Erst denken, dann reden – das gilt nicht nur für Kinder!


Erst denken, dann reden – das gilt nicht nur für Kinder!

Erst denken, dann reden: Diesen Satz schärfen viele Eltern ihren Kindern ein, beherzigen ihn aber selbst nur am Rande. Im Business werden sie oft selbst wieder zum Kind und werfen mit unverdauten Gedanken nur so um sich. "Verbale Inkontinenz", nennt das unser Kolumnist Boris Grundl und einen "Zeitfresser sondergleichen".

Unser Gehirn produziert ununterbrochen Gedanken. Ob mehr als sechzigtausend oder nur ein paar tausend pro Tag, darüber streiten sich die Geister und die Definitionen. Doch auch ohne solche Zahlenrätsel wird dem selbstreflektierten Menschen deutlich, wie sehr der Geist mit wilden Gedanken und inneren Dialogen beschäftigt ist. Ein Gedanke ist wie ein Wort, das wir nach innen zu uns selbst sprechen. Oft völlig unbewusst und wenig produktiv. Meistens siegt die Quantität über die Qualität. Und leider gilt das oft auch für den Dialog nach außen. Die Worte purzeln nur so heraus, weil der Sprecher vergisst, erst einmal in sich hineinzuhorchen.

Der Sprechende fühlt sich gerne in einer überlegenen Position. Er hat in diesem Moment die Kontrolle, er spürt die Macht. Er sagt, was Sache ist und wohin die Reise geht. Ohne die Meinungen der anderen auch nur anzuhören – wenn er wüsste, was er dadurch alles verpasst ...

Doppelt so viel hören wie reden

Würden wir nur alle das kluge Zitat von William Somerset Maugham beherzigen: "Die Natur ist wirklich weise. Der Mensch hat zwei Ohren und nur eine Zunge. Er sollte eben doppelt so viel hören wie reden." Das ist in Wahrheit das Geheimnis kommunikationsstarker Persönlichkeiten. Bevor sie sich äußern, bemühen sie sich, die Argumente und Standpunkte der anderen zu durchdringen. Sie hören hin und fragen nach, um in der Tiefe zu verstehen, was der andere meint. Dabei sind sie keineswegs immer gleicher Meinung. Sie können verstehen, ohne einverstanden zu sein. Und sie stellen kraftvolle Fragen, um das Gehörte zu verdichten und für ein positives Ergebnis nutzbar zu machen. Und wenn sie sich dann äußern, ist das Gesagte von großer Dichte und Intensität.

Daneben gibt es den anderen Pol. Der unscheinbare Stille, der sich schützend in Schweigen hüllt. So ist er nicht angreifbar und setzt sich keinem Risiko aus. Aber wie der Wasserfallredner trägt auch der Mundfaule nichts dazu bei, die goldene Mitte in der Argumentation zu finden– so wie es Aristoteles einst vorschwebte.

Ich spreche, also bin ich

Cogito ergo sum, sagt der Philosoph René Descartes: Ich denke, also bin ich. Bei den meisten Menschen ändert sich der Blickwinkel. Loquor ergo sum. Ich spreche, also bin ich. Sie spüren sich nur, wenn sie sich reden hören. Sie hoffen, gesehen zu werden, Anerkennung zu finden. Reden um des Redens willen. Es geht weniger darum, Themen zu durchdenken und auf den Punkt zu bringen oder um Verständigung zu ringen.

Dabei gibt es kaum etwas Spannenderes, als sich eine tragfähige Meinung zu bilden. Eine echte, bewusst geprüfte und begründete Meinung. Eine, die auch für andere tragfähig ist und kraftvolle Ergebnisse hervorbringt. Genau aus diesem Grund ist Zuhören von besonderer Bedeutung für starke Führung.

Die starke Führungskraft stellt die richtigen Fragen, bevor sie spricht. Sie denkt voraus und sie denkt nach: Habe ich mich ausreichend informiert und einen Sachverhalt von mehreren Seiten beleuchtet? Habe ich mir die Mühe gemacht, darüber nachzudenken, wohin die verschiedenen Blickwinkel in der Zukunft führen? Habe ich etwas nur gedanklich angerissen oder sogar konzentriert durchdacht? Was waren meine persönlichen, vielleicht auch egoistischen Motive bei der Betrachtung und Bewertung der Situation? Suche ich nur nach einer Bestätigung meines bisherigen Horizonts? Will ich Recht haben oder einer größeren Sache dienen?

Reden ist Silber, Verstehen ist Gold!

Gesellschaftliche Teilhabe erfahren wir durch Hören, Verstehen und Anwenden von Sprache. Durch Sprache und Sprachverständnis können wir Beziehungen aufbauen und pflegen. Dabei sollten wir uns immer fragen, was unsere Motive sind, wenn wir sprechen. Geht es darum, beliebt zu sein oder gut dazustehen? Um Selbstdarstellung und Blendwerk? Oder wirklich um die besten Antworten in der Sache?

Denken Sie über sich hinaus. Und dann stellen sie sich immer wieder die Frage, inwieweit Sie Ihre Gedanken führen – nicht kontrollieren! – und lenken lernen können. Verstehen Sie Zusammenhänge. Verstehen Sie Ursachen, Motive und Menschen. Und dann erst reden Sie. Ihr Wort bekommt deutlich mehr Gewicht. Und die Ergebnisse werden insgesamt immer besser und besser. Das verspreche ich Ihnen.


Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis.