Der Wandel als Normalität
Die digitale und die ökologische Transformation treffen die Automobilindustrie gleichzeitig und massiv. Die quantitativen Auswirkungen von Digitalisierung und Elektromobilität auf Beschäftigung und Qualifikation im Automobilbau sind mittlerweile recht gut erforscht. Weniger gut durchleuchtet ist, wie sich die Transformation qualitativ in den Beschäftigungsverhältnissen darstellt, wie die Beschäftigten den Wandel erleben und bewältigen.
Die Studie "Arbeit und Qualifizierung 2030" von Professor Sabine Pfeiffer und einem Autorenkollektiv an der Universität Erlangen-Nürnberg widmet sich genau diesen Fragestellungen. Rund 3.520 Beschäftigte bei Volkswagen gaben in quantitativen Befragungen einen Einblick in ihr Transformationserleben, zusätzlich fanden eine Online-Befragung mit über 600 Beschäftigten außerhalb des Unternehmens, eine Branchenanalyse sowie über 100 qualitative Interviews statt.
Fehlt es an Wandlungsbereitschaft?
Vielfältig hält sich das Bild von Beschäftigten, die sich nicht verändern wollen: Wandlungsbereitschaft wird in der Managementforschung überwiegend als etwas gesehen, was das Top-Management im Zuge von Change-Prozessen erst durch verschiedene Maßnahmen erzeugen muss. Den Belegschaften werden hohe Beharrungskräfte und eine mangelnde Weiterbildungsbereitschaft oder -fähigkeit zugesprochen.
Die Studie zeigt, dass die Realität bei Volkswagen anders aussieht: Jenseits aller Klischees sind die Beschäftigten im Konzern schon längst hoch aktiv, was Weiterbildung, Stellensuche und Stellenwechsel angeht. Sowohl die quantitative als auch die qualitative Erhebung zeigen, dass der Wandel als normal erlebt wird: Beschäftigte bei Volkswagen waren immer schon in Bewegung.
Auffallend ist die hohe Informiertheit der Beschäftigten über kürzere Qualifizierungen. Auch über einen Stellenwechsel informiert sich ein Großteil der Beschäftigten proaktiv. Häufig haben sie sich auch schon einmal oder mehrfach intern auf eine neue Position beworben.
Hohe Mobilität in der Belegschaft von VW
Noch deutlicher zeigt sich die Veränderungsbereitschaft beim Vergleich der Unternehmens- und Bereichszugehörigkeit: Die Beschäftigtengruppe, die sich durch die längste Betriebszugehörigkeit auszeichnet (41 Prozent sind mehr als 20 Jahre im Unternehmen), ist zu einem hohen Anteil erst weniger als fünf Jahre im aktuellen Bereich tätig.
Die Notwendigkeit, verkrustete Strukturen auf Seiten der Beschäftigten aufbrechen und berufliche Mobilität innerhalb des Unternehmens neu forcieren zu müssen, erweist sich als Mythos. Die Beschäftigten bei Volkswagen weisen bereits jetzt eine sehr hohe Mobilität, Bereitschaft zur Weiterbildung und Motivation zur Weiterentwicklung innerhalb des Unternehmens auf. Sowohl der quantitative Blick in die Breite als auch der qualitative Blick in die Tiefe machen deutlich: Der Wandel wird als Normalität und nicht als Bedrohung angesehen. Die Beschäftigten gestalten ihre eigene Transformation aktiv, anstatt eine passive Erwartungshaltung zu zeigen.
Vertrauen in Management und Betriebsrat
Vertrauen die Beschäftigten darauf, dass die Entscheidungsebenen den richtigen Strategien folgen und die richtigen Weichen stellen? Auch bei dieser Frage zeigt sich ein positives Bild. Nur zwölf Prozent der Beschäftigten misstrauen dem Management bei Entscheidungen für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Bei Entscheidungen für Arbeitsplatzsicherheit und Weiterbildung sprechen 18 Prozent der Beschäftigten dem Management ihr Misstrauen aus. Ähnlich niedrig ist das Misstrauen gegenüber dem Betriebsrat: 20 Prozent misstrauen seinen Entscheidungen für die Wirtschaftlichkeit und 15 Prozent den Entscheidungen für Arbeitsplatzsicherheit und Weiterbildung. Dieses überwiegende Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit der Unternehmensführung und Mitbestimmung kompensiert einen Teil der Unsicherheit der Transformationsprozesse.
Die Studie zeigt darüber hinaus auf, dass die Befragten der Automobilindustrie gemischte Zukunftsaussichten zuweisen: 18 Prozent blicken eher oder sehr pessimistisch in die Zukunft der Branche und 45 Prozent eher oder sehr optimistisch. Das ist deutlich negativer als die Einschätzungen für den eigenen Konzern (71 Prozent eher oder sehr optimistisch), für das eigene Werk (62 Prozent eher oder sehr optimistisch) oder die Marke beziehungsweise das Produkt (64 Prozent eher oder sehr optimistisch). Die Tatsache, dass die Befragten ihre Zukunftsaussichten als Teil des Unternehmens besser einschätzen als die Lage der Branche, ist auch als Vertrauensvorschuss für Management und Betriebsrat zu werten.
Die Erwartungen an Weiterbildung sind vielfältig
Sich auf eine längere Weiterbildung oder einen Arbeitsplatzwechsel einzulassen, geht mit einer Vielzahl von Erwartungen, Wünschen und Bedingungen einher. 25 Prozent bevorzugen ein nebenberufliches Teilzeitmodell, 47 Prozent favorisieren Vollzeitangebote – wenn diese nicht zu lange dauern. Nur sechs Prozent möchten eine Vollzeit-Weiterbildung, die ein Jahr oder länger dauert.
Bei den Erwartungen an Weiterbildungen kommt es den Beschäftigten vor allem auf inhaltliche Aspekte an und weniger auf eine Verbesserung bei Gehalt oder Status. Dass die "neue Tätigkeit zu den Interessen und Neigungen passt", ist 97 Prozent der Befragten "wichtig" oder "sehr wichtig". "Neues zu lernen" wünschen sich 95 Prozent und eine "Tätigkeit mit Zukunft" 92 Prozent. Die wenigsten erwarten für sich einen "Status mit Führungsverantwortung" (36 Prozent). Bei einem Stellenwechsel ist die gute geografische Erreichbarkeit an einem neuen Standort ein relevantes Kriterium: Nur acht Prozent geben an, darauf keinen Wert zu legen.
Die Hürden fürs Upskilling
Trotz der ausgeprägten Transformationsbereitschaft der Beschäftigten kann es individuelle Hürden geben, die sie davon abhalten, sich auf eine längere Weiterbildung einzulassen. 31 Prozent empfinden ihre aktuelle Arbeit als so gut, dass sie keine Weiterbildung vorhaben, und bei 27 Prozent stellt das gute Team ein Hemmnis dar.
Bei den personengebundenen Hürden ist es vor allem der Zeitfaktor: 38 Prozent sagen, dass ihnen wegen der Familie oder ihren Freizeitaktivitäten die Zeit für eine größere Weiterbildung fehlt. Das heißt: Auf den Weiterbildungsweg begeben sich vor allem diejenigen, die weniger Lebensweltliches berücksichtigen müssen. 22 Prozent der Befragten zeigen sich unschlüssig, welche Weiterbildung die passende für sie wäre. Offensichtlich ist der Bedarf an guten Beratungsangeboten zur eigenen Weiterbildung nicht ausreichend gedeckt. Andere Weiterbildungshürden wie eine mangelnde mentale Fitness, eine mangelnde körperliche Fitness oder Angst vor Versagen sind eher gering ausgeprägt.
Fazit: Viele erleben den Wandel als Normalität
Die Kernbotschaften der Studie sind eindeutig: Bei den Beschäftigten besteht eine hohe Bereitschaft zur persönlichen Transformation in Form von Weiterbildung und Stellenwechsel. Wandel erleben die meisten als Normalität und das Vertrauen in die Zukunft des Konzerns und der Produkte ist recht hoch. Allerdings sind Vertrauen und positive Zukunftsaussichten in dynamischen Transformationszeiten alles andere als Selbstläufer, sondern müssen immer wieder neu erarbeitet werden. Ein Faktor ist eine ernstgemeinte und gelebte Partizipation bei der Gestaltung und Implementierung des Wandels.
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