"Die Leute sind heiß auf Digitalisierung"
Personalmagazin: Die größte Hürde der Digitalisierung sei, zwischen digital und analog zu unterscheiden, hat Rahmyn Kress, ehemals Chief Digital Officer bei Henkel, einmal gesagt.
Lucas Kohlmann: Und er hat Recht! Denn was ist heute überhaupt noch analog? Vielleicht die gedruckte Zeitung, die ich aus Nostalgie weiterbeziehe. Aber sonst? Ich beobachte, dass wir privat oft digitaler unterwegs sind, als bei der Arbeit. Was zu Hause längst Alltag ist, Cloud-Services wie Apple Pay beispielsweise, kommt nur schleppend im Büro an. Das muss sich ändern.
Personalmagazin: Woran liegt das?
Kohlmann: Es ist ein großer Unterschied, ob ich digitale Tools nutze oder sie verstehe. Mangelndes Grundverständnis kann zu Unsicherheit oder Scham führen. Ich erlebe das selbst oft. Da fallen Fachbegriffe, als wären es Alltagsworte, aber niemand würde sich trauen zuzugeben, sie nicht zu verstehen. Das ist schade. Da müssen wir ansetzen!
"Wir wollen unser digitales Wissensniveau durch die Initiative deutlich erhöhen.“ Lucas Kohlmann, Global Director HR Henkel
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Personalmagazin: War das der Anlass für die Digital-Upskilling-Initiative bei Henkel?
Kohlmann: Die Trainings gehen weit über das Verstehen von Begrifflichkeiten hinaus. Die Digitalisierung schreitet so rasant voran und verändert unsere Arbeit und unsere Geschäfte in ungeahnter Geschwindigkeit. Da hinkt man zwangsläufig hinterher. Doch wir wollen nicht nur eine ständige Aufholjagd betreiben. Wir wollen in Führung gehen.
Henkel will den digitalen Wandel messbar machen
Personalmagazin: Das klingt nach einem langfristigen Transformationsprojekt. Welche Gedanken verfolgen Sie damit?
Kohlmann: Alle reden von digitaler Transformation. Aber der Begriff bleibt abstrakt. Wir haben uns vorgenommen, ein Programm zu entwickeln, mit dem wir den Wandel messbar machen können. Messbar im Sinne von: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Daraus sollte ein Benchmarking entstehen und begleitend dazu Lernangebote für unsere Mitarbeiter.
Personalmagazin: Bei 53.000 Mitarbeitern dürften die Lernbedürfnisse sehr unterschiedlich sein. Wie werden Sie dem Gerecht?
Kohlmann: Die Digital-Upskilling-Initiative zielt in zwei Richtungen, den Digital Base-Fit und den Digital Expert-Fit. Zuerst vermitteln wir digitales Basiswissen. Beim Expert-Fit geht es um Expertenwissen, also Kompetenzen, die in den nächsten drei bis fünf Jahren in bestimmten Berufsprofilen voraussichtlich wichtig werden.
Personalmagazin: Wie genau funktioniert der Base-Fit?
Kohlmann: Die Teilnehmer absolvieren einen anonymen spielerischen Test zum digitalen Allgemeinwissen. Daran können alle Mitarbeiter, von der Feuerwache bis zur IT-Assistenz, teilnehmen. Sie beantworten Fragen wie: Was ist Blockchain, was ist Bitcoin, was ist eine Cloud? Das dauert etwa dreißig Minuten. Basierend auf den Ergebnissen können die Mitarbeiter kurze Trainings absolvieren, um Wissenslücken zu schließen. In die Resultate der einzelnen Teilnehmer haben wir keinen Einblick.
Personalmagazin: Und wie unterscheidet sich der Expert-Fit davon?
Kohlmann: Damit wollen wir spezifischer und tiefgreifender die digitalen Fachkompetenzen verschiedener Berufsprofile weiterentwickeln. Gemeinsam mit der Managementberatung Accenture haben wir zunächst zehn Geschäftsfelder identifiziert, auf die wir uns fokussieren möchten, darunter Vertrieb, Marketing, Kommunikation, Finanzen und Einkauf. Für diese Gruppen haben wir gemeinsam mit dem jeweiligen Fachbereich Kompetenzprofile erstellt, sogenannte „Capability Frameworks“. Wichtig war uns, diese mit den Anforderungen der jeweiligen Teams abzugleichen und anzupassen.
"Wir ermitteln den digitalen Kenntnisstand unserer Mitarbeiter und gleichzeitig als Unternehmen unseren „digitalen Reifegrad“. Lucas Kohlmann, Global Director HR Henkel
Personalmagazin: Sicherlich gibt es in den einzelnen Geschäftsfelder auch Digitalexperten. Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Wissensständen innerhalb der Gruppen um?
Kohlmann: Die Mitarbeiter der einzelnen Job-Gruppen durchlaufen eine anonyme Online-Selbsteinschätzung. So ermitteln sie ihren digitalen Kenntnisstand und wir als Unternehmen unseren „digitalen Reifegrad“. Auf Basis der Selbsteinschätzung erhalten die Mitarbeiter je nach Job-Gruppe zielgerichtete Trainings, die auf zuvor definierte Zukunftskompetenzen sowie künftige Geschäftsanforderungen zugeschnitten sind.
Fünfstufige Skala zum digitalen Reifegrad
Personalmagazin: Die Einzelergebnisse der Selbsteinschätzung kann Henkel also nicht einsehen, die Gesamtergebnisse schon. Welchen digitalen Reifegrad hat das Unternehmen?
Kohlmann: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt eine fünfstufige Skala von „Below essential“ bis „Industry Leading“. Derzeit bewegen wir uns in vielen Bereichen noch zwischen „Essential“ und „Intermediate“. In ein bis zwei Jahren wollten wir bei einer erneuten Selbsteinschätzung auf Intermediate-Level sein. Den Fortschritt werden wir also stetig messen.
Personalmagazin: Dafür müssen Ihre Mitarbeiter ordentlich pauken.
Kohlmann: Und dabei unterstützen wir sie! Deshalb haben wir uns für eine cloudbasierte Learning-Plattform von Cornerstone on Demand entschieden. Darüber können wir unterschiedliche Lernformate anbieten – Videos, Quiz, Workshops und Live-Vorträge, die Mitarbeiter entweder online absolvieren oder als Präsenzveranstaltung buchen können. Die Angebote sind vielfältig und die Plattform durchaus „entertaining“. Lernen soll Spaß machen und in den Alltag integriert werden. Und es soll passgenau sein! Entsprechend ihrer Selbsteinschätzung erhalten Mitarbeiter Empfehlungen für passende Trainings. Dabei können sie speziellen Lernpfaden für ihre Berufsprofile folgen.
"Wir wollen unsere Lernkultur nachhaltig steigern und die digitalen Fähigkeiten unserer gesamten Belegschaft systematisch und strukturiert verbessern."
Personalmagazin: Das klingt nach klassischer Fortbildung, nur eben online.
Kohlmann: Es ist viel mehr als das. Wir wollen unsere Lernkultur nachhaltig steigern und die digitalen Fähigkeiten unserer gesamten Belegschaft systematisch und strukturiert verbessern. Dafür haben wir eine inspirierende Lernplattform geschaffen, die Interaktion fördert. Die Funktionsweise orientiert sich an dem, was Mitarbeiter aus dem Privaten kennen, also von Plattformen wie Facebook oder Amazon. Die Nutzer können Inhalte kommentieren, bewerten und empfehlen. Das Feedback hilft uns, die Trainings weiterzuentwickeln – und dient auch der Qualitätssicherung. Aktuell liegt die Durchschnittsbewertung des Digital Base-Fit zum Beispiel bei 4,2 von fünf Sternen.
Personalmagazin: Wie viele Inhalte bieten Sie insgesamt an?
Kohlmann: Derzeit liegen wir bei etwa 3.000 Inhalten. Es werden aber noch weitere hinzukommen. Doch viel wichtiger als die Masse der Inhalte ist, dass wir durch spezifische Trainings für Berufsprofile Orientierung und maßgeschneiderte Lernpfade bieten. Im Vergleich zu unseren vorherigen Lernplattform haben wir die Inhalte auch deutlich reduziert. Da hatte sich über die Jahre Vieles angesammelt, das längst nicht mehr relevant war.
Personalmagazin: Was bieten Sie Mitarbeitern, die in der Selbsteinschätzung bereits sehr gut abschneiden?
Kohlmann: Zunächst einmal wissen wir nicht, welche Mitarbeiter das sind, denn die Self-Assessments sind natürlich anonym. Doch wir wollen die Spitzenreiter, die als Industry Leading abschneiden, kennenlernen und bieten ihnen an, dass sie sich freiwillig bei HR melden. Diese „Gurus“ würden wir gerne als Botschafter und Experten einbinden. Von ihnen wollen wir lernen!
Bereits 7.300 Mitarbeiter haben Basis-Test absolviert
Personalmagazin: Wie viele Mitarbeiter haben Zugriff auf den Base- und den Expert-Fit?
Kohlmann: Den Test zum Base-Fit haben bereits 7.300 Mitarbeiter absolviert, für die Selbsteinschätzung zum Expert-Fit haben wir knapp 10.000 Mitarbeiter angesprochen. Gerade beim Basiswissen gibt es noch zwei Hürden: die Zugriffsmöglichkeiten und die Sprache. Teilnehmen kann derzeit nur, wer einen Computerzugang bei der Arbeit hat. Hier arbeiten wir mit Hochdruck an einer Lösung, um die Inhalte allen Kollegen zur Verfügung stellen zu können.
Aktuell gibt es den Base-Fit bereits in fünf Sprachen, doch es sollen noch weitere dazu kommen. Schließlich arbeiten bei Henkel Mitarbeiter aus mehr als 120 Nationen. Gerade arbeiten wir an einer russischen und einer chinesischen Version.
Personalmagazin: Mehr als Basiswissen ist für die Blue-Collar-Worker also nicht eingeplant. Dabei sind doch gerade diese Arbeitsplätze von Automatisierung und Digitalisierung besonders bedroht.
Kohlmann: Der Base-Fit richtet sich an alle Mitarbeiter – da wird weder nach Hierarchie noch nach Jobprofil unterschieden. Digitalisierung spielt in der Produktion eine enorm wichtige Rolle. Die Stichworte sind: Robotics, Automatisierung, Industrie 4.0. Deshalb wollen wir natürlich auch alle Mitarbeiter einbinden und bieten für alle qualifizierte Trainings an, auch jenseits der Digital-Upskilling-Initiative. Da ist viel Learning-on-the-Job gefragt. Sobald wir technische Neuerungen in der Produktion einführen, schulen wir unsere Mitarbeiter dahingehend.
Personalmagazin: Ist nicht das gerade dieses Hinterherlaufen, das Sie mit der Initiative vermeiden wollen?
Kohlmann: Das sehe ich nicht so. Zumal wir auch das Arbeitsumfeld berücksichtigen müssen. Im Schichtbetrieb ist es deutlich schwieriger, Lernpfade im Umfang von 20 oder 30 Stunden über mehrere Wochen verteilt, unterzubekommen. Davon abgesehen arbeiten wir gerade in der Produktion mit maximaler Digitalisierung. In Düsseldorf betreiben wir eines der modernsten vollautomatischen Hochregallager der Welt.
Personalmagazin: Wie verankern Sie die neue Lernkultur bei Henkel?
Kohlmann: Zunächst einmal, indem die Mitarbeiter während der Arbeitszeit lernen. Dabei profitieren wir vom Commitment und Engagement des Topmanagements, dass den Mehrwert der Trainings klar erkennt. Das ist uns auch deshalb gelungen, weil wir alle Beteiligten, auch den Betriebsrat, von Beginn an einbezogen haben und so Fürsprecher innerhalb des gesamten Unternehmens gewinnen konnten.
"Wir investieren in die Zukunftsfähigkeit unseres Unternehmens. Deshalb ist auch klar, dass alle Geschäftsbereiche sich entsprechend beteiligen." Lucis Kohlmann, HR Henkel
Personalmagazin: Eine Initiative in dieser Dimension dürfte mit hohen Kosten verbunden sein. Wer trägt diese?
Kohlmann: Natürlich ist das eine Investition – in die Mitarbeiter und ihre Skills. Ich möchte aber ganz klar betonen: Das ist keine HR-Initiative. Wir investieren in die Zukunftsfähigkeit unseres Unternehmens. Deshalb ist auch klar, dass alle Geschäftsbereiche sich entsprechend beteiligen und die Kosten für die teilnehmenden Mitarbeiter tragen. Diese Investition ist wichtig und notwendig und Qualität hat ihren Preis. Das zu vermitteln, war und ist ebenfalls Teil des Kulturwandels. Es kommt uns jedoch zugute, dass wir durch die hohen Teilnehmerzahlen – allein im Marketing machen 1.200 Mitarbeiter mit – Skalierungseffekte erzielen.
Personalmagazin: Wie messen Sie die Erfolge?
Kohlmann: Indem wir die Selbsteinschätzung für den Expert-Fit wieder holen. Das wird auch der Lackmustest für unser Konzept sein. Gesteigerte Kompetenzen sollten sich natürlich auch in gesteigertem Output der einzelnen Geschäftsbereiche niederschlagen.
Personalmagazin: Wann erwarten Sie erste Ergebnisse?
Kohlmann: Die Trainings für die einzelnen Jobprofile laufen seit Sommer 2019. Ich rechne damit, dass wir Ende 2020, Anfang 2021 die Selbsteinschätzung wiederholen können.
Das Interview ist ursprünglich in Personalmagazin 02/2020 erschienen. Lesen Sie die gesamte Ausgabe auch in der Personalmagazin-App.
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