Niemand hat in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen so beherrscht wie er: der künftige Präsident der Vereinigten Staaten Donald Trump. Muss er deswegen jetzt auch noch zum Protagonisten einer Kolumne über Personalentwicklung werden? Meine Antwort: Er muss.
Wieder einmal ein Narzisst an der Organisationsspitze
Nicht etwa, weil es wieder einmal ein übersteigerter Narzisst geschafft hat, sich an die Spitze einer "Organisation" vorzuarbeiten – und das diesmal sogar demokratisch legitimiert. Daran haben wir uns längst gewöhnt. Eher schon sendet Trump ein Signal an die Personalarbeit, weil es ihm gelungen ist, die vermeintlich oder tatsächlich Abgehängten der Gesellschaft hinter sich zu vereinen.
Ohne selbst als Tellerwäscher den amerikanischen Traum gelebt zu haben, wurde er für einen Teil der Bevölkerung allein dadurch wählbar, dass er gegen die etablierten Kräfte gekämpft hat und selbst nie einer der ihren – also der Politikerkaste – war. Insofern taugt Trump vielleicht sogar zum heimlichen Vorbild für Gewerkschaften und Betriebsräte und deren Kernfrage, wie sich neue Unterstützer erschließen können.
Besonders aber bewegt mich die Frage, ob wir nicht allein deshalb über Trump nachdenken müssen, weil in seinem Erfolg eine Umkehr bisher als gültig geglaubter Elemente unseres Zusammenlebens sichtbar wird, egal ob in der Gesellschaft oder im Unternehmen.
Demokratisierung von Unternehmen neu zu bewerten
Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass kaum jemand ernsthaft an einen Wahlsieg von Trump geglaubt hat. Eine ganze Branche, die der Demoskopen, steht urplötzlich als Depp dar, nur schwer wird sie sich von diesem Fehlschlag erholen können.
Wählerverhalten, ja menschliches Verhalten an sich, wird immer weniger vorhersagbar. Die Brexit-Entscheidung und diverse Wahlen haben das bewiesen. Übertragen auf die Unternehmen könnte dies bedeuten, dass wir uns immer weniger sicher sein dürfen, das Handeln der Mitarbeiter rational vorhersagen zu können. Damit werden auch Elemente der Demokratisierung von Unternehmen wie beispielsweise die Wahl von Führungskräften neu zu bewerten sein. Auch darf die Frage erlaubt sein, ob Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen eigentlich in Zukunft noch mit der gleichen Ernsthaftigkeit geglaubt werden dürfen, wie wir es bisher gewohnt waren.
"Abrechnungen" auf Arbeitgeberbewertungsportalen verzerren die Realität
Bemerkenswert im Umfeld der Wahlanalysen fand ich die Untersuchung eines deutschen Journalisten, der zwei Facebook-Profile angelegt hat und sich auf dem einen mit eher linken Kontakten vernetzt hat, auf dem anderen mit der AFD nahestehenden Personen. In kürzester Zeit konnte er feststellen, dass die in den jeweiligen Netzwerken beschriebene Lebensrealität völlig konträr war und sich nicht mehr zu einem auch nur halbwegs einheitlichen Bild zusammenfügen ließ.
Für Menschen, die ihre Nachrichten und damit ihre Weltsicht hauptsächlich oder ausschließlich aus den sozialen Medien beziehen kann damit eine weit von allen objektiven Realitäten angesiedelte Pseudowirklichkeit entstehen. Ausbilder in Betrieben berichten zunehmend von einer Sicht der jungen Leute auf politische Realitäten, die sich weit von objektiven Tatbeständen entfernt haben. Auch erste "Abrechnungen" einzelner Unzufriedener mit ihrem Arbeitgeber auf Kununu oder Glassdoor führen zu einer Realitätsverzerrung in Folge schlechter Durchschnittsbewertungen, mit der Unternehmen in Zukunft noch viel stärker zu kämpfen haben.
Ist künftig ein postfaktisches Personalmarketing gefordert?
Der US-Wahlkampf hat auch gezeigt, dass wir tatsächlich in einer "postfaktischen Welt leben", in der emotionale Entscheidungen Vorrang haben. Es wird spannend sein, wie diese Einsicht den deutschen Wahlkampf im nächsten Jahr bestimmen wird.
Für Employer-Branding-Spezialisten und Kommunikationsfachleute bedeutet diese Erkenntnis ihre Strategien zu hinterfragen und gegebenenfalls den Ansatz eines postfaktischen Personalmarketings zu wählen. Die HR-Berater und Agenturen wird es freuen.
Standards der Personalauswahl und Personalentwicklung unter Druck
Schauen wir abschließend aber auch auf die positiven Erwartungen, die die Menschen, die Trump gewählt haben, mit ihm verbinden. Es überrascht, dass dieser derb, chauvinistische und alle Regeln verletzende Politiker selbst von denjenigen gewählt wurde, die er verunglimpft. Die Analysen gehen dahin, dass in den Augen seiner Wähler der Mut und die Authentizität im Danebenbenehmen wichtiger sind als die Einhaltung von Werten und Etikette.
Folgt man dieser Linie für Personalauswahl und Personalentwicklung, kommen bisherige Standards schnell unter Druck. Die Hoffnung, dass der neue Präsident alles anders macht, unabhängiger und jenseits der politischen Kasten und elitären Seilschaften agieren wird, ist eine weitere Hoffnung der Trump Wähler. Ich wage einmal die These, dass wir heute schon in unseren Unternehmen ähnliche Tendenzen sehen würden, wenn Vorstände und Führungskräfte zur Wahl stünden. Die kampferprobte alte Garde würde sehenden Auges auf den Platz verwiesen.
Lieber die Personalentwickler fragen
Ohne den Durchmarsch von Trump beschönigen zu wollen, aber augenscheinlich lag der größere Fehler bei den Demokraten – mit der Aufstellung von Clinton als Bewerberin. Vielleicht hätte man statt der Demoskopen besser die Personalentwickler befragen sollen, ein Teil der Sorgen mit Blick auf die Zukunft wäre uns dann wohl erspart geblieben.
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Kolumnist Oliver Maassen
Oliver Maassen ist seit 2013 Geschäftsführer der Pawlik Consultants GmbH. Zuvor war er unter anderem Bereichsvorstand und Personalchef der Unicredit Bank. In seinen früheren Funktionen verantwortete er die Bereiche Personal- und Organisationsentwicklung, Führungstrainings, Personalmarketing und Talent Management. Er ist Gründungsvorstand der Zukunftsallianz Arbeit und Gesellschaft (ZAAG).