Bewerbervideos und Arbeitsproben professionell auswerten
Haufe Online-Redaktion: Das Start-up aus den USA unterstützt Unternehmen schon seit einem Jahr im Recruiting, indem es unter anderem Bewerbungsvideos zur Verfügung stellt. Auch die Münchner Arbeitsagentur setzt seit Kurzem auf Bewerbungsvideos für Langzeitarbeitslose. Sind sie denn wirklich nützlich für die Eignungsdiagnostik?
Prof. Dr. Martin Kersting: Prinzipiell sind sie für die Diagnostik von Nutzen und ich halte es auch für sinnvoll, neue Medien im Auswahlprozess einzusetzen. Allerdings sollten Personaler damit nicht andere diagnostische Instrumente wie das Bewerberinterview oder die Analyse des Lebenslaufs ersetzen, sondern die Videos eher als eine zusätzliche Infoquelle, ein „Add-on“, betrachten. Doch ganz egal, welches diagnostische Instrument Personaler verwenden: Sie müssen zuerst ein genaues Stellenprofil definieren und festlegen, anhand welcher Kriterien sie das, was sie sehen oder lesen, bewerten. Sonst sind die Informationen nicht sinnvoll verwertbar.
Haufe Online-Redaktion: Worauf müssen Personaler bei der Auswertung von Video-Bewerbungen achten?
Kersting: Erst einmal müssen sie natürlich die Regeln beachten, die auch für die Auswertung anderer diagnostischer Verfahren gelten: Sie sollten unter anderem vorab festlegen, was sie bewerten wollen, also welche Anforderungsdimensionen wichtig sind, und wie diese bewerten wollen - mit welchem Beurteilungsmaßstab. Die Auswertung sollte von zwei Beurteilenden unabhängig vorgenommen werden. Und Personaler sollten – wie bereits angesprochen – nicht allein auf die Videos setzen, sondern auf einen Methodenmix. Risiken bestehen – neben technischen Einschränkungen - unter anderem darin, dass die Entscheider das Video mit einer Konsumhaltung betrachten, obwohl sie gefordert sind, aktiv nach Informationen zu suchen. Bei Videos ist die Gefahr größer als bei herkömmlichen Bewerbungsmappen, dass irrelevante Informationen wie zum Beispiel der Bildhintergrund oder die Attraktivität der Person die Entscheidung unangemessen beeinflussen.
Haufe Online-Redaktion: Wenn man hier an die große Debatte um anonyme Bewerbungen denkt, ist das aber ein wesentlicher Nachteil dieses Verfahrens. Bieten Bewerbungsvideos auch einen besonderen Vorteil im Auswahlprozess?
Kersting: Das Video bringt gegenüber Bewerbungsmappen den Vorteil mit sich, dass auch non-verbales Verhalten bewertet werden kann und gegenüber herkömmlichen Interviews und Assessment Centern besteht der Vorteil darin, dass die Situation wiederholbar ist. Man kann das Video immer wieder abspielen und unterschiedlichen Beurteilern vorlegen.
Haufe Online-Redaktion: Die Plattform "Hireart.com" bietet auch an, für Unternehmen Arbeitsproben zu erstellen. Welche Bedeutung haben diese im Bewerbungsprozess?
Kersting: Im Sinne des Methodenpluralismus kann es auch nützlich sein, zusätzlich zu den anderen Bewerbungsunterlagen Arbeitsproben – gemeint sind wohl Rollenspiele - von den Bewerbern einzuholen. Zum Beispiel lohnt es sich, wenn man stärker die Soft Skills der Bewerber einschätzen will. Mit einem Lebenslauf überprüft man, ob jemand die gewünschten Qualifikationen mitbringt. Mit einer Arbeitsprobe oder auch Simulation, wie sie in Assessment Centern angewendet wird, prüft man das "Can-do", also ob ein Bewerber über die notwendigen Kompetenzen verfügt – vorausgesetzt, man provoziert auch wirklich das Verhalten, das man sehen möchte, und man skaliert es richtig. Neben Indikatoren für das "Can-do" sollte man aber auch Indikatoren für das "Will-do" einholen und prüfen, ob jemand motiviert ist, das, was er kann, auch im Arbeitsleben und nicht nur im Auswahlverfahren zu zeigen.
Martin Kersting ist Professor für psychologische Diagnostik an der Justus-Liebig-Universität Gießen und er leitet das psychodiagnostische Kompetenzzentrum.
Das Interview führte Kristina Enderle da Silva, Redaktion Personal.
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