LMS und LXP für die digitale Weiterbildung

Die generative KI ist in den Lernplattformen angekommen. Doch auch Kunden, die keine KI wollen, treffen auf fort­schritt­liche Systeme, die zielgerichtet Kompetenzlücken auf­füllen und auf den Bedarf von Unternehmen wie Lernende ausgerichtet sind. Gleichwohl gerät der Markt unter Druck.

Die Coronapandemie hat zusammen mit dem spürbar werdenden Fachkräftemangel und der Einführung der generativen KI innerhalb kürzester Zeit für große Fortschritte auf dem Markt für Lernplattformen gesorgt – auf der Seite der Nachfrager wie auf Seiten der Technologie. Viele Anbieter reagieren darauf mit einem wachsenden Produktportfolio, andere integrieren immer neue Funktionalitäten in die klassischen Systeme. Die lassen sich nach wie vor unterscheiden. Learning-Management-Systeme (LMS) unterstützen die Verwaltung und das Management von Lernprogrammen, stellen Lerninhalte bereit, dienen der Verwaltung von Lernressourcen und dem Nachweis gesetzlich vorgeschriebener Schulungen, zum Beispiel zu Compliance, die den Lernenden zugeordnet werden.

LMS und LXP: Das können die Lernplattformen

Learning-Experience-Plattformen (LXP) unterstützen das selbstgesteuerte Lernen und stellen eine breite Palette von Lerninhalten und Lernaktivitäten zur Verfügung. Lernende erhalten Lernempfehlungen, die auf dem Nutzerverhalten, dem persönlichen Profil oder erkannten Kompetenzlücken basieren. Die LXP soll den Wissensaustausch und Kollaboration ermöglichen, indem darüber zum Beispiel die Experten in der Organisation zu finden sind.

Einige LMS verfügen mittlerweile auch über LXP-Funktionalitäten, ebenso wie LXP-Anbieter ihre Systeme um LMS-Funktionalitäten ergänzen. Andere trennen die Produkte strikt. Häufig gibt es integrierte Autorentools und eigene Content-Bibliotheken, auf die Kunden zurückgreifen können. Immer wichtiger wird die Verbindung mit Skill- oder Kompetenzmanagement und immer häufiger kommt bei der Erstellung von Content oder der Individualisierung in unterschiedlicher Weise generative KI zum Einsatz. Immer häufiger zu sehen sind KI-basierte Lernassistenten und Kommunikationssimulationen. 

Warum Lernsysteme gefragt sind

Unternehmen aller Größen und Branchen stehen vor ähnlichen Herausforderungen, bei deren Bewältigung ein Lernsystem helfen kann. Dazu gehören der erhöhte Weiterbildungsbedarf durch digitale Transformation und technologischen Wandel, gesetzlich vorgeschriebene Schulungen, die Steigerung der internen Talentmobilität und das Erkennen sowie Überwinden von Skill Gaps. Zudem wird es immer wichtiger, dass alle Mitarbeitenden, auch diejenigen ohne Computerarbeitsplatz oder eigene E-Mail-Adresse, in die digitale Weiterbildung einbezogen werden. Schnelles Onboarding neuer Mitarbeitender, Zugang zu Lerninhalten über verschiedene Endgeräte und die Nutzung verschiedener Lernformate (Video, Webinar, E-Learning, immersives Lernen) sind ebenfalls wichtige Aspekte. Hinzu kommen die effiziente Verwaltung von Ressourcen wie Trainingsräumen, Trainern und Materialien, die Erstellung von Lerninhalten sowie die Integration in bestehende HCM-Software und Lernökosysteme.

Einige Beispiele, wie Hersteller diese Herausforderungen meistern, sollen hier genannt werden. Einen vollumfänglichen Überblick liefern sie nicht. Dazu ist und bleibt der Markt, selbst wenn man nur den deutschsprachigen Raum betrachtet, zu kleinteilig und die Masse der Anbieter allein für LMS und LXP zu groß.

LMS auch für kleinere und mittlere Unternehmen

In den meisten E-Learning-Rankings und Marktübersichten ist Cornerstone On Demand ganz vorne mit dabei. Das Ansinnen des Gründers Jeff Miller, sicherzustellen, dass Unternehmen einen guten Weg finden, um ihre Mitarbeitenden zu schulen und zu entwickeln, beeindruckt heute noch, sagt Thorsten Rusch, Director Solution Consulting, DACH, Nordic- und East­ern Europe. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren viele Kompetenzen dazugekauft. Im Mai veröffentlichte Cornerstone die Plattform "Cornerstone Galaxy" und führte damit auch den Begriff "Workforce Agility" als übergeordnete Kategorie ein.  Mithilfe von künstlicher Intelligenz sollen sowohl administrative Prozesse unterstützt als auch die persönliche Entwicklung individueller werden. Die neue Plattform setzt auf umfassende KI-Unterstützung, um zum Beispiel Skill Gaps zu identifizieren und die Anpassungsfähigkeit von Mitarbeitenden mit geeigneten Maßnahmen zu steigern, und ermöglicht eine flexible Integration von Partnerlösungen.

Das jüngste Produkt im Portfolio heißt "Cornerstone Learning Fundamentals" und ist ein speziell auf die Bedürfnisse kleinerer und mittlerer Unternehmen zugeschnittenes LMS mit bewährten Funktionen und vorkuratiertem Content. Wer sich dafür entscheidet, soll binnen sechs Wochen ein einsatzfähiges System haben, inklusive KI-gestützter Tools zur Inhaltserstellung und Kuratierung, heißt es. Damit reagierte Cornerstone auf die häufig gehörte Kritik, dass sein Angebot für Unternehmen bis 2.500 Mitarbeitende zu kostspielig und komplex sei. 

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Lernplattform als Partner für HR

Das Produktportfolio ist damit vielfältig wie nie und geht längst über eine Lernplattform hinaus. Es verdeutlicht aber auch die Richtung, in der sich viele Anbieter entwickeln. Es geht nicht mehr nur darum, den Lernbedarf und gesetzliche Vorgaben zu erfüllen, es geht darum, ein Partner für HR zu sein, für das Lernen, für die Personalplanung, für die Nachfolgeplanung, für das Performance Management. Und es geht darum, Daten, die im Unternehmen vorhanden sind, für diese Zwecke bestmöglich zu nutzen. Zwar positioniert sich Cornerstone nicht direkt gegen die großen HCM-Anbieter SAP, Workday oder Oracle, die mit SAP Successfactors, Workday Talent Management oder Oracle Grow längst auch eigene Lernsysteme am Start haben. "Das sind Mitbewerber, aber eben auch Partner, weil wir aus diesen Systemen die Daten bekommen", sagt Thorsten Rusch. 

Lerntechnologien neigen zu Komplexität

Der E-Learning-Markt sei extrem gut darin, Komplexität zu erzeugen, sagt Sven R. Becker, Co-CEO der IMC AG aus Saarbrücken. Ein Beispiel: In einer Umfrage zum Stand der Lerntechnologie 2024 unter 510 Entscheidern in Großbritannien hielten es nur 31 Prozent für sehr einfach, Trainings mit LMS zu absolvieren. Er plädiert dafür, die Komplexität der Produkte zu reduzieren, statt sie weiter zu erhöhen. Die Kernfrage für die richtige Strategie bei der Auswahl eines LMS sei, wie das Unternehmen sich verändert. Davon ist Becker überzeugt. Wichtig sei auch, die Administratoren nicht nur zu entlasten, sondern die Entlastung mit einer Qualitätssteigerung zu verbinden. 

Szenariobasiertes Lernen mit KI

Auf Basis wissenschaftlicher Sprachmodelle und KI hat die IMC AG  einen virtuellen Trainer entwickelt, mit dem Lernende wie mit einer realen Person ein Thema diskutieren oder üben können. Bei Skillsoft heißt der Gesprächssimulator "Caisy". Damit das szenariobasierte Lernen gelingt und "Caisy" immer die richtigen Worte findet, nutzt das Unternehmen die Technologie von Open AI in einem geschlossenen System, sodass die Daten nicht abfließen können. Neben KI-gesteuerten Trainer-Avataren für szenariobasiertes Lernen, als Mentor oder Coach immer häufiger zu finden sind KI-gestützte Lernassistenten, die sich "persönlich" um die Lernenden kümmern. Sie sind zum Beispiel dafür da, Lerninhalte genau dann zur Verfügung zu stellen, wenn sie benötigt werden, oder  fungieren als Lernbegleiter, indem sie ähnlich wie die altbekannten Chatbots Fragen zum Stoff beantworten, auf Anfrage Zusammenfassungen erstellen, Lernempfehlungen machen und so beim Lernen helfen.

Mitarbeitende ohne Bildschirmarbeitsplatz, zu denen Beschäftigte in der Produktion (Blue Collar), im Einzelhandel, im Transportwesen oder auch in der Gastronomie gehören, stellen spezifische Anforderungen an Lernsysteme. 

Lernsysteme stellen Wissen on demand zur Verfügung

Sie müssen schnell und effizient über vom Unternehmen bereitgestellte Lernstationen oder über eigene mobile Endgeräte auf Lerninhalte zugreifen können. "Lernen im Fluss der Arbeit" bekommt bei folgendem Beispiel der Haufe Akademie eine ganz neue Bedeutung: Stellen Sie sich vor, so berichtete Björn Preußer von der Haufe Akademie auf der Learntec, das LXP dockt an Steuerungselementen in der Produktion an. Werden Fehler identifiziert, kann man diese mit Kompetenzlücken in Verbindung bringen. Über Workstations, zum Beispiel an der Sicherheitskontrolle, werden diese Fälle hochgeladen und den Mitarbeitenden entsprechende Lerninhalte zur Verfügung gestellt. Weitere Lernempfehlungen liefert zum Beispiel die im LXP eingesetzte analytische KI. Die Benutzeroberfläche der Lernplattform ähnelt Facebook und Instagram, und wie bei privat genutzten sozialen Netzwerken ist der Upload von User Generated Content möglich – auch für Blue Collar Worker. 

Lernen muss sich rechnen

Von Docebo bis Masterplan – immer mehr Anbieter von Lernplattformen beschäftigen sich ausführlich mit dem Return on Investment (ROI) des Lernens und bieten sogar eigene ROI-Rechner auf ihren Webseiten an. Die Düsseldorfer Traperto GmbH arbeitet mit einem KPI-Cockpit. Entwickeln sich  unternehmenskritische Kennzahlen nicht wie gewünscht und werden Kompetenzlücken der Mitarbeitenden identifiziert, können über das Cockpit entsprechende Maßnahmen im Trainingskatalog ausgelöst werden und anschließend ermittelt werden, ob sich das Training gerechnet hat. Künstliche Intelligenz wird dabei noch nicht eingesetzt. Es gibt Kunden, die wollen keine KI, ist die Erfahrung von Jan-Hendrik Precht, zuständig für New Business bei Traperto. Weil immer mehr Kunden das LMS auch nicht mehr auf Servern amerikanischer Firmen gehostet haben wollen, selbst wenn diese in Europa stehen, nutzt Traperto zum Beispiel die europäische Open Telekom Cloud. 

Lernempfehlungen auf Basis von Skill Gaps

Skills sind zu einem kritischen Erfolgsfaktor für Unternehmen geworden. Die Anbieter von Lernplattformen haben sich darauf eingestellt, wobei die Umsetzung sehr unterschiedlich sein kann. Gefragt sind Funktionen wie die Identifikation, Klassifizierung und Entwicklung von Kompetenzen und das Erkennen von Skill Gaps, um auf dieser Basis Lernempfehlungen zu machen oder die interne Talentmobilität zu fördern.

Durch den Einsatz von KI können Kompetenztaxonomien automatisiert erstellt und gepflegt werden, um auf dieser Basis immer die passenden Lerninhalte zu finden und bereitzustellen, die genau auf die individuellen Fähigkeiten und Entwicklungsbedürfnisse der Mitarbeitenden zugeschnitten sind. Für David Middelbeck, Mitgründer der Edyoucated GmbH aus Münster, ist Skills Management  das Herz des hauseigenen LMS: "Skills sind die DNA, der Motor für den gesamten Employer Lifecycle." 
Herausforderungen liegen vor allem in der Interoperabilität von Skill-Taxonomien zwischen verschiedenen Systemen. Unterschiedliche Definitionen und Klassifizierungen von Skills führen zu Inkonsistenzen, die eine effektive Nutzung behindern können. Das Mapping von Skill-Taxonomien kann dies verhindern. 

Vielfalt der Lernsysteme erhöht Beratungsbedarf

Lernsysteme, mit denen neben den eigenen Mitarbeitenden Kunden und Partner lernen sollen, müssen besondere Anforderungen erfüllen. Branding, die Integration von Websites und Marketingplattformen sowie E-Commerce- oder Finanzfunktionen sind oft unerlässlich. Dies lösen die Anbieter unterschiedlich. Wenige, wie zum Beispiel die IMC AG oder Docebo, stellen dafür ein sogenanntes "Headless LMS" zur Verfügung. Das bietet die Möglichkeit, über ein komplett benutzerdefiniertes Frontend mit der LMS-Backend-Datenbank über die bestehende API-Schicht des LMS-Anbieters zu kommunizieren, um Daten für die Anzeige abzurufen und zur Speicherung an das Backend zu senden oder Informationen und Daten aus anderen proprietären Systemen wie CRM oder ERP abzurufen und anzeigen. 

Zwar mag sich der Markt der Anbieter von Lernplattformen konsolidieren, weniger Auswahl an Lösungen bedeutet das aber nicht. Vielmehr wächst der Beratungsbedarf bei der Auswahl, denn die  Unterschiede liegen im Detail. Wie wird analytische und generative KI genutzt, wird sie überhaupt genutzt, gibt es eine klar kommunizierte Roadmap über die nächsten Entwicklungsschritte, passt die Strategie mit der eigenen zusammen, sind zudem wichtige Fragen, die beantwortet werden müssen. Entscheidend kann auch sein, wie viele unterschiedliche Softwareanbieter man sich im Unternehmen leisten will und kann. Oder einfach nur, ob man dem Anbieter zutraut, auch in ein paar Jahren noch am Markt präsent zu sein und die Lösung zu unterstützen.


Hier geht es zum Download der Anbieterübersicht (Stand Juli 2024).

Dieser Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 4/2024, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen.


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