Mit geteilter Führung zum Teamerfolg
Unter den Schlagworten "Agilität" oder "agile Unternehmensführung" versuchen aktuell viele Unternehmen eine proaktive Anpassung an Umweltveränderungen zu erreichen. Empowerment von Mitarbeitern, die Delegation von Verantwortung und sich selbst steuernde Teams sind Maßnahmen zur Schaffung flexibler und schneller Organisations- und Führungsstrukturen. In dieser Transformation werden traditionelle Führungsstrukturen und -stile häufig als Hindernis wahrgenommen. So zeigt das aktuelle Agilitätsbarometer 2017 diese Missstände deutlich auf: Traditionell hierarchische Führungsmodelle sind weit verbreitet, ein Trend in Richtung partizipativer oder agiler Strukturen ist in den letzten beiden Jahren nicht erkennbar und die Unzufriedenheit der Mitarbeiter und Führungskräfte mit diesem Zustand wächst (Weckmüller, 2017). Offensichtlich ist die direkte Transformation von traditionellen in agile und demokratische Teamstrukturen nicht friktionslos möglich. Vor diesem Hintergrund möchten wir uns dem Konzept der geteilten Führung oder Shared Leadership widmen, die eine Zwischenform in dieser Transformation darstellen könnte.
Shared Leadership im Rahmen der Führungstheorie
Lange Zeit fokussierte die Führungstheorie und deren Rezeption in der betrieblichen Praxis auf Führungsstile und deren Auswirkung auf unternehmerische und personalwirtschaftliche Erfolgsgrößen (zum Beispiel Mitarbeiterzufriedenheit). Seit den 1990er-Jahren erlangte in diesem Zusammenhang insbesondere das Konzept der transformationalen Führung an Bedeutung, mit dessen Einsatz ein übergreifender positiver Effekt auf den Führungserfolg verbunden ist (vgl. Judge/Piccolo, 2004, und Felfe, 2006). In den letzten Jahren rücken allerdings zunehmend neue oder hybride Führungskonzepte in den Vordergrund des Interesses. Während in der Führungsstilforschung zunächst unidirektional der Einfluss des Führungsstils auf das Mitarbeiterverhalten untersucht wurde, trat über Konzepte des "Leader-Member Exchange" (LMX) die Beziehungsqualität zwischen Mitarbeitern und deren Führungskräften in den Vordergrund.
Ausgehend von diesem Fokus auf Interaktion zwischen Mitarbeitern und Führungskräften entwickelten sich Konzepte der geteilten Führung (Avolio/Walumbwa/Weber, 2009). Geteilte Führung bezeichnet die gegenseitige, dynamische und interaktive Beeinflussung der Gruppenmitglieder: "We define shared leadership as a dynamic, interactive influence process among individuals in groups for which the objective is to lead one another to the achievement of group or organizational goals or both. This influence process often involves peer, or lateral, influence and at other times involves upward or downward hierarchical influence" (Pearce/Conger, 2003: 1). Im Gegensatz zur Teamarbeit beinhaltet geteilte Führung also innerhalb der Gruppe unterschiedliche Verantwortlichkeiten und Einflussmöglichkeiten. Der wesentliche Unterschied von geteilter Führung zu traditionellen Führungstheorien besteht darin, dass der Einfluss nicht top-down und zentralisiert durch eine ernannte Führungsperson erfolgt, sondern die Führungsrollen breit zwischen den Teammitgliedern verteilt werden (Pearce/Wassenaar, 2015). Im Gegensatz zu demokratischen Modellen findet aber jeweils eine klare Führung statt und die Teammitglieder handeln nicht autonom und nicht vollständig selbstbestimmt. Abbildung 1 zeigt eine Auswahl der aktuellen Führungsansätze, bei denen – im Gegensatz zu führerzentrierten Top-down-Ansätzen – die Bedeutung der Mitarbeiter und die Interaktion mit den Beschäftigten betont wird.
Vor diesem Hintergrund wollen wir insbesondere die folgende Frage beantworten: Lässt sich ein positiver Einfluss geteilter Führung auf den Führungserfolg nachweisen und wie groß ist dieser? Hierzu greifen wir insbesondere auf drei aktuelle Metaanalysen von Danni Wang, David Waldman und Zhen Zhang (2014), Lauren D’Innocenzo, John E. Mathieu und Michael R. Kukenberger (2016) sowie Vias C. Nicolaides und Kollegen (2014) zurück. Anschließend gehen wir auf die Bedingungen ein, unter denen ein besonders großer positiver Effekt zu erwarten ist.
Geteilte Führung wirkt positiv auf den Teamerfolg
Danni Wang und Kollegen (2014) untersuchen den Zusammenhang zwischen geteilter Führung und Teamerfolg auf der Basis von 40 Studien, die insgesamt 3.439 Teams umfassen. Im Durchschnitt besteht ein Team dort aus 9,5 Mitgliedern. Übergreifend ergibt sich ein positiver Zusammenhang zwischen geteilter Führung und dem Teamerfolg mit einer Effektstärke von r=0,34, gemessen über den Korrelationskoeffizienten. Die Effektstärke ist als mittelgroß einzustufen und bewegt sich etwas unterhalb des Effekts transformationaler Führung (r=0,44 nach Judge/Piccolo 2004). Der durchschnittliche Effekt ist größer, wenn die Messung des Teamerfolgs mithilfe von subjektiven Einschätzungen, zum Beispiel zur Arbeitszufriedenheit, im Vergleich zu objektiven Produktivitätsmaßen erfolgt (siehe Abbildung 2). Dieser stärkere Zusammenhang mit subjektiven Einschätzungen zeigt sich ganz ähnlich auch bei der transformationalen Führung, die besonders hoch positiv mit Mitarbeiterzufriedenheit korreliert ist.
Darüber hinaus unterscheiden die Autoren drei unterschiedliche Formen geteilter Führung. Grundlage für diese Unterscheidung ist, dass geteilte Führung nicht etwa ein weiterer Führungsstil neben anderen ist, sondern geteilte Führung im Kontext unterschiedlicher Führungsstile stattfindet. Es gibt also innerhalb des Teams unterschiedliche Verantwortlichkeiten und Befugnisse, die von den Beteiligten unterschiedlich umgesetzt werden können. Unter geteilter traditioneller Führung fassen die Autoren aufgaben- und beziehungsorientierte Führung wie auch die transaktionale Führung mit ausgeprägter Austauschbeziehung zwischen Führungskraft und Teammitglied zusammen. Unter dem Begriff "New-Genre-Führung" werden innovative Führungsstile der letzten 30 Jahre subsummiert, die auf geteilte Visionen und Partizipation aufbauen. Hier sind die transformationale oder die charismatische Führung die wichtigsten Beispiele. Losgelöst von etablierten Führungsstilen wird bei der geteilten gemeinsamen Führung ("cumulative, overall leadership") auf Basis der Einschätzung der Teammitglieder die Intensität gemessen, in der Führung im Team verteilt ist. Im Ergebnis zeigt sich ein durchgängig positiver Effekt geteilter Führung, der aber unter den Bedingungen traditioneller Führungskulturen am geringsten ausfällt.
Noch nicht stark erforscht ist dagegen das Zusammenspiel von hierarchischer Führung und geteilter Führung, wenn also neben der klassischen vertikalen Führer-Geführten-Beziehung Teile der Führungsaufgaben von Teammitgliedern übernommen werden.
Unter welchen Bedingungen funktioniert geteilte Führung gut?
Vias C. Nicolaides und Kollegen (2014) untersuchen die Einflussfaktoren innerhalb des Teams, die einen positiven Effekt von geteilter Führung fördern. Es geht ihnen also nicht nur um den allgemeinen Effekt von geteilter Führung, sondern ebenfalls um die Situationen, unter denen geteilte Führung besonders gut oder schlecht funktioniert. Theoretisch bauen sie auf dem IMOI-Modell von Daniel R. Ilgen und Kollegen (2005) auf, nach dem sich (Führungs-)Impulse nicht über Prozesse in Ergebnisse übertragen, sondern durch weitere Einflussfaktoren innerhalb des Teams transformiert, verstärkt oder abgeschwächt werden. In der Metanalyse werden folgende Variablen untersucht:
- der Grad, in dem Prozesse, Aufgaben und Personen innerhalb des Teams integriert sind (team interdependence)
- die Größe des Teams
- die Aufgabe des Teams, wobei zwischen Entscheidungsfindung, Projektarbeit und handlungsorientierten Teams unterschieden wird (decision-making; project teams, action teams).
Übergreifend zeigt sich ein durchgängig positiver Effekt geteilter Führung, der unter den oben genannten Einflussfaktoren allerdings höher oder niedriger ausfällt (siehe Abbildung): Bei hoher Interdependenz und in Projektteams wirkt geteilte Führung stärker. Die Größe des Teams hat keinen signifikanten Einfluss.
Ergebnisse der Metaanalyse von Nicolaides et al. (2014) deuten darüber hinaus auf einen mit der Zeit schwächer werdenden positiven Effekt von geteilter Führung auf den Teamerfolg hin. Je länger ein Team also zusammenarbeitet, desto weniger wirksam scheint geteilte Führung zu sein. Dies könnte den Autoren zufolge an mit der Zeit aufkommenden Machtkämpfen innerhalb des Teams liegen, die letztlich in weniger effektivem Führungsverhalten enden. Auch könnten sich über die Zeit starre Strukturen bilden, die gerade bei Situationen mit geteilter Führung schwerer aufgebrochen werden können als in klassischen vertikalen Führungsbeziehungen.
Wang und Kollegen (2014) untersuchen den Einfluss der Komplexität der Arbeitsaufgabe auf den relativen Erfolg geteilter Führung. Wie in ihren Hypothesen angenommen, wird der positive Effekt mit zunehmender Komplexität leicht größer. D’Innocenzo und Kollegen (2016) fokussieren auf den Einfluss der Komplexität der Aufgabe und finden wider Erwarten keinen signifikanten positiven Effekt geteilter Führung unter dieser Bedingung. Insgesamt scheint die Komplexität der Arbeitsaufgabe also keinen sehr großen Einfluss auf die Wirkung geteilter Führung zu haben.
Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen
- Geteilte Führung ist kein neuer Führungsstil, sondern bezeichnet die Aufteilung originärer Führungsaufgaben auf unterschiedliche Teammitglieder. Bei der geteilten Führung können somit unterschiedliche Führungsstile Verwendung finden.
- Erfolgreiche Führung ist keine reine Top-down-Angelegenheit. Geteilte Führung wirkt positiv auf den Teamerfolg bei mittelgroßer Effektstärke.
- Der positive Einfluss ist unter den Bedingungen transformationaler und charismatischer Führung besonders hoch.
- Eine hohe Interdependenz innerhalb des Teams verstärkt den positiven Effekt geteilter Führung, die Teamgröße ist ohne Einfluss.
- Je länger ein Team zusammenarbeitet, desto schwächer wird der Einfluss geteilter Führung.
- Bei Projektarbeit ist der positive Effekt geteilter Führung größer als bei entscheidungsorientierten Teams.
Literaturverzeichnis:
Avolio, B. J./Walumbwa, F. O./Weber, T. J. (2009): Leadership: Current Theories, Research, and Future Directions. Annual Review of Psychology, 60: 421-449.
D’Innocenzo, L./Mathieu, J. E./Kukenberger, M. R. (2016): A Meta-Analysis of Different Forms of Shared Leadership–Team Performance Relations. Journal of Management, 42(7): 1964-1991.
Felfe, J. (2006): Transformationale und charismatische Führung – Stand der Forschung und aktuelle Entwicklungen. Zeitschrift für Personalpsychologie, 5(4), 163-176.
Graen, G./Cashman, J. F. (1975): A Role-Making Model of Leadership in Formal Organizations: A Developmental Approach. In: Hunt, J.G./ Larson, L.L. (Eds.): Leadership Frontiers, Kent, Kent State University Press: 143-166.
Greenleaf, R.K. (1991): The Servant as Leader. Indiana, The Robert K. Greenleaf Center.
Ilgen, D. R./Hollenbeck, J. R./Johnson, M./Jundt, D. (2005): Teams in Organizations: From Input-Process-Output Models to IMOI Models. Annual Review of Psychology, 56, 517-543.
Judge, T. A./Piccolo, R. F. (2004): Transformational and Transactional Leadership: A Meta-analytic Test of Their Relative Validity. Journal of Applied Psychology, 89(5): 755-768.
Meindl, J. R./Ehrlich, S. B./Dukerich, J. M. (1985): The Romance of Leadership. Administrative Science Quarterly, 30(1): 78-102.
Nicolaides, V. C./LaPort, K. A./Chen, T. R./Tomassetti, A. J./Weis, E. J./Zaccaro, S. J./Cortina, J. M. (2014): The Shared Leadership of Teams: A Meta-Analysis of Proximal, Distal, and Moderating Relationships. The Leadership Quarterly, 25(5): 923-942.
Pearce, C. L./Conger, J. A. (2003): Shared Leadership: Reframing the Hows and Whys of Leadership. Sage.
Pearce, C. L./Wassenaar, C. L. (2015): Shared Leadership in Practice: When Does it Work Best? Academy of Management Perspectives 29(3), online only.
Wang, D./Waldman, D. A./Zhang, Z. (2014): A Meta-Analysis of Shared Leadership and Team Effectiveness. Journal of Applied Psychology, 99(2): 181–198.
Weckmüller, H. (2017): Agilität kommt langsam voran. Personalmagazin 9(2017): 10-15.
Wunderer, R. (1992): Managing the Boss – „Führung von unten“. German Journal of Human Resource Management, 6(3): 287-311.
Erschienen im Wissenschaftsjournal PERSONALquarterly 1/2018.
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