Wann wird das Arbeitsrecht ausgemistet?


Zukunftsfragen: Wann wird das Arbeitsrecht ausgemistet?

Alexander R. Zumkeller, Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektor bei der ABB AG und Präsident des BVAU, glaubt nicht an eine "Entrümpelung" des Arbeitsrechts. Aber er hat einige Vorschläge

Alle kennen das Phänomen: Nach dem Umzug bleiben zahlreiche Kartons unausgepackt im Keller. Jahrelang. Stellen wir uns also vor: Wir ziehen mit dem Arbeitsrecht um. Was lassen wir in den Kisten im Keller?

Umzug mit dem Arbeitsrecht

Als erstes fallen mir "Kleinbetriebsklauseln" ein. Nehmen wir den Kündigungsschutz: Dieser gilt erst ab fünf Beschäftigten. Der Sinn ist klar: Bei Kleinstbetrieben ist das Vertrauensverhältnis und die persönliche Beziehung so stark (ist das wirklich so?), dass ein "Querulant", der nach einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage weiterbeschäftigt werden müsste, unerträglich erscheint. Aber warum liegt der Schwellenwert bei fünf (oder zehn, wenn die Einstellung vor 2003 erfolgte)? Gilt Ähnliches nicht auch bei 50 oder bei 500 oder 5.000 Beschäftigten?

Das Entgelttransparenzgesetz gilt für Arbeitgeber mit mehr als 200 Beschäftigten. Doch gerade in kleineren Betrieben wird munter diskriminiert oder ungleich behandelt, während größere, gemeinsam mit dem Betriebsrat, hinreichend Entgeltgerechtigkeit herstellen. Ein Pflegezeitanspruch ab 16, Familienpflegezeit ab 26 Beschäftigten, ein Teilzeitanspruch aber ohne Schwellenwert? Reine gesetzgeberische Willkür.

Vorschläge zur "Entrümpelung" des Arbeitsrechts

Also, Entrümpelung Nr. 1: Schwellenwerte abschaffen! Stattdessen, wenn überhaupt, eine Generalklausel "arbeitsrechtliche Gesetze gelten nicht, wenn und soweit deren Anwendung für den Arbeitgeber unzumutbar ist". Und die Gerichte entscheiden dann. Absurd? Vielleicht ein wenig provokant, aber häufig ist es einfach so, dass kleine Betriebe etwas viel einfacher, schlanker, schneller umsetzen können als große, da besteht noch Lernbedarf in der Politik. Die Geltung von Gesetzen für die einen, nicht aber die anderen, ist wettbewerbsverzerrend.

Aushangpflichtige Gesetze sind auch so ein Fall: Zwischen 10 und 50 Euro legt man auf den Ladentisch, um ein Druckexemplar zu bekommen – für die Verlage, angesichts der häufigen Änderungen, eine Goldgrube. Für Arbeitgeber ein Ärgernis.  

Daher Entrümpelung Nr. 2: Weg mit der Aushangpflicht! Eine kleine Regelung – wie sie heute schon für das AGG gilt – würde ausreichen. "Als betriebliche Bekanntmachung  von Schutzgesetzen gilt eine solche über im Betrieb übliche Informations- und Kommunikationstechnik als ausreichend."

Ein echter Treppenwitz: Tarifverträge. Nein, nicht die Tarifverträge selbst, sondern deren Registrierung: Laut § 6 TVG muss das BMAS eine Urschrift (oder beglaubigte Abschrift) und zwei Abschriften erhalten und die obersten Länderbehörden drei Abschriften. Mittlerweile bittet fast die Hälfte der obersten Landesbehörden ausdrücklich darum die Tarifverträge ausschließlich elektronisch übermittelt zu bekommen, und zwar nur einfach! 

Folglich Entrümpelung Nr. 3: Nurmehr Übersendung einer elektronischen Fassung an das BMAS, das in einer allgemein zugänglichen Datenbank alle Tarifverträge auch für die Länder zur Verfügung hält. Mehr braucht es nicht.

Ein weiteres Thema sind gesetzliche Ansprüche. Auf Teilzeitarbeit beispielsweise, demnächst (vielleicht) auch auf Homeoffice (am besten gar nicht erst gesetzlich regeln!), auf Pflegezeit und und  und … Alles nicht mehr zeitgemäß. Der Gesetzgeber muss zur Kenntnis nehmen: Wir haben einen Nachfragemarkt. Wenn der Arbeitgeber nicht auf Bitten von Beschäftigten eingeht, verliert er sie. Arbeitgeber haben da längst umgedacht. Auch ohne ein "Homeofficegesetz" gewähren mittlerweile alle namhaften Unternehmen Homeoffice, sogar Ansprüche hierauf, meist in Betriebsvereinbarungen geregelt. Ganz ohne Gesetzgeber. Ein Wunder! Nein, kein Wunder, sondern notwendige Reaktion auf die Bedürfnisse der Beschäftigten. 

Ergo Entrümpelung Nr. 4: Abschaffen von gesetzlichen Individualansprüchen, die in das arbeitsvertragliche Austauschverhältnis eingreifen. Das ist rechtsdogmatisch den Vertragspartnern vorbehalten und rechtspolitisch nicht erforderlich.

Also: Lassen Sie uns "umziehen" – und dabei gleich kräftig entrümpeln! Arbeitnehmerschutz ist richtig und wichtig. Aber Bürokratie hilft auch den Beschäftigten nicht. Dennoch ist die ehrliche Antwort auf die Frage, wann das Arbeitsrecht ausgemistet ist, ernüchternd: Das wird auch in 25 Jahren nicht der Fall sein. Nicht einmal ansatzweise!


Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 9/2024. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.

Weitere Beiträge aus der Jubiläumsausgabe Personalmagazin 9/2024 lesen Sie auch auf unserer Jubiläumswebsite.

Schlagworte zum Thema:  Arbeitsrecht, Digitalisierung