Ohne Personaleinsatz zum neuen Arbeitsvertrag
Eren Albayrak ist gelernter Altenpfleger, hat jahrelang in der Intensivpflege gearbeitet. "Irgendwann wollte ich was Neues", sagt er. Abends auf der Couch scrollte er durch Instagram – und bekam eine Anzeige der Baloop GmbH ausgespielt, einer Zeitarbeitsfirma, die Alten- und Krankenpfleger suchte. Der Gesundheitsdienstleister, der mit zahlreichen Kliniken und Gesundheitseinrichtungen deutschlandweit zusammenarbeitet, postete nicht etwa seine offenen Stellen, sondern schlicht einen Gehaltsrechner. "Das hat mich neugierig gemacht", sagt Albayrak. "Die Bezahlung in der Pflege ist ja immer ein Schmerzpunkt. Ich wollte nur kurz schauen, was ich wert bin." Albayrak klickte sich durch den Rechner, gab neben seinem Wunschgehalt auch andere Präferenzen wie Arbeitsort und Urlaubstage an – und erhielt am Ende ein konkretes Angebot für eine Stelle.
Der Arbeitsvertrag, den der Gehaltsrechner ausgespuckt hatte, war zwar in Ordnung, "aber nicht ideal", wie Albayrak sagt. Er wollte Führungsverantwortung, sich regelmäßig weiterbilden. Und: Der 32-Jährige hat Kinder und wollte deshalb keine Mittagsschichten übernehmen. Dennoch war sein Interesse am potenziellen Arbeitgeber geweckt. Für die Feinabstimmung übernahm die Personalabteilung und passte den Vertrag entsprechend an. Albayrak sagte zu und startete zwei Wochen später in seinen ersten Einsatz.
Arbeitsverträge kommen rein digital zustande
Die Baloop GmbH vergibt Arbeitsverträge rein digital und ohne, dass sich beide Seiten überhaupt kennenlernen. Ob jemand überhaupt für den Job geeignet ist und die entsprechenden Zertifizierungen mitbringen, wird ebenfalls digital festgestellt. Gibt es Abstimmungsbedarf, schaltet sich die HR-Abteilung ein. Schließlich geht es nicht darum, HR im Recruiting überflüssig zu machen, sondern mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Personalerinnen und Personaler haben so mehr Zeit für ihre eigentliche Arbeit, ohne sich mit langwierigen Prozessen aufhalten zu müssen.
Damit trifft der Personaldienstleister ins Schwarze: Mehr als die Hälfte der Unternehmen hierzulande wollen und müssen laut dem HR-Report 2022 von Hays ihre Prozesse optimieren – das gilt insbesondere für die Personalabteilungen. Was den rund 1.000 Befragten am meisten fehlt, ist Zeit. Zeit, um die steigenden Projektmengen zu bewältigen. Zeit, um mehr Personal zu rekrutieren. Zeit, um Veränderungen im Unternehmen anzustoßen. Ein ähnliches Bild zeichnet die Studie "Hybrid HR": Mehr als 200 Personalerinnen und Personaler geben an, dass ihre To-Do-Listen immer voller werden und sie gleichzeitig immer weniger Zeit haben, allen Anforderungen gerecht zu werden.
In zehn Minuten zum Arbeitsvertrag
Ein Gehaltsrechner ist das Herzstück der Smart-Recruiting-Plattform: Hier können potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen, was sie am Ende auf dem Konto haben. Sie geben dabei beispielsweise die gewünschten Urlaubstage an, den Einsatzradius, ob sie Schichtdienst machen wollen oder einen Dienstwagen benötigen. All das wirkt sich auf das Gehalt aus. "Man kann den Gehaltsrechner beliebig oft durchspielen. Ändert man einen Parameter, ändert sich auch das Gehalt", sagt Oliver Parrizas, Geschäftsführer von P2 Media und Entwickler der Software.
Danach spielt das System direkt einen Vertrag aus, den die Bewerberin oder der Bewerber sofort unterschreiben kann – aber nicht muss. Wer sich unsicher ist oder eine Rückfrage hat, kann den neuen Arbeitgeber telefonisch oder per Mail kontaktieren. Auch die Unterschrift läuft digital, per Self-Ident-Verfahren mit einem Ausweisdokument. Als letzten Schritt lädt die Bewerberin oder der Bewerber die Steuer-ID hoch, Qualifikationen wie die Examensurkunde und Informationen zu Krankenkasse und Sozialversicherung. Erst hier steigt die Personalabteilung ein und verifiziert die Dokumente.
Die jüngere Zielgruppe gezielt ansprechen
Das Smart-Recruiting-Tool verbessert nicht nur die Prozesse, sondern spricht vor allem jüngere Bewerberinnen und Bewerber an und sorgt dafür, dass diese Zielgruppe den potenziellen Arbeitgeber als modernes Unternehmen wahrnimmt. Gleichzeitig ist der Recruiting-Algorithmus transparent und fair: Unabhängig von Geschlecht und Herkunft bekommen alle die gleichen Konditionen – und können mit dem Gehaltsrechner sämtliche Optionen durchdeklinieren, die das Unternehmen bietet. Inzwischen haben sich mehr als 1.000 Kandidatinnen und Kandidaten auf der Smart-Recruiting-Plattform registriert.
Je mehr sich im Recruiting-Prozess automatisieren lässt, desto geringer sind die Costs-per-Hire. Die errechnen sich anhand verschiedener Variablen, unter anderem Medienkosten, Personalkosten für Auswahlgespräche und Reisekosten der Bewerber, erklärt Professor Wolfgang Jäger von der Hochschule Rhein-Main: "Unternehmen zahlen für eine Einstellung zwischen 3.000 und 6.000 Euro", rechnet er vor. Bei Baloop liegt diese Zahl derzeit bei 750 Euro. Dadurch kann der Gesundheitsdienstleister beispielsweise seinen Mitarbeitenden mehr Geld zahlen – und hebt sich somit von den Wettbewerbern ab. Das Unternehmen ist nicht an einen Kliniktarifvertrag gebunden. "Wir bilden alle Prozesse digital ab, fahren nicht mit dem Dienstwagen zu den Bewerbern, um mit ihnen zu sprechen und buchen kein teures Hotel für die Übernachtung", sagt Geschäftsführer David Endres. „Deshalb können wir ein höheres Lohnniveau bieten, sowohl in der Arbeitnehmerüberlassung als auch im Vergleich zu den Kliniken.“
Standardisierte Stellen kurzfristig besetzen
Dieses Modell ist auf jede Branche mit standardisierten Jobs übertragbar, meint Oliver Parrizas. "Vor allem der Einzelhandel mit hohem Personalbedarf könnte davon profitieren, ebenso wie Industrie- und Handelsunternehmen, die Systemgastronomie oder Franchise-Nehmer", sagt er.
Die Smart-Recruiting-Plattform verwaltet nicht nur den Bewerbungsprozess, sondern fungiert auch als eine Art Marktplatz, wie das Beispiel der Baloop GmbH zeigt, die als klassisches Zeitarbeitsunternehmen Personal vor allem an Kliniken und Pflegeheime ausleiht. Diese Kundenunternehmen können online einsehen, welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügbar sind und diese direkt buchen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Schöne neue HR-Welt: Robot Recruiting und die rechtlichen Grenzen
100 Worte: ein KI-Ansatz auf dem Prüfstand
Sascha Lobo: "Die digitale Transformation von HR ist eine Bildungsfrage"
-
Workation und Homeoffice im Ausland: Was Arbeitgeber beachten müssen
1.993
-
Essenszuschuss als steuerfreier Benefit
1.713
-
Vorlage: Leitfaden für das Mitarbeitergespräch
1.500
-
Ablauf und Struktur des betrieblichen Eingliederungsmanagements
1.276
-
Probezeitgespräche als Feedbackquelle für den Onboarding-Prozess
1.249
-
Krankschreibung per Telefon nun dauerhaft möglich
1.129
-
BEM ist Pflicht des Arbeitgebers
1.031
-
Checkliste: Das sollten Sie bei der Vorbereitung eines Mitarbeitergesprächs beachten
709
-
Das sind die 25 größten Anbieter für HR-Software
514
-
Modelle der Viertagewoche: Was Unternehmen beachten sollten
390
-
Tipp der Woche: Mehr Inklusion durch KI
19.12.2024
-
Gleichstellung in Europa verbessert sich nur langsam
16.12.2024
-
Fünf Tipps für effektive Recruiting-Kampagnen zum Jahresstart
13.12.2024
-
Eine neue Krankenkasse als Zeichen der Fürsorge
11.12.2024
-
Wie Personalarbeit wirtschaftlichen Erfolg beeinflusst
10.12.2024
-
1.000 neue Fachkräfte für den Glasfaserausbau
09.12.2024
-
KI für eine inklusive Arbeitswelt
06.12.2024
-
Weihnachtsgeld: Wer bekommt wie viel?
05.12.2024
-
Mit Corporate Volunteering Ehrenamt ins Unternehmen bringen
05.12.2024
-
Die Angst vor KI lässt nach
05.12.2024