"Regelungen sind unerlässlich"
Haufe Online-Redaktion: Laut Ihrer "Arbeitszeitbefragung 2015" nutzen immerhin knapp 39 Prozent der Befragten mobile Endgeräte für die Arbeit. Andererseits ist in Deutschland das Arbeiten außerhalb der Büros wenig verbreitet. Woran liegt das?
Ulrike Hellert: Aus meiner Sicht liegt das daran, dass viele Personen auf freiwilliger Basis zusätzlich arbeiten – und zwar über mobile Endgeräte. Die Technologie ermöglicht es ihnen, dass sie E-Mails empfangen, in sozialen Netzwerken einen Beitrag leisten und dienstliche Telefonate führen. Dafür ist nicht immer ein Homeoffice nötig. Das kann unterwegs sein, auf Reisen oder auf dem Weg nach Hause.
Haufe Online-Redaktion: Heißt das: Die Beschäftigten arbeiten außerhalb ihrer Büros, definieren das aber gar nicht als Arbeit?
Hellert: Genau. Viele erkennen gar nicht, dass das eigentlich auch Arbeitszeit ist. Strenggenommen gilt es auch als Arbeitszeit, wenn ich zuhause in mein Notebook schaue und eine E-Mail beantworte. Das ist sozusagen ein freiwilliges Engagement, das die Beschäftigten leisten, um ihre Ziele zu erreichen, um auch ihre Verbundenheit mit dem Unternehmen zu zeigen. Daraus ergibt sich aus meiner Sicht die Differenz verschiedener Studienergebnisse: Viele Beschäftigte haben kein Homeoffice und machen das Arbeiten außerhalb des Büros mal eben so mit.
Haufe Online-Redaktion: Vielleicht liegen diese unterschiedlichen Auffassungen von mobilem Arbeiten auch daran, dass viele Unternehmen keine klaren Regelungen hierfür haben. Wie wichtig sind verbindliche und unternehmensweite Regelungen für die mobile Arbeit?
Hellert: Ich halte das für besonders wichtig. Wenn es keine klaren Regelungen oder Vereinbarungen gibt, entsteht schnell eine Grauzone. Der Sinn des Arbeitszeitgesetzes ist unter anderem Gesundheits- und Arbeitsschutz. Um das zu überprüfen, ist es auch erforderlich, zu wissen, wie viel Arbeitszeit die Beschäftigten leisten. Ich sehe eine wichtige Führungsaufgabe darin, die geleistete Arbeitszeit zu hinterfragen und im Auge zu behalten. Dafür ist es notwendig, klar zu definieren: Was fällt für uns unter mobile Arbeit? Das können zum Beispiel die Telefonate sein, die außerhalb des Stammbüros geführt werden, der Fachartikel, der zu Hause gelesen wird, sowie die Nutzung der mobilen Endgeräte außerhalb der festen Arbeitszeiten. Es ist für beide Seiten sinnvoll, dass das geregelt ist. Die Rahmenbedingungen müssen transparent sein und sollten natürlich gemeinsam mit den jeweiligen Beschäftigten vereinbart werden.
Haufe Online-Redaktion: Haben Sie einen Praxistipp für Unternehmen, wie diese vorgehen sollten, wenn sie Regelungen für die mobile Arbeit etablieren wollen?
Hellert: Ich rate dazu, die Einführungspyramide zu nutzen, die ich für die Arbeitszeitgestaltung entwickelt habe. Diese können Sie meinem Buch "Arbeitszeitmodelle der Zukunft" entnehmen. Es ist wichtig, von Anfang an mit den Beschäftigten zusammenzuarbeiten. Es gilt, gemeinsam mit der Mitarbeitervertretung – sofern diese vorhanden ist – Ziele zu überlegen, eine Ist/Soll-Analyse durchzuführen und sich Schritt für Schritt Alternativen anzusehen.
Damit mobiles Arbeiten funktioniert, müssen Unternehmen einfache Regelungen etablieren.
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Haufe Online-Redaktion: Das hört sich nach einer komplexen Aufgabe für das Personalmanagement an.
Hellert: Wichtig ist es, eine einfache Regelung zu schaffen. Große Unternehmen wie BMW haben ausgezeichnete Betriebsvereinbarungen zum mobilen Arbeiten geschaffen. Bei BMW umfasst diese zum Beispiel nur vier Seiten. Es muss nicht jede Eventualität geklärt werden, aber die wichtigsten Säulen sollten definiert sein. Dazu gehört zum Beispiel die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes, die Dokumentation, die Erreichbarkeit und die Nichterreichbarkeit sowie die Ziele, die in der Arbeitszeit zu erledigen sind. Aus meiner Sicht ist das Drei-Z-Modell sehr praktisch: Dieses beschreibt die Zahl der Beschäftigten, die in einem Bereich benötigt werden, den Zeitraum der Erreichbarkeit und die Ziele. Das gehört ganz klar zusammen. In vielen Unternehmen wird nicht mehr reflektiert, dass die Ziele extrem zugenommen haben, die verfügbare Zeit aber die gleiche geblieben ist. Dann entsteht das, wovon wir überall lesen: Die psychische Belastung steigt aufgrund von zunehmender Verantwortung und mehr Zeit- und Termindruck.
Haufe Online-Redaktion: Welche weiteren Voraussetzungen sollte ein Unternehmen schaffen, um mobiles Arbeiten zu unterstützen?
Hellert: Bei der mobilen Arbeit ist es grundsätzlich wichtig, die Arbeitsleistung zu flexibilisieren. Zusätzlich brauchen wir Zeitpuffer, um die notwendigen Spielräume zu schaffen. Denn wenn Beschäftigte extrem enge Terminvorgaben haben, die sie selbst nicht beeinflussen können, ist es zwar nett, einen Handlungsspielraum zu haben, aber sie haben keine Möglichkeit zu reagieren. Und es gehört Kontrolle dazu. Manche Unternehmen wünschen sich eine Mindestpräsenzzeit, damit ein Face-to-Face-Austausch stattfinden kann. Wichtig ist zudem, verlässliche Ansprechpartner im Unternehmen zu haben, mit denen gesprochen werden kann, wenn etwas nicht funktioniert. Die Team- und Führungskultur spielt bei mobiler Arbeit eine wichtige Rolle.
Haufe Online-Redaktion: Die Unternehmens- und Arbeitskultur zu gestalten, gilt als eine der wichtigsten Aufgaben des Personalmanagements.
Hellert: Das HR-Management kann dazu beitragen, dass eine Vertrauenskultur entsteht. Das wird in vielen Unternehmen vernachlässigt. Vertrauen ist letztendlich die Voraussetzung dafür, dass die gesamte Komplexität handhabbar wird. Häufig stelle ich bei Beratungen in Unternehmen fest, dass immer noch subtil eine Misstrauenskultur vorherrscht, dass viele Führungskräfte Probleme haben, wenn sie keine persönliche Kontrolle der Beschäftigten haben. Eine Vertrauenskultur lässt sich nur durch persönliche Kontakte und Erfahrungen aufbauen. Deshalb ist es wichtig, eine Mindestpräsenzzeit zu haben, um sich persönlich kennenzulernen. Durch regelmäßige Meetings oder Workshops kann das HR-Management dazu beitragen, das zu fördern. Es gilt, sich nicht nur auf die Ziele zu konzentrieren, sondern auch Raum zu lassen für die Entwicklung der sozialen Kompetenzen. Es geht um Schlagworte wie Wertschätzung, Aufmerksamkeit und auch Empathie – und nicht um reine Zahlen, Daten und Fakten. Das HR-Management sollte regelmäßig reflektieren: Findet das bei uns statt?
Haufe Online-Redaktion: Wie groß ist auf Arbeitnehmerseite der Wunsch nach mobilem Arbeiten? Sehen die Arbeitnehmer eher die Vorteile oder die Gefahren?
Hellert: Das ist ganz unterschiedlich. In Unternehmen, die ihren Beschäftigten eine Vertrauenskultur anbieten, haben die meisten Mitarbeiter den Wunsch, mobil oder im Homeoffice zu arbeiten, weil sie keine Sanktionen erwarten müssen. In Unternehmen, in denen das nicht so klar ist und wo eher eine Misstrauenskultur vorliegt, gehen die Beschäftigten eher auf Nummer sicher. Sie wollen auch keine Vertrauensarbeitszeit, sondern ein- und ausstempeln und dokumentiert wissen, wann sie anwesend waren. Aber auch die sozialen und privaten Gegebenheiten tragen dazu bei, ob jemand mobil arbeiten möchte oder nicht. Es gibt Beschäftigte, die sagen: Ich habe kleine Kinder, ich kann zu Hause nicht gut arbeiten, mir bringt das nichts. Bei denjenigen Personen, die nicht mobil arbeiten wollen, gilt es, den Wunsch zu akzeptieren. Wichtig ist, dass das mobile Arbeiten auf freiwilliger Basis erfolgt und nicht vom Unternehmen als selbstverständlich vorausgesetzt wird.
Haufe Online-Redaktion: Das mobile Arbeiten ist sicherlich auch abhängig von der jeweiligen Persönlichkeit?
Hellert: Ja, es ist eine Typfrage. Das mobile Arbeiten setzt die Kompetenz voraus, sich selbst zu organisieren. Es gibt Menschen, die das gut können, und solche, die das nicht so gut können. In der Psychologie spricht man von „In-Timer“ und „Through-Timer“. Menschen, die im Hier und Jetzt leben und sehr spontan sind, aber nicht so sehr an die nächste Stunde denken, tun sich schwer damit, ihren ganzen Tag durchzuplanen. Anderen fällt das leichter. Die Fähigkeit zum mobilen Arbeiten wurde in der Wissenschaft bislang noch nicht richtig thematisiert. Wir hoffen, dass wir demnächst ein Bundesprojekt starten können, um genau an diesen Punkten zu forschen: Die Voraussetzungen für virtuelle Arbeit.
Prof. Dr. Ulrike Hellert ist Hochschullehrerin an der FOM Hochschule in Nürnberg sowie Direktorin des Instituts für Arbeit & Personal an der FOM Hochschule. In ihrem Buch "Arbeitszeitmodelle der Zukunft" beschreibt sie die Gestaltungsmöglichkeiten durch Funktionszeit, Teilzeit, mobile und flexible Arbeitsformen.
Das Interview führte Daniela Furkel.
Mehr zum Thema "Mobiles Arbeiten" finden Sie im Titelthema des Personalmagazins Ausgabe 5/2016.
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