Führen Frauen anders?
Die Situation für weibliche Führungskräfte könnte besser sein: Nur 29 Prozent der Führungspositionen in deutschen Unternehmen sind mit Frauen besetzt. Damit nimmt Deutschland Platz 20 von 30 in Europa ein. Der Gender-Pay-Gap beträgt 18 Prozent – der drittschlechteste Wert in Europa. Gleichzeitig wächst der Wunsch nach mehr Gender Diversity auf den Führungsetagen. Zum einen, weil zahlreiche Organisationen festgestellt haben, wie gut ihnen ein nicht rein männlich-weiß-besetztes Management tut. Zum anderen, weil sie aufgrund gesetzlicher (FüPoG II) oder interner Vorgaben bestimmte Quoten zu erfüllen haben.
Kein Wunder, dass Axel Koch, Dekan der Fakultät Wirtschaftspsychologie und Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management vor rund zwei Jahren beobachtete: "Um mich herum ging es immer mehr um das Thema ‚Female Leadership‘. Immer mehr Firmen griffen das Thema auf, und es gab immer mehr Weiterbildungen", sagt er. Er fragte sich, ob das Thema schon auf wissenschaftlicher Ebene angeboten wird. "Ich hatte das Gefühl, dass es eine Hochschule braucht, die auf akademischer Basis die Menschen fit macht für die Prozesse und Kultur von Female Leadership", ergänzt er.
Female Leadership auf Master-Niveau
Deshalb hat seine Hochschule den Masterstudiengang "Female Leadership" ins Leben gerufen – mit zwei Besonderheiten: Erstens wird das Studium in Kooperation mit der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport (DHGS) angeboten. Zweitens können die Studierenden verschiedene Abschlüsse erwerben: einen Master in Wirtschaftspsychologie, in Betriebswirtschaft oder Sportmanagement. Das ist möglich, weil Female Leadership eine einsemestrige Spezialisierung innerhalb eines dreisemestrigen Masterstudiums ist. Die Studierenden können auch nur diese Spezialisierung belegen und nach erfolgreichem Abschluss ein Hochschulzertifikat erhalten. "Oder sie können ein zweites Zertifikat erwerben, zum Beispiel systemisches Coaching, dann noch eine Masterarbeit schreiben und einen Weiterbildungsmaster erhalten", sagt Gunnar Mau, Präsident der DHGS in Berlin.
Das Studium richtet sich unter anderem an Personen im Bereich Personal oder Organisationsentwicklung, die wissen wollen, wie sie eine Kultur schaffen, in der weibliche Führungskräfte normal sind, und wie sie die benötigten Strukturen aufbauen. Auch wer in einem ESG-Team arbeitet, wer im Diversity Coaching tätig werden will und wer bereits Führungserfahrung hat und das Know-how in diesem Bereich vertiefen will, ist angesprochen. Das Studium ist berufsbegleitend, mit einer Mischung aus Online- und Präsenzterminen sowie Selbststudium über Lernplattformen. "Es ist kein reines Studium für Frauen. Es ist auch eine Weiterbildung für Männer, weil sie ihnen Skills und Fähigkeiten vermittelt, die ihnen helfen, Klischees abzubauen", stellt Gunnar Mau klar.
Die weibliche Art von Führung erlernen
Bislang kann Female Leadership – die weibliche Art von Führung – in Deutschland nicht in ähnlicher Form auf Master-Niveau studiert werden. An der der ESMT Berlin gibt es ein dreitägiges Programm "Women’s Leadership Excellence Diploma" in englischer Sprache. Am Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Mainz kann ein Entwicklungsprogramm "Stark in Führung – Female Leadership" in sieben Modulen à zweieinhalb Tage belegt werden. Die Absolventinnen und Absolventen erhalten ein IHK-Zertifikat und ein mit 16 ECTS-Punkten bewertetes Universitätszertifikat. Die Mannheim Business School bietet einen "Female Leadership Accelerator" in englischer Sprache an, der über sechs Monate geht.
Fundiertes Hintergrundwissen zum Thema vermittelt der berufsbegleitende Masterstudiengang "Führung und Personalmanagement" der Universität Münster, auch wenn der Begriff "Female Leadership" nicht explizit im Titel steht. In den Modulen "Führung, Team und Projektmanagement" und "Diversity Management" werden evidenzbasierte Kenntnisse und Skills für Führungsaufgaben in modernen Organisationen vermittelt. Die Studierenden lernen klassische und moderne Führungsstrategien kennen und diskutieren diese vor dem Hintergrund empirischer Forschungsbefunde. Und sie eignen es sich an, konkrete Führungsstrategien für spezifische Problemlagen zu entwickeln.
Die Hemmnisse für Frauen verstehen
Wie kommt dabei Female Leadership ins Spiel? Zum einen: Bei einer Teilnehmerschaft, die zu zwei Dritteln aus Frauen besteht, ist das Thema gut nachgefragt, etwa mit Blick auf die eigene Persönlichkeits- und Laufbahnentwicklung. Zum anderen: Der Studiengang, der im Fachbereich Psychologie und Sportwissenschaften angesiedelt ist, will allen Studierenden – Frauen und Männern – vermitteln, was empirisch die Gründe dafür sind, dass Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind. "Dafür gibt es konkrete empirisch belegte Erklärungen. Wenn man sich selbst weiterentwickeln will, ist es ein wichtiger erster Schritt, genau zu verstehen, welche Faktoren dazu beitragen, dass wir dieses Verhältnis auf den Führungsetagen haben", erläutert Professor Guido Hertel, Inhaber des Lehrstuhls für Organisation und Wirtschaftspsychologie an der Universität Münster.
Im Modul "Diversity Management" wird zudem der Umgang mit Vielfalt thematisiert. "Hier geht es darum, Vielfalt als Chance zu begreifen und zu verstehen, wie man sich durch stereotype Erwartungen im Weg stehen kann – Stereotype, die Führungskräfte und Personalverantwortliche haben, aber auch eigene stereotype Erwartungen", so Guido Hertel.
Er betont die wissenschaftliche Fundierung dieses Studiengangs, der sich damit von den meisten Führungskräftetrainings und Zertifikatslehrgängen unterscheidet. Im Fokus der Lehre steht die neueste internationale Forschung, und es wird auch selbst geforscht. "Wir haben uns zum Beispiel intensiv mit Geschlechterunterschieden in Verhandlungen beschäftigt und spannende Ergebnisse erhalten, die uns erklären, warum es immer noch einen Gender-Pay-Gap gibt, warum der so stabil ist und was das mit sozialen Rollenvorstellungen zu tun hat", sagt er und ergänzt: "Dieses Wissen ermöglicht es auch, Dinge zu verändern. So zeigen unsere empirischen Befunde konkrete Wege, wie sich Frauen durch die Kenntnis dieser Prozesse anders verhalten können, um die Nachteile auszugleichen, die sie durch soziale Rollenerwartungen haben."
"Frauen sind etwas moderner in ihrem Führungsverhalten. Gleichzeitig sind sie aber bislang weniger motiviert, Führungsrollen zu übernehmen."
Prof. Dr. Guido Hertel, Wirtschaftspsychologe an der Universität Münster
Die Forschung zeigt auch: Frauen führen anders als Männer. "Es sind kleine Unterschiede, aber sie sind empirisch feststellbar", sagt Guido Hertel. Frauen seien stärker demokratisch und orientiert an den Mitarbeitenden. Sie versuchten eher, ihre Mitarbeitenden zu unterstützen und durch klare Ziele und Vorbildfunktion mitzureißen, als dass sie über Hierarchie und Bezahlung arbeiten, fasst der Psychologe zusammen: "Das sind Dinge, die wir zunehmend brauchen. Daher kann man sagen: Frauen sind etwas moderner in ihrem Führungsverhalten. Gleichzeitig sind sie aber bislang weniger motiviert, Führungsrollen zu übernehmen."
Beide Effekte führt Guido Hertel auf die soziale Rollentheorie zurück: Im westlichen Kulturkreis ist die Rollenerwartung an Frauen, sich zu kümmern und um andere zu sorgen. Es wird erwartet, dass Frauen sogenanntes "kommunales Verhalten" zeigen. Von Männern wird dagegen eher das sogenannte "agentische Verhalten" erwartet: mehr Durchsetzungsstärke, Härte und auch ein stärkeres Vertreten der eigenen Interessen. Die Stabilität dieser Rollenerwartungen erklärt Hertel durch die Sorge vor einem "Backlash" – einer Art sozialen Bestrafung, wenn Rollenerwartungen nicht erfüllt werden. Dieser Effekt sei in der Literatur gut beschrieben: "Frauen, die sich durchsetzungsstark präsentieren, haben deutlich mehr negative Reaktionen zu befürchten als Männer für dasselbe Verhalten. Einfach, weil sie nicht dem Schema entsprechen. Umgekehrt haben Männer eher negative Reaktionen zu befürchten, wenn sie sich als Führungskraft nicht durchsetzungsstark, sondern fürsorglich verhalten", fasst Guido Hertel die Befunde zusammen.
Frauen in Führung: Was die Masterstudiengänge vermitteln
Der Masterstudiengang "Führung und Personalmanagement" an der Universität Münster findet aktuell in der vierten Kohorte statt. Die Studierenden bekommen das theoretische Konzept sowie empirische Befunde vermittelt, damit sie verstehen, wie Menschen – und auch sie selber – im Beruf funktionieren. Natürlich wird auch über den Praxistransfer gesprochen: Wie kann man auf Basis des vermittelten Wissens innovative Lösungen für das eigene Unternehmen und die eigene Laufbahn neu entwickeln? Damit unterscheidet sich der Masterstudiengang von einem individuellen Führungskräftetraining, das spezifische Verhaltensweisen im Rollenspiel trainiert.
"Wir sprechen alle Menschen an, die lernen wollen, zu reflektieren, welche Methoden für welche Situationen geeignet sind."
Miriam von Loewenfeld, Studiengangsleiterin Female-Leadership-Programm
Auch der Masterstudiengang "Female Leadership" an der Hochschule für angewandtes Management und der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport hebt sich von klassischen Führungskräftetrainings ab, ist jedoch stärker anwendungsorientiert als der Universitätsstudiengang in Münster. "Wir vermitteln nicht nur die Theorie, sondern lehren auch kompetenzorientiert", sagt Miriam von Loewenfeld, Hochschulleiterin des Female-Leadership-Programms. "Wir sprechen nicht nur Frauen an, sondern alle Menschen, die lernen wollen zu reflektieren, welche Methoden für welche Situationen geeignet sind", ergänzt sie. Zu den Inhalten dieses Studiengangs gehört unter anderem die Vermittlung der verschiedenen Führungsmodelle und -stile sowie die kritische Diskussion von Potenzialanalysen (siehe unten).
Das Studium Female Leadership startet erstmals im Sommersemester 2024. In Münster dagegen gibt es schon einige Erfahrungen mit den beruflichen Wegen der Absolventinnen und Absolventen: Laut Auskunft von Guido Hertel ist die Bandbreite an Karrieren groß: Personen, die in der öffentlichen Verwaltung die nächste Karrierestufe nehmen, die aus der Selbstständigkeit heraus eine Führungsposition in einem Unternehmen einnehmen und solche, die sich in ihrem Unternehmen intern weiterentwickeln. Einen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Karrieren hat er nicht festgestellt.
"Es geht nicht darum, Frauen zu sagen, wie man jetzt führt. Sondern es geht darum aufzuzeigen, welche Elemente jenseits des klassischen Führungsstils erfolgreich sind."
Prof. Dr. Gunnar Mau, Präsident der DHGS in Berlin
"Female Leadership ist keine Nachhilfe für Frauen. Sondern es geht darum zu sagen: Es gibt Männer in Führung und es gibt Frauen in Führung. Wir Psychologen sagen: Es kommt darauf an, welche Stärken, Kompetenzen und Leidenschaften jemand mitbringt. Das ist der Ausgangspunkt der Betrachtung. Aber diese Normalität haben wir noch nicht in den Unternehmen, und deswegen wollen wir das Fundament an einer Hochschule schaffen", sagt Axel Koch. "Es geht nicht darum, Frauen zu sagen, wie man jetzt führt. Sondern es geht darum aufzuzeigen, welche Elemente jenseits des klassischen Führungsstils erfolgreich sind", ergänzt Gunnar Mau.
Module des Masterstudiengangs Female Leadership
Modul 1: Führung im gesellschaftlichen Wandel
- Einordnung im Kontext existierender Leadership-Ansätze
- Zahlen, Daten und Fakten zu Gendergerechtigkeit
- Historische und soziologische Betrachtung des Frauenbilds
- Das moderne männliche Rollenverständnis
Modul 2: Potenzialanalysen im Geschlechtervergleich
- Einfluss von Unconscious Bias und Glaubenssätze
- Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen aktueller diagnostischer Verfahren und gängiger Leadership Assessment Tools
- Gegenüberstellung von weiblichen und männlichen Führungsstilen/-profilen
Modul 3: Karrierestrategien und Netzwerke
- Wissenschaftlich erwiesene weibliche Karrierebarrieren wie Glass-Ceiling, fehlende Netzwerke, Imposter-Syndrom
- Herkunft und Grundlage dieser Karrierebarrieren auf theoretischer Basis betrachtet und analysiert
- Konstruktive und erfolgreiche Überwindungsstrategien, um die Karriere von Frauen zu fördern
Modul 4: Konzepte und Synergien geschlechterübergreifender Teamführung
- Stärke des weiblichen Führungsstils (unter anderem Empathie, Fähigkeit zur Konsensbildung, Change Management) mit besonderem Bezug zur Arbeitswelt 4.0
- Entwicklungspotenziale weiblicher Führung
- Synergien von männlichen und weiblichen Führungsstilen
Modul 5: Vereinbarkeitsstrategien – von Female Leadership zu Female Empowerment
- Dimensionen Berufsleben und Karriere
- Dimension soziales Umfeld
- Dimension physische und mentale Gesundheit (Achtsamkeit und Resilienz)
- Sustainable-Lifestyle-Ansatz (unter anderem Einfluss von Social Media)
Dieser Beitrag ist erschienen in personalmagazin neues lernen, Ausgabe 1/2024, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe und aller bisher erschienenen Ausgaben in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der App personalmagazin - neues lernen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Studie: Männer doppelt so häufig in Führungspositionen wie Frauen
Kommentar: Flexible Karrierewege für Frauen schaffen
Warum geteilte Führung hoch im Kurs steht
-
Die verschiedenen Führungsstile im Überblick
508
-
Die besten Business Schools für Master in Management
322
-
Microlearning: Definition, Beispiele und Mehrwert für Unternehmen
168
-
Investitionen in Weiterbildung nehmen zu, aber verpuffen
111
-
Der EQ – und wie er sich steigern lässt
106
-
Kulturdimensionen: Interkulturelle Unterschiede verstehen
971
-
Psychologische Sicherheit: Erfolgsfaktor für Teamerfolg jenseits der Teamzusammensetzung
761
-
Personalentwicklungsmaßnahmen
75
-
Mini-MBA: Gut und günstig, aber weniger wertvoll
74
-
Wie Künstliche Intelligenz in der Personalentwicklung im Einsatz ist
70
-
Lern-Communitys im Unternehmen aufbauen
19.12.2024
-
Podcast Folge 41: Der "Wellenreiter-Club" von Bosch
17.12.2024
-
So gelingt generationenübergreifende Zusammenarbeit
12.12.2024
-
KI, was sonst
11.12.2024
-
Wie Unternehmen und Verbände den Aufbau von KI-Kompetenz fördern
09.12.2024
-
Lernkultur sichtbar machen und gestalten
04.12.2024
-
Podcast Folge 40: Lernreise mit Dominik Klein
03.12.2024
-
KI und die Angst vor Kontrollverlust
29.11.2024
-
Wie Führungskräfte Druck analysieren können
28.11.2024
-
DVCT-Award geht an Programm zu Selbstführung bei Bosch
25.11.2024