sei es noch zu früh. Auch Alexander Türpe ist davon überzeugt, dass KI viele heutige Jobs signifikant verändern werde. Manche Tätigkeiten würden überflüssig, andere deutlich einfacher. Gleichwohl werde es neue Jobs geben, die wir heute noch nicht vorhersehen: "Denn die ständige Veränderung der Arbeitswelt aufgrund technologischer Fortschritte ist eine never ending story."
KI schaffe neue Arbeitsplätze, glaubt Martin Günther. KI sei für Festo kein Instrument, um Personal abzubauen: "Vielmehr geht es darum, die Dinge schneller, besser und effizienter zu machen." Dadurch könne sich das Unternehmen anderen wichtigen Themen zuwenden. Festo habe folglich eine positive Sicht auf KI und sehe die vielen Chancen.
Mit diesem Ausblick steht Martin Günther nicht allein: In Summe bewerten auch die HR-Report-Befragten die Chancen von KI ungleich höher als deren Risiken. Gerade die Befragten, deren Unternehmen bereits mit KI vertraut sind, äußern sich teils deutlich positiver. Daraus lässt sich schließen: Einige der bestehenden Ängste, Sorgen und Herausforderungen lassen sich durch die konkrete Praxis mit KI entkräften.
"Nicht der gewinnt, der die besten Tools hat, sondern der, der das beste Zusammenspiel zwischen Menschen und Maschine hinbekommt." - Steffen Fischer, Geschäftsführer Personal der Ifm-Unternehmensgruppe
Im Zentrum steht vielmehr, eine produktive Symbiose zwischen den Fähigkeiten der KI und den Kompetenzen von Menschen zu entwickeln, in der Menschen die letztendliche Instanz bleiben: "Nicht der gewinnt, der die besten Tools hat, sondern der, der das beste Zusammenspiel zwischen Menschen und Maschine hinbekommt", bringt es Steffen Fischer auf den Punkt.
Über den HR-Report: Für den HR-Report 2024 haben 972 Entscheiderinnen und Entscheider empirische Daten geliefert. Knapp die Hälfte davon (49 Prozent) sind im Dienstleistungsbereich tätig, 34 Prozent im Industriesektor und 18 Prozent im Öffentlichen Dienst. Die befragten Führungskräfte kommen aus Fachabteilungen (37 Prozent), aus dem HR-Bereich (23 Prozent), sind und gehören der Unternehmensleitungen (18 Prozent). 22 Prozent der Befragten sind Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung.
Mehr zum Thema Künstliche Intelligenz in HR lesen Sie auch im Schwerpunkt von Personalmagazin Ausgabe 3/2024.
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