Wenn die Krise zur Großübung wird


Kolumne E-Learning: Wenn die Krise zur Großübung wird

Wir konferieren wie selbstverständlich virtuell und lernen digital. Das neuartige Coronavirus hat die digitale Transformation so weit vorangetrieben, wie es vor der Krise kaum zu ahnen war. Davon profitieren auch die Lernenden, meint Kolumnistin Gudrun Porath.

Jane Hart hat nachgefragt bei ihren zahlreichen Followern. Nicht nach den "Top Tools for Learning", für die sie bekannt geworden ist. Hart wollte vielmehr wissen, wie und ob sich Learning and Development (L&D) beeinflusst durch die Corona-Pandemie verändern werden. Ihre einfache Twitter-Umfrage ergab, dass es für die überwältigende Mehrheit der Antwortenden ein "weiter so" nach der Krise nicht gibt. 21 Prozent gaben an, sie wollten alle Weiterbildungsmaßnahmen auf Online umstellen, 43 Prozent zeigten sich überzeugt, etwas anderes als das Althergebrachte ausprobieren zu wollen. In den Antworten war laut Hart von interaktiven Sessions zu lesen, von "Leader Talk Shows", virtuellem Coaching, Podcasts und wöchentlichen Newslettern zu Schlüsselthemen - und von neuen Skills wie zum Beispiel Innovationsfähigkeit. 

Videokonferenz und Webinar gehören zur neuen Realität

Hart, deren Follower vor allem unter Learning-and-Development-Profis aus Unternehmen zu suchen sind, bestätigt eine Umfrage des MMB-Instituts aus Essen in der deutschen E-Learning-Branche. Weite Teile der E-Learning-Wirtschaft zeigten sich im April positiv gestimmt. Von 64 der Unternehmen, die sich auf die Umfrage meldeten, spürten 27 Prozent einen positiven Umsatzschub, 25 Prozent erwarteten sinkende Umsätze. Bemerkenswert: Offenbar profitieren besonders die jungen E-Learning-Anbieter und die reinen Online-Unternehmen, von denen 50 Prozent beziehungsweise 41 Prozent einen Zuwachs meldeten. An erster Stelle der Tools, die jetzt gefragt sind, liegen mit 80 Prozent virtuelle Klassenräume und Webinare.

Das ist ein Ergebnis, über das sich wohl kein Leser dieser Kolumne wundern dürfte. Wer es nicht selbst erlebt, hört es von anderen: Von morgens bis abends habe man in Skype-Konferenzen, Microsoft-Teams-Meetings oder Web-Ex-Calls gesteckt. Selbst Zoom, das kurzfristig aufgrund von Sicherheitslücken in Verruf geratene easy-to-use Videotool, verzeichnete innerhalb kürzester Zeit Zugriffsraten, die allein von März bis April offiziellen Angaben zufolge um 100 Millionen Nutzer auf rund 300 Millionen täglich anstiegen. Die Videokonferenz gehört zur neuen Realität und, vielfach in Form des Webinars, zum neuen Lernen. 

Hilfs- und Lernbereitschaft prägen das virtuelle Miteinander

Masse ist nicht gleich Klasse, aber Übung macht den Meister. Diese zugegeben etwas abgestandenen Plattitüden beschreiben recht gut, was dabei gerade zu erleben ist. Weil es ohne nicht mehr geht und viele Trainer, Lehrerinnen und Lehrer in der Erwachsenenbildung wie in den Schulen nicht darauf vorbereitet sind, ist der Start oft holprig. Das fängt damit an, sich mit einer ungewohnten Technik beschäftigen zu müssen, in eine Mini-Kamera zu blicken, den eigenen Anblick am Bildschirm zu ertragen und sich dann auch noch auf zwei bis tausend Teilnehmer zu konzentrieren, deren Aufmerksamkeit es hoch zu halten gilt und mit denen man dann vielleicht auch noch interagieren soll. Das kann schon mal dazu führen, dass alle da sind und sich später nur an das Chaos erinnern.

Dabei geschieht Erstaunliches: Weil es so viele sind, die gerade anfangen, sind die Probleme häufig und erscheinen gar nicht so schlimm. Vielmehr stelle ich eine große Hilfsbereitschaft bei denen fest, die sich auskennen und eine ebensolche Offenheit bei denen, die viele Fragen haben. Überall gibt es Tutorials und Tipps zum Umgang mit Tools und Technik, die nicht von den Anbietern selbst kommen, sondern die ganz spontan entstehen. Profis, die schon etwas weiter sind, stellen ganze Sammlungen zu Videokonferenz- und Meetingtools zur Verfügung, ganz informell. Zudem gibt es soviel Gelegenheit zu üben, wie wohl nie zuvor. Ganz einfach, indem man es tut. Wenn der Berufsalltag zur allgemeinen Großübung wird, für Mitarbeitende aller Hierarchie- und Altersstufen, ist der Lernfortschritt enorm und deutlich zu sehen. Wenn alle etwas lernen und daraus neue Routinen entstehen, spätestens dann zeigt sich auch, dass wir von der Krise irgendwann einmal profitieren.

Kein Zurück zur alten Normalität

Weitermachen wie vorher wird indessen niemand können. Nicht hier, nicht in Europa und auch nicht in den USA. Dort, so haben die Analysten von Gartner ermittelt, haben 84 Prozent der L&D-Verantwortlichen in den Unternehmen Präsenztrainings abgesagt. Viele L&D-Verantwortliche glaubten nicht daran, überhaupt wieder zu Präsenztrainings zurückzukehren, sagte Sari Wilde, Vice President bei Gartner, dem Online-Portal cmswire.com.

Das kann man so stehen lassen, muss man aber nicht. Denn jeder, der jetzt nur noch im Homeoffice vor dem Bildschirm hängt, sei es um zu lernen oder sich mit Kollegen auszutauschen, freut sich auch wieder auf den leibhaftigen Kontakt. Wer bislang von Präsenztrainings lebte, wird sich sehr schnell auf ein ganzheitliches Angebot mit digitalen Formaten und Präsenzterminen umstellen müssen, sofern das nicht schon geschehen ist. Das Beste aus beiden Welten wird die Anbieter ebenso weiterbringen wie die Unternehmen und Lernenden.


Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung" die Trends auf dem E-Learning-Markt.


Schlagworte zum Thema:  E-Learning, Coronavirus, Personalentwicklung, Software