Wie sehr wir in Deutschland beim flächendeckenden Ausbau der digitalen Infrastruktur hinterherhinken, war mir gar nicht mehr so bewusst. Bis ich die Eröffnungsrede "Zur digitalen Lage der Nation. Die fünf Digitallehren aus Corona" von Sascha Lobo auf der diesjährigen Republica anhörte. Die erste Lehre aus Corona, stellte Lobo fest: die digitale Infrastruktur ist noch schlechter als gedacht.
Lobo skizzierte die Historie der gebrochenen Versprechen seit 2008. Anfang 2008 habe es noch geheißen, die Regierung wolle das Problem fehlender Breitbandanschlüsse auf dem Land binnen zwölf Monate lösen. 2009 sei für 2010 flächendeckendes Breitband mit einer Versorgung bis 1 MBit versprochen worden, 2010 habe es dann geheißen, dass 75 Prozent der Haushalte bis 2014 über mindestens 50 MBit verfügen sollen, 2011 versprach man 50 MBit flächendeckend bis 2018 zur Verfügung zu stellen, 2011 strich die Bundesregierung den Plan für die Breitbandgrundversorgung. 2012 dann sollten es die Kräfte des Marktes bis 2018 richten … Lobos Fazit nach 15 Jahren Versprechungen zur Breitbandversorgung fiel niederschmetternd aus, denn keine wurde demnach eingehalten.
Corona treibt Digitalisierung schneller als der Staat
Dann kam Corona. Die Welt der Büroangestellten verlagerte sich ins Homeoffice – mit allem, was dazu gehört, vom Kollaborationstool über Videokonferenzen bis hin zum digitalen Lernen. Dieses Thema habe ich ja schon zur Genüge in meiner Kolumne beleuchtet (zum Beispiel hier: "Und es hat nicht nur Zoom gemacht!"). Zur gleichen Zeit wechselten die Kinder ins Homeschooling, teilweise sogar digital. Familien organisierten sich neu, die mobilen Daten der Mobilfunkverträge wurden restlos ausgeschöpft, wenn Kinder und Eltern gleichzeitig in die Videokonferenz sollten. Sich über die mangelnde Infrastruktur aufzuregen – geschenkt. Die Konzentration lag auf der Bewältigung des Alltags.
Beispiel für Eigeninitiative im Unternehmen
Gleiches ereignete sich in den Unternehmen. Hier wurden ebenfalls alle Kräfte darauf ausgerichtet, die Mitarbeitenden und damit das Unternehmen trotz aller Widrigkeiten voranzubringen und Arbeit und Lernen zu Hause zu organisieren. Es entstanden tolle Initiativen, auch in Unternehmen, die man sonst vielleicht nicht so sehr wahrnimmt.
Ein Beispiel: das Münchner Unternehmen Hörgeräte Seifert GmbH. In über 85 Filialen in Süddeutschland und Österreich versorgt der Fachhändler Menschen mit Hörgeräten und Gehörschutz. Bei so vielen Filialen ist Teambuilding wichtig, um den Zusammenhalt zu stärken. Also treffen sich die rund 100 Filial- und Abteilungsleiter einmal im Jahr zur Führungskräftetagung. Dass die Präsenzveranstaltung 2021 ausfallen muss, war Geschäftsführer Martin Schulz schnell klar. Die Suche nach einer fertigen Softwarelösung, um das Event virtuell stattfinden zu lassen, endete ergebnislos. Keine bestand die durchgeführten Tests. Schulz machte sich also selbst an die Arbeit, aktivierte seine IT-Kenntnisse und entwickelte mithilfe von Wordpress, MS Teams und Wonder eine Plattform, die möglichst viele Elemente der Präsenzveranstaltung online abbilden konnte.
Selbst erarbeitete Lösung für virtuelle Konferenz
Die Fachvorträge für die Veranstaltung wurden im eigenen, Ende 2020 eingerichteten professionellen kleinen Filmstudio aufgezeichnet, der Livestream mit der Geschäftsführung von dort aus übertragen. Für die Live-Workshops fanden sich die Teilnehmer über MS Teams zusammen, das auch sonst im Unternehmen genutzt wird. In den Pausen kam die Chatsoftware Wonder zum Einsatz – und faszinierte dermaßen, dass die Teilnehmer sich dort länger als geplant aufhielten. Um die passende Atmosphäre zu generieren, war Schulz mit einer Drohne losgezogen und hatte Aufnahmen vom gewohnten, realen Veranstaltungsort gemacht, die als Videos immer wieder eingespielt wurden. Der Erfolg des virtuellen Teambuildings hat den Chef überzeugt: Neben Präsenzveranstaltungen wird es auch künftig virtuelle Events und digitales Lernen geben. Allerdings nicht mit einer fertigen, zugekauften Lösung, sondern mit einem selbst zusammengestellten System auf Basis von Teams und Sharepoint - was auch Microsoft freuen dürfte, denn womöglich ist das ein Hinweis darauf, dass die mit Viva angepeilte Strategie aufgeht.
Das nächste Versprechen: die nationale Bildungsplattform
Das ist nur ein Beispiel von vielen. Es zeigt, was digitales Lernen und die digitale Transformation treibt: es sind engagierte Menschen, die sich für ihre Mitarbeitenden und Unternehmen einsetzen und keine Versprechungen des Staates. Moment, da war doch vor Kurzem noch ein neues Versprechen: genau, die digitale Nationale Bildungsplattform. Mal sehen, was daraus wird. Warten wir es ab.
Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung" die Trends auf dem E-Learning-Markt.