"Führung braucht Nähe"
Personalmagazin: Frau Elter, KPMG setzt auf ein neues Führungskonzept. Was steckt dahinter?
Vera-Carina Elter: Wir wollten das Thema Führung repositionieren. Deshalb haben wir uns entschieden, ein neues Konzept aufzusetzen. Es basiert auf drei Säulen. Erstens, Kaskadierung bei angemessenen Führungsspannen. Zweitens, Zeit für Führung mit Fokus auf Entwicklung. Und drittens, Wertschätzung durch Vertrauen.
Personalentwicklung: Nähe als Voraussetzung für gute Führung
Personalmagazin: Können Sie das erläutern?
Elter: Für uns ist gute Führung wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur und aktiver Bestandteil der Karriereentwicklung. Deswegen möchten wir, dass unsere Mitarbeiter so früh wie möglich Führungsverantwortung übernehmen. Wir haben Führung deshalb über die Mitarbeitergruppen kaskadiert und schaffen so klare Verantwortlichkeiten. Manager führen Mitarbeiter, Partner und Direktoren führen Manager. Damit gute Führung gelingt, braucht es eine gewisse Nähe. Also haben wir unsere Führungsspanne auf circa eins zu acht reduziert. Bei den für ein Geschäftsjahr vereinbarten Zielen der Führungskräfte wird der Führungsaspekt besonders berücksichtigt. Gemeinsam durchlaufen Mitarbeiter und Führungskräfte einen jährlichen Entwicklungszyklus – dieser sieht ausreichend Zeit für Reflexion über die erbrachte Leistung, Austausch und Entwicklungsplanung vor. Denn Führung ist auch ein Ausdruck von Wertschätzung und Vertrauen.
Eigentlich sollen Noten Leistungen messbar und vergleichbar machen. Wir haben aber festgestellt, dass sie die falschen Anreize setzen.
Personalmagazin: Bisher haben Sie als Maß der Zielerreichung Noten auf einer fünfstufigen Skala eingesetzt. Schaffen Sie diese aus den genannten Gründen ab?
Elter: Zumindest indirekt. Eigentlich sollen Noten Leistungen messbar und vergleichbar machen. Wir haben aber festgestellt, dass sie die falschen Anreize setzen. Denn bisher sind die Noten (zum Beispiel für Arbeitsqualität/Teamverhalten/Kommunikation) unmittelbar in die variable Vergütung eingeflossen. Das hat dazu geführt, dass Mitarbeiter in klassischen Zielerreichungsgesprächen mehr Fokus auf die Notenargumentation gesetzt haben, als gemeinsam herauszuarbeiten, wo ihre Stärken liegen. Genau das wollten wir umkehren. Uns ist es wichtig, Mitarbeiter bestmöglich zu entwickeln. Deshalb haben wir uns für einen strukturierten Entwicklungszyklus entschieden.
Personalmagazin: Ein neuer Ansatz ist das allerdings nicht.
Elter: Das mag sein. Für uns ändert sich dadurch jedoch Grundlegendes. Wir haben 360-Grad-Feedbacks eingeführt und die Vergütungsinformation von den Entwicklungsgesprächen entkoppelt. Mitarbeiter arbeiten bei den Entwicklungsgesprächen gemeinsam mit ihren Vorgesetzten einen Plan aus und vereinbaren Ziele. Diese bilden dann das Jahr über Anknüpfungspunkte für weitere Gespräche. Außerdem erhält jeder Mitarbeiter regelmäßig Projekt-Feedback.
Honorierung von Leistungen mit variablen Vergütungsbestandteilen
Personalmagazin: Wonach bemessen Sie dann die variablen Vergütungsbestandteile?
Elter: In einer Vergütungsrunde tauschen sich vorgesetzte Manager über die Leistungen ihrer Mitarbeiter aus. Unterschiede ergeben sich innerhalb der Peergroup. Da gibt es dann einige, die leisten Außergewöhnliches, herausragende Talente also, und andere mit erkennbaren Entwicklungsbedarfen. So lassen sich Leistungen unabhängig von Noten würdigen und mit variablen Vergütungsbestandteilen bemessen und honorieren.
In den Vergütungsrunden fließen Teamleistungen und Übernahme von Gemeinschaftsaufgaben positiv in die Kalibrierung ein.
Personalmagazin: Also belohnen Sie Einzelkämpfer anstelle von Teamplayern.
Elter: Das ist nicht richtig, im Gegenteil. Allgemein halte ich eine Leistungsspreizung bei allem Abschaffen von Noten für sehr wichtig. Wir haben eine Kultur, in der Leistungsanreize und Performance eine Relevanz haben. In den Vergütungsrunden fließen Teamleistungen und Übernahme von Gemeinschaftsaufgaben positiv in die Kalibrierung ein – Teamplay ist daher gerade die Voraussetzung für positive Leistungswahrnehmung.
Personalmagazin: Womit wir beim klischeehaften Bild der Beraterwelt wären: „Work hard, play hard“. Welche Rolle spielen Motivation und Leistungsbereitschaft nach Ihrem Führungsverständnis?
Elter: Wir wollen die besten Kolleginnen und Kollegen an uns binden. Dabei sind Motivation und Leistungsbereitschaft wichtige Attribute, aber auch Neugierde, Agilität und Digitalaffinität. Wir wollen offene und lernbereite Mitarbeiter und das Unternehmen unter den Big Four sein, das sie bestmöglich entwickelt. Bewerber sollen spüren, dass wir in sie investieren und sie – besonders in einer volatilen Welt, in der Veränderungsbereitschaft immer wichtiger wird – bei der eigenen Kompetenzentwicklung gezielt fördern. Und wenn Mitarbeiter dann irgendwann diese positiven Erfahrungen in die Unternehmenswelt tragen, freuen wir uns natürlich auch darüber.
Personalmagazin: Also keine Klischees?
Elter: Wir müssen das Bild von Wirtschaftsprüfung und Beratung ein Stück weit verändern. Unser Geschäftsmodell ist geprägt von einer extrem steilen Lernkurve der Mitarbeiter, die sie in interessanten Projekten mit unseren Kunden durchlaufen. Dabei gibt es ehrlicherweise auch intensive Phasen verbunden mit Reisezeiten. Gleichzeitig haben unsere Mitarbeiter aber auch die Möglichkeit, Ruhephasen zum Beispiel in gewissen Lebensphasen einzubauen. Dafür arbeiten wir kontinuierlich und intensiv an Lösungen und Ansätzen für individualisierte Arbeitsmodelle.
Personalmagazin: Was bedeutet das für Führungskräfte?
Elter: Sie sollten genau hinhören, um die Ambitionen ihrer Mitarbeiter zu kennen. In Exit-Interviews haben wir festgestellt, dass Mitarbeiter etwas woanders zu finden hofften, das wir ihnen intern durchaus hätten bieten können. Es geht also darum, diese Ambitionen mit den Anforderungen und Optionen unserer aktuellen Konzepte in Einklang zu bringen. Nicht bei jedem werden sich alle Erwartungen direkt erfüllen lassen, aber er sollte sie zumindest äußern. Wir haben vielfältige Karrierewege, denn neben den klassischen Examen wie Wirtschaftsprüfer und Steuerberater existieren auch ganz andere Möglichkeiten.
Führungs als Gemeinschaftsaufgabe
Personalmagazin: Inwiefern erwarten Sie dieses Verantwortungsgefühl auch bei Ihren Mitarbeitern?
Elter: Führung ist nach unserem Verständnis Gemeinschaftsaufgabe. Jeder muss sie leisten, von der Basis bis zur Spitze. Auch Mitarbeiter, die keine disziplinarische Führungsverantwortung tragen, können und sollen beispielsweise in Projekten situative Führungsaufgaben übernehmen.
Personalmagazin: Nicht jeder möchte führen …
Elter: Stimmt. Deshalb übertragen wir disziplinarische Führung nur Managern, die führen möchten und die wir intern dafür ausgebildet haben. Parallel zur Managerlaufbahn haben wir zudem eine Spezialistenkarriere eingeführt. Das ist zwar bisher nur eine kleine Gruppe, richtet sich aber an diejenigen, die sich voll und ganz auf ihre fachliche Expertise konzentrieren möchten. Wir ermöglichen also nicht nur vertikale, sondern auch laterale Karrieren. Grundsätzlich setzen wir bei der Beratung unserer Kunden auf multidisziplinarische Teams. Das bedeutet, dass Mitarbeiter je nach Bedarf und Kompetenzen auch in anderen Bereichen unterstützen.
Wer einmal die Erfahrung gemacht hat, gute Mitarbeiter zu bekommen, ist auch bereit, welche abzugeben.
Personalmagazin: Welche Motivation sollte eine Führungskraft haben, ihre besten Mitarbeiter an eine andere Abteilung abzugeben?
Elter: Da sind wir wieder bei der Vertrauenskultur. Wer einmal die Erfahrung gemacht hat, gute Mitarbeiter zu bekommen, ist auch bereit, welche abzugeben. Auch wenn es im Einzelfall manchmal schwerfällt, den „Lieblingsmitarbeiter“ loszulassen. Wir brauchen die Durchlässigkeit über alle Geschäftsbereiche hinweg, sie ist Teil unseres Geschäftsmodells und gleichzeitig Chance für unsere Mitarbeiter, viele Bereiche kennenzulernen – Entwicklungen in alle Richtungen sind möglich.
Personalmagazin: Trotzdem ist die Fluktuation in Beratungs- und Prüfungsgesellschaften vergleichsweise hoch.
Elter: Wir können die Fluktuation bei einer Professional Service Firm nicht mit der eines Industrieunternehmens oder einer Bank vergleichen. Durch die umfangreiche Ausbildung, die breiten Projekt- und Branchenerfahrungen sowie die steile Lernkurve – gerade in den ersten Jahren – gibt es Mitarbeiter, die zum Beispiel ein Wechselangebot zum Mandanten annehmen oder bewusst eine Abteilungssteuerung in der Industrie anstreben, mit allen Vor- und Nachteilen, die das andere Geschäftsmodell mit sich bringt. Das ist in gewissem Maße auch nachvollziehbar.
Nicht jeder klettert die klassische Karriereleiter hinauf
Personalmagazin: Also das klassische Karriereprinzip „Up or out“.
Elter: Nein. Aber es kann eben nicht jeder Manager werden. Trotzdem haben wir Mitarbeiter, die viele Jahre bei KPMG sind, ohne die klassische Karriereleiter zu klettern. Auch das ist bei uns möglich. Was wir jedoch erwarten, ist Veränderungsbereitschaft. Ohne geht es nicht.
Für uns ist klar: Wir wollen kein Konsumentenverhalten, bei dem sich der Mitarbeiter hinsetzt und darauf wartet, dass wir ihm den Business Case liefern, um Karriere zu machen.
Personalmagazin: Stichwort Entwicklung. Haben Ihre Mitarbeiter denn alle eine klare Vorstellung von ihrem Karriereweg?
Elter: Sicherlich nicht alle. Wir legen großen Wert auf Selbstverantwortung. Mitarbeiter sollten sich im Vorfeld der Entwicklungsgespräche Gedanken darüber machen, was sie mitbringen, verändern und verbessern möchten. Das ist auch eine Kulturfrage. Für uns ist klar: Wir wollen kein Konsumentenverhalten, bei dem sich der Mitarbeiter hinsetzt und darauf wartet, dass wir ihm den Business Case liefern, um Karriere zu machen. Er sollte die Impulse selbst setzen und die Initiative starten.
Personalmagazin: Und wenn ein Mitarbeiter dabei zum Schluss kommt, Führungskraft in Teilzeit werden zu wollen …
Elter: Dann kann er das. Wir bieten eine Reihe von Arbeitszeitmodellen – gerade individualisierte Arbeitszeiten von Führungskräften sind bei uns nicht ungewöhnlich.
Personalmagazin: Trotzdem scheint die Beratungswelt für weibliche Mitarbeiter nicht so attraktiv zu sein.
Elter: Das sehe ich nicht so. Wir haben 40 Prozent weibliche Führungskräfte ab Manager-Level und fast 50 Prozent Bewerberinnen. Aber sicherlich haben wir in einigen Bereichen noch Bedarf, die Aufgaben und Entwicklungsperspektiven für Kolleginnen attraktiver zu gestalten und zu beschreiben. Wir arbeiten daran und freuen uns, dies in das zukünftige Recruiting einzubringen.
Vera-Carina Elter ist seit Oktober 2018 Personalvorständin bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG. Im Unternehmen ist sie schon über 20 Jahre tätig.
Das Interview ist im Personalmagazin 12/2019 erschienen. Lesen Sie die gesamte Ausgabe auch in der Personalmagazin-App.
-
Workation und Homeoffice im Ausland: Was Arbeitgeber beachten müssen
1.993
-
Essenszuschuss als steuerfreier Benefit
1.713
-
Vorlage: Leitfaden für das Mitarbeitergespräch
1.500
-
Ablauf und Struktur des betrieblichen Eingliederungsmanagements
1.276
-
Probezeitgespräche als Feedbackquelle für den Onboarding-Prozess
1.249
-
Krankschreibung per Telefon nun dauerhaft möglich
1.129
-
BEM ist Pflicht des Arbeitgebers
1.031
-
Checkliste: Das sollten Sie bei der Vorbereitung eines Mitarbeitergesprächs beachten
709
-
Das sind die 25 größten Anbieter für HR-Software
514
-
Modelle der Viertagewoche: Was Unternehmen beachten sollten
390
-
Tipp der Woche: Mehr Inklusion durch KI
19.12.2024
-
Gleichstellung in Europa verbessert sich nur langsam
16.12.2024
-
Fünf Tipps für effektive Recruiting-Kampagnen zum Jahresstart
13.12.2024
-
Eine neue Krankenkasse als Zeichen der Fürsorge
11.12.2024
-
Wie Personalarbeit wirtschaftlichen Erfolg beeinflusst
10.12.2024
-
1.000 neue Fachkräfte für den Glasfaserausbau
09.12.2024
-
KI für eine inklusive Arbeitswelt
06.12.2024
-
Weihnachtsgeld: Wer bekommt wie viel?
05.12.2024
-
Mit Corporate Volunteering Ehrenamt ins Unternehmen bringen
05.12.2024
-
Die Angst vor KI lässt nach
05.12.2024