So sinnstiftend ist Arbeit heute
Empfinden die Beschäftigten in Deutschland heute ihre Arbeit als sinnstiftend? Wenn ja, von welchen Faktoren hängt diese Einschätzung ab? Und was sind die Konsequenzen eines positiven Sinnempfindens? Ist der Sinngehalt durch die Tätigkeit bereits festgelegt oder durch personalpolitische Maßnahmen gestaltbar?
DGB-Index "Gute Arbeit" erhebt den Sinngehalt des Jobs
Zu diesen Fragen gibt der DGB-Index "Gute Arbeit" des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Antworten. Es handelt sich dabei um eine jährliche repräsentative Befragung zu Beschäftigungsbedingungen mit zuletzt fast 10.000 Befragten. Die Studienautoren fragen dabei explizit nach dem Sinnempfinden der Arbeitnehmer – mithilfe von drei Einzelfragen:
- Haben Sie den Eindruck, dass Sie mit Ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten?
- Haben Sie den Eindruck, dass Sie mit Ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag für Ihren Betrieb leisten?
- Inwieweit identifizieren Sie sich mit Ihrer Arbeit?
Die drei Aspekte bilden unterschiedliche Dimensionen des Sinnempfindens ab und sind nur schwach bis mittelstark miteinander korreliert (Korrelationen von r=0,32 bis 0,38), das heißt, hohe Ausprägungen in einer Dimension gehen nicht zwingend mit hohen Ausprägungen in einer anderen Dimension einher.
Arbeit wird überwiegend als sinnvoll angesehen
73 Prozent der Befragten geben an, in hohem oder sehr hohem Maße einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten (auf einer Vierer-Skala: gar nicht, in geringem Maße, in hohem Maße, in sehr hohem Maße). Für den Beitrag zum Betrieb sehen dies sogar 91 Prozent. Identitätsstiftend ist die Arbeit für 90 Prozent der Befragten.
"Der Sinngehalt der Arbeit erfährt die mit Abstand positivste Bewertung bei den Arbeitsbedingungen und dies mit einer bemerkenswerten Konstanz im Zeitverlauf seit 2012." Prof. Weckmüller wertet den #DGB-Index im #personalmagazin aus @HSKoblenz
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Überraschend wird das Ausmaß der Zustimmung im Vergleich mit den weiteren Befragungskategorien zu den Arbeitsbedingungen: Der Sinngehalt der Arbeit erfährt die mit Abstand positivste Bewertung und dies mit einer bemerkenswerten Konstanz im Zeitverlauf seit 2012.
Sinnvolle Arbeit macht nicht unbedingt zufrieden …
Der subjektiv empfundene Sinngehalt der Arbeit ist eine eigenständige Kategorie neben den etablierten Konstrukten wie Arbeitszufriedenheit oder Engagement. Die Korrelation zwischen dem Sinngehalt und der Arbeitszufriedenheit liegt bei 0,28. Bei näherer Betrachtung der Einzelitems entsteht diese Korrelation vor allem durch die identitätsstiftende Funktion der Arbeit, während der gesellschaftliche Beitrag nur schwach mit der Zufriedenheit korreliert ist (r=0,15).
Die Forschung zeigt: Sinnvolle Tätigkeiten sind eher mit melancholischen und weniger mit positiv euphorischen Empfindungen verbunden. #NewWork #SinnderArbeit
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Dieser Befund deckt sich mit Ergebnissen der qualitativen Forschung. Catherine Bailey und Adrian Madden ermitteln auf der Basis von mehr als 100 Interviews mit Beschäftigten unterschiedlicher Berufsgruppen, dass sinnvolle Tätigkeiten eher mit melancholischen und weniger mit positiv euphorischen Empfindungen verbunden sind. Das Empfinden sinnstiftender Arbeit ist zudem kein durchgängig gleichmäßiges Gefühl, sondern zu bestimmten Zeitpunkten, die mit tieferer Reflexion einhergehen, besonders ausgeprägt.
… und sinnlose Arbeit ist nicht zwingend belastend
Welche Empfindungen ruft nun aber sinnlose Arbeit hervor? Hier ermöglicht die besondere Frageform im DGB-Index eine nähere Analyse. Wenn die Befragten ihre Arbeit als gar nicht oder in geringem Maße als sinnvoll ansehen, werden Sie mit der Folgefrage konfrontiert, ob sie dies als belastend empfinden. Lediglich gut zehn Prozent der Befragten, die in ihrer Arbeit keinen oder einen geringen Beitrag für die Gesellschaft sehen, empfinden dies als stark oder eher stark belastend. Über 50 Prozent sehen hierin überhaupt keine Belastung. Fehlt hingegen die Identifikation mit der Arbeit, empfinden dies knapp 30 Prozent als stark oder eher stark belastend.
Daraus lässt sich zunächst folgern, dass nicht alle Beschäftigten einen gesellschaftlichen Beitrag ihrer Arbeit erwarten: Arbeit kann auch einfach dem Broterwerb dienen. Darüber hinaus wird die unzureichende Identifizierungsmöglichkeit eher als belastend empfunden als der fehlende Beitrag zur Gesellschaft.
Branchen mit mehr oder weniger Sinngehalt im Beruf
In welchen Berufen wird der Beitrag zur Gesellschaft besonders hoch eingeschätzt? Wenig überraschend sind dies die Berufe im Gesundheitswesen und im Bereich Erziehung, also dort, wo ein unmittelbarer und direkt erfahrbarer Nutzen für andere Menschen entsteht. Viel überraschender ist dagegen, dass Beschäftigte der Land-, Forst- und Tierwirtschaft ihren Beitrag nur unterdurchschnittlich einschätzen.
Eine nähere Analyse zeigt, dass insbesondere folgende Faktoren einen großen Einfluss auf den Sinngehalt der Arbeit ausüben: Je eher die Tätigkeit individuelle Entwicklungsperspektiven eröffnet und je positiver die Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten sowie die Gestaltungsmöglichkeiten eingeschätzt werden, umso höher ist der Sinngehalt der Arbeit.
Je eher die Tätigkeit individuelle Entwicklungsperspektiven eröffnet und je positiver die Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten sowie die Gestaltungsmöglichkeiten eingeschätzt werden, umso höher ist der Sinngehalt der Arbeit."
Betriebswirtschaftliche Effekte sinnvoller Arbeit sind durchaus messbar
Jenseits der dargestellten Verbindungen zwischen Arbeitsplatzausgestaltung und dem subjektiv empfundenen Sinngehalt der Arbeit hat sinnvolle Arbeit positive Auswirkungen auf betriebswirtschaftliche Erfolgsgrößen. Empirische Studien, die auf Befragungen basieren, zeigen unter anderem einen klaren Zusammenhang zwischen Sinnempfinden und Engagement. Mithilfe der Daten aus dem DGB-Index „Gute Arbeit“ lässt sich zeigen, dass ein positives Sinnempfinden mit einer Senkung der Kündigungsneigung verbunden ist.
Querschnittsdaten erlauben in der Regel jedoch keine Aussagen über Ursache-Wirkungsbeziehungen. Zuletzt konnten jedoch zahlreiche Experimente belegen, dass Sinnempfinden auch kausal positiv auf die Produktivität wirkt. Dabei erhalten Probanden in Feld- oder Laborsituationen Informationen über die Wirkung ihrer Arbeit. Zum Beispiel finden Adam M. Grant mit Kollegen bei der Untersuchung von Mitarbeitern im Fundraising einen großen Produktivitätssprung, wenn diese mit Begünstigten in direkten Kontakt kommen. Umgekehrt zeigen andere Experimente eine nachhaltige Produktivitätssenkung, wenn Probanden mit der offensichtlichen Sinnlosigkeit ihrer Arbeit konfrontiert werden, beispielsweise wenn ihre Ergebnisse nicht weiterverwendet werden.
Unternehmen wollen den Mitarbeitern Sinnangebote unterbreiten
Vermutlich haben diese betriebswirtschaftlichen Effekte dazu geführt, dass Unternehmen aktuell versuchen, Sinnangebote unter ihren Arbeitnehmern zu verbreiten. Die Befunde zeigen, dass daraus positive Effekte für Beschäftigte und Unternehmen resultieren können. Da Beschäftigte offensichtlich für Sinnangebote empfänglich sind und mögliche Sinnkrisen mit negativen individuellen Konsequenzen verbunden sein können, ergibt sich allerdings eine hohe Verantwortung der Arbeitgeber.
Prof. Weckmüller von der @HSKoblenz über Sinnangebote, die Unternehmen ihren Mitarbeitern unterbreiten: "In einzelnen Fällen ist die Tendenz zu beobachten, auch banale Tätigkeiten bezüglich ihres gesamtgesellschaftlichen Beitrags intellektuell zu überhöhen. Dies ist weder langfristig förderlich noch notwendig."
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In einzelnen Fällen ist die Tendenz zu beobachten, auch banale Tätigkeiten bezüglich ihres gesamtgesellschaftlichen Beitrags intellektuell zu überhöhen. Dies ist weder langfristig förderlich noch notwendig. Konkrete Verbesserungen in den Bereichen Zusammenarbeit, Führung und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten sind ehrlicher, nachhaltiger und ebenso effektiv.
Der Sinngehalt der Arbeit ist personalpolitisch gestaltbar
Subjektiv sinnvolle Arbeit ist nicht nur im Kontext der Humanisierung der Arbeitswelt wünschenswert. Vielmehr zeigt die empirische Personalforschung den positiven Effekt auf personalwirtschaftliche Ergebnisgrößen wie Engagement, Produktivität und Mitarbeiterbindung. Das Empfinden sinnvoller oder sinnloser Arbeit wird tendenziell subjektiv konstruiert und hängt weniger von den feststehenden Tätigkeitseigenschaften als von der unternehmensspezifischen Ausgestaltung der Arbeit ab.
Insbesondere wenn die Arbeit Möglichkeiten zur individuellen Entwicklung liefert und einen positiven sozialen Austausch mit Kollegen ermöglicht, steigt der empfundene Sinngehalt der Arbeit. Für Unternehmen ergibt sich daraus die Möglichkeit, das Sinnempfinden aktiv zu fördern. Bedingung für ein gezieltes Management ist, dass der Sinngehalt als eigene Kategorie akzeptiert und in Mitarbeiterbefragungen erfasst wird. Dass sich New Worker den Sinn der Arbeit aktuell auf die Fahnen geschrieben haben, hat also durchaus nicht nur individuelle, sondern auch unternehmensweit positive Effekte. Oder anders gesagt: Den Sinn der Arbeit zu unterstützen, ergibt durchaus Sinn.
Insbesondere wenn die Arbeit Möglichkeiten zur individuellen Entwicklung liefert und einen positiven sozialen Austausch mit Kollegen ermöglicht, steigt der empfundene Sinngehalt der Arbeit. Für Unternehmen ergibt sich daraus die Möglichkeit, das Sinnempfinden aktiv zu fördern."
Der Artikel ist in voller Länge im Personalmagazin, Ausgabe 09/2018 erschienen.
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