Selbstreflexion in der Führung

Der Inqa-Check "Personalführung" ermöglicht es unter anderem, die eigenen Führungskompetenzen zu reflektieren. Das scheinen viele Chefs dringend nötig zu haben, zeigt der durchaus selbstkritische Thomas Sattelberger, ehemaliger Telekom-Personalvorstand und Inqa-Themenbotschafter.

Haufe Online-Redaktion: Wie wichtig ist die Selbstreflexion für eine Führungskraft?

Thomas Sattelberger: Nach allen wissenschaftlichen Studien zum Thema Führung ist Selbstreflexion und Selbstkritik neben Perspektivenvielfalt, Lernfähigkeit sowie einem gesunden Maß an Altruismus eine von vier wichtigen Ingredienzien für gute Führung. Wenn man zudem den Spiegel der Mitarbeiter nutzt und so das Fremd- mit dem Selbstbild vergleicht, ist das noch viel besser.

Haufe Online-Redaktion: Warum spielt die Selbstreflexion eine so große Rolle für gute Führung?

Sattelberger: Führung heißt immer auch ein Stück Distanz zu anderen Realitäten zu haben. Umso höher man aufsteigt, umso mehr ist diese Distanz da. Man läuft Gefahr, das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ zu erleben. Mit dem Aufstieg auf der Führungsleiter verengen sich die Optionen der  Selbstreflexion. Deswegen ist das ehrliche Spiegelbild der anderen dann auch wieder so wichtig.

Haufe Online-Redaktion: Haben es hier Führungskräfte in kleineren Unternehmen leichter, weil die Kontakte zur Belegschaft enger sind?

Sattelberger: Die Kontakte sind vielleicht enger, aber das heißt nicht automatisch, dass die Kommunikation auch ehrlicher ist. In den Konzernen sind oben oft die Technokraten, die angestellten Top-Manager. Und im Mittelstand sind nicht selten Patriarchen an der Spitze, die sich sehr schwer tun, kritische Töne zu registrieren oder zu verarbeiten. Insofern handelt es sich eher um ein menschliches Phänomen denn um die Frage der Betriebsgröße.

Haufe Online-Redaktion: Inzwischen ziehen viele Führungskräfte einen Coach zur Rate, um ihre Stärken und Schwächen im Führungsverhalten zu analysieren. Häufig werden Führungskräfte natürlich auch zu Trainings geschickt. Was würden Sie Führungskräften empfehlen, um das eigene Verhalten zu reflektieren?

Sattelberger: Ich glaube, dass ein Coach eher im Ausnahmefall zum Tragen kommen sollte. Wir wollen ja schließlich keine Substitute zu Führung in Form von Coaching. Was Führungstrainings angeht, sollte man sich einmal überlegen, dass man seit 50 Jahren Führungskräfte trainiert und der Erfolg sich in Grenzen hält. Das hat ja auch einen guten Grund: Sobald die Trainer und Coaches weg sind, hat man ein Transferproblem. Die meisten fallen in die alten Muster zurück. Die Trainer und Coaches verdienen ihr Geld, aber die Führungswelt wird dadurch oft nicht besser.

Haufe Online-Redaktion: Was würden Sie also empfehlen, wenn nicht Coaching und Training?

Sattelberger: Schlussendlich geht es darum, einen unternehmenskulturellen Kontext zu schaffen, in dem Führende und Geführte relativ offen und authentisch miteinander umgehen können. Es gehört schließlich zum gesunden Menschenverstand, dass man das Gespräch mit den Mitarbeitern sucht und den Menschen, nicht nur den Rollenträger sieht. Auf diese Weise gibt und erhält man Feedback. Die Führungskraft kann zum Beispiel nachfragen: Wie haben Sie mich heute in dieser schwierigen Situation erlebt? Ich finde es zunehmend problematisch, wie in den Betrieben für jedes Thema ein Coach herangekarrt wird, statt die Debatte darüber zu führen, dass Führungskräfte ganz normal als Menschen im Umgang mit anderen agieren sollten. Und solche einfachen Prinzipien lassen sich auch in Führungsleitsätzen verankern.

Haufe Online-Redaktion: Was sind weitere Mittel, um die Selbstreflexion zu unterstützen?

Sattelberger: Man sollte, wenn Menschen nicht verbal reagieren, auch die nonverbale Kommunikation einbeziehen. Wenn jemand die Augenbrauen hochzieht, weiß man natürlich noch nicht, was genau das ausdrückt. Aber man kann nachfragen, was los ist. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Führungskraft die Mitarbeiter, die sich trauen zu kritisieren, natürlich nicht einfach abblitzen lässt. Es sollte ganz normal werden, dass Mitarbeiter offen ihre Meinung sagen, also eine Kultur des Vertrauens. Um das zu fördern, kann man auch einen kleinen Test wie den Inqa-Check heranziehen: Man setzt sich mit dem Team hin und geht die Fragen oder die ausgewerteten Antworten gemeinsam durch, spricht über die einzelnen Punkte, holt die Meinung aller ein.

Haufe Online-Redaktion: Inwiefern entspricht eine solche Führung denn der Realität in den deutschen Unternehmen?

Sattelberger: Nach allen mir bekannten Befragungen stehen deutschen Führungskräfte, was den konstruktiven Umgang mit den Mitarbeitern angeht, eher schlecht da. Die deutsche Arbeitskultur ist eine äußerst effizienzgetriebene, technische Kultur. Es herrscht das Bild vor, dass man auch menschliche Probleme wie ein Ingenieur oder Techniker lösen kann. Das ist hochrational und spricht nicht die menschliche Beziehungsebene an. Unter anderem deswegen hält sich auch das internationale Ansehen der deutschen Führungskräfte in Grenzen. Sie werden als stur, nüchtern, extrem sachlich und wenig beziehungsorientiert erlebt.

Haufe Online-Redaktion: Sie können selbst auf eine lange Führungskarriere zurückblicken. Welche persönlichen Stärken haben Ihnen immer weitergeholfen und welche Führungsaufgaben würden Sie heute anders angehen?

Sattelberger: Ich bin eine Führungskraft, die – über 40 Jahre konzernsozialisiert – aus altem Holz geschnitzt ist und sicherlich auch zu oft patriarchalisch und autoritär. Ich würde mich nicht als Person bezeichnen, die einen modernen, delegierenden Führungsstil verkörpert. Aber mich hat als Führungskraft ausgemacht, dass ich selbst die Ärmel hochgekrempelt und den Kontakt zur Basis gesucht habe – auch an der Hierarchie vorbei. Zudem hatte ich immer den Helikopterblick über das, was passierte. Und ich war sehr selbstkritisch.

Das Interview führte Kristina Enderle da Silva, Redakteurin Personalmagazin.

Hinweise: Hier können Sie eine Kurzversion des Inqa-Checks "Personalführung" kostenlos testen.


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