Suchtberater für Führungskräfte: Crystal Meth weiter verbreitet

Ganze 2,7 Millionen Deutsche sind laut Bericht der Bundesdrogenbeauftragten alkohol- oder medikamentenabhängig. Experten gehen davon aus, dass Führungskräfte suchtgefährdeter sind als der Durchschnitt. Warum das so ist und was Unternehmen dagegen tun können, erklärt Führungskräfteberater Gisbert Stein.

Haufe Online Redaktion: Gibt es Erkenntnisse darüber, wie viele Führungskräfte ein Drogenproblem haben?

Gisbert Stein: Es gibt dazu keine spezifischen Erhebungen. Was die Gesamtpopulation betrifft, verfügen wir in Deutschland aber über ein sehr gutes Datenmaterial: Wir können davon ausgehen, dass fünf Prozent der Beschäftigten alkoholabhängig sind. Insbesondere in den niederen Berufsgruppen und in den exponierten Positionen gehen wir aber von einer signifikant höheren Anzahl an Süchtigen aus. Auf den unteren Ebenen sind häufig Unterforderung und mangelnde Anerkennung die Ursachen. Im Gegensatz dazu hat Sucht bei Führungskräften häufig mit Überforderung zu tun: Sie nehmen sich nicht genügend Ruhezeiten, sind ständig erreichbar und haben einen hohen Anspruch an sich selbst. Zudem sind sie oft in sehr einsamen Positionen. Dass Führungskräfte häufiger süchtig sind, hängt aber auch damit zusammen, dass in Managementpositionen mehr Männer arbeiten und Männer mehr zu Alkoholabhängigkeit und Drogenkonsum neigen. Frauen stehen unter dem gesellschaftlichen Druck, dass der Konsum bei ihnen eher verpönt ist. Daher bekommen sie eher andere Störungsbilder, wie zum Beispiel Depressionen.

Haufe Online Redaktion:  Zu welchen Suchtmitteln greifen Führungskräfte am ehesten?

Stein: Alkohol ist weiterhin das Suchtmittel Nummer eins, gefolgt von Medikamenten, insbesondere Schlafmitteln. Diese Suchtmittel nutzen Führungskräfte vor allem für den Stressabbau. In meiner Beratung berichten immer mehr Führungskräfte davon, dass sie abends Alkohol trinken, um besser einschlafen zu können. Doch das ist ein Teufelskreis: Man wird zwar vom Alkohol schnell müde, aber nach zwei, drei Stunden Schlaf wieder wach. Und häufig greifen die Betroffenen dann zu Schlafmitteln.

Haufe Online Redaktion:  Sie beschreiben Drogen, mit denen die Führungskräfte runterkommen wollen. Spielen denn auch Aufputschmittel eine Rolle?

Stein: Ja. Führungskräfte nehmen Aufputschmittel häufig in Form von Medikamenten, aber auch illegalen Drogen wie Kokain und Speed, also Amphetaminen. Das Amphetamin Crystal Meth spielt auch eine Rolle. Es gewinnt im unteren und mittleren Führungskräftebereich zurzeit an Verbreitung, zunehmend auch unter Studenten. Die Wirkweise von Crystal Meth passt scheinbar in unser Arbeitssystem: Wir bleiben wach, verspüren keinen Hunger mehr, reduzieren uns auf das Wesentliche und sind scheinbar leistungsfähiger. Doch letztlich funktioniert das nicht: Dann lässt die Wirkung nach und es folgt eine depressive Phase. Der Unterschied zwischen der Hoch- und Tiefphase ist eklatant.

Haufe Online Redaktion:  Also könnte man einen Betroffenen daran erkennen, dass er eine ganze Weile leistungsfähig ist und dann depressiv?

Stein: Das Erkennen von Abhängigkeit ist oft schwierig, es gibt kaum eindeutige Merkmale, die im Arbeitskontext sichtbar sind. Einige Anzeichen können jedoch auf eine Sucht hindeuten, wie etwa Veränderungen im Arbeitsverhalten. Auch das äußere Erscheinungsbild gibt Hinweise, wenn jemand plötzlich sein Äußeres vernachlässigt, ebenso wie das Sozialverhalten, etwa in Form von Stimmungsschwankungen. Aber all diese Anzeichen können auch ganz andere Ursachen haben.

Haufe Online Redaktion:  Wie kann ein Außenstehender – etwa ein Personaler oder der Vorgesetzte des Betroffenen – helfen, wenn er diese Symptome beobachtet?

Stein: Die Entwicklung der Abhängigkeit ist ein schleichender Prozess ist. Nehmen wir das Glas Wein am Abend als Beispiel: Wenn es ein reiner Genuss ist, ist es unproblematisch. Trinkt der Betroffene aber, um eine Wirkung zu erreichen, ist es kein Genussmittel, sondern ein therapeutisches Mittel. Und dann ist die Gefahr groß, dass er dies immer wieder reproduziert und in eine Abhängigkeit gerät – was der Betroffene selbst kaum mitbekommt. Personaler oder Vorgesetzter können helfen, indem sie so früh wie möglich Verhaltensauffälligkeiten ansprechen. Erst dann merkt der Betroffene, dass sein Verhalten auffällig ist und beginnt darüber zu reflektieren. Es kann aber immer nur ein Anstoß sein. Denn Sucht hat für viele immer noch etwas mit Schwäche zu tun. Von einem Suchtmittel abhängig zu sein ist daher schambesetzt und die erste, ganz natürliche Reaktion auf Hinweise von anderen ist zu leugnen und auf Abstand zu gehen.

Haufe Online Redaktion:  Welche Präventionsmaßnahmen können Unternehmen ergreifen?

Stein: Sie sollten das Thema "Überlastung" im Blick haben. Konkret sollten die Verantwortlichen darauf achten, dass die Arbeitsprozesse so gestaltet sind, dass es eine Mischung gibt zwischen Phasen mit Anspannung und Stress einerseits und solchen von Entspannung und Erholung. Zudem sollten Unternehmen ein Konzept dafür haben, wen Führungskräfte mit einem Suchtproblem ansprechen können. Da das Thema "Sucht" immer noch mit Scham und Angst besetzt ist, kann es hilfreich sein, sich extern beraten zu lassen.

Das Interview führte Andrea Sattler, Redaktion Personal.

Gisbert Stein ist Gesundheitswissenschaftler und Führungskräfteberater beim Fürstenberg-Institut.


Schlagworte zum Thema:  Mitarbeiterführung, Prävention