Wie der Himalaya türmt sich in vielen L&D-Köpfen der Anspruch auf, den Lerntransfer bei Schulungen im Unternehmen sicherzustellen. Zugleich spüren sie über sich ein bedrohlich wackelndes Damoklesschwert. Das fällt nämlich herunter, wenn eine Schulung nichts bringt. Die Folge dieses Denkens endet leider oft in einer Handlungslähmung.
Ich habe mich zu diesem Phänomen mit Ina Weinbauer-Heidel unterhalten. Nach den Erfahrungen der renommierten und auch international aktiven Top-Expertin für Transferwirksamkeit hapert der Transfer aus den folgenden Gründen: Da ist zunächst der erwähnte hohe Anspruch, dass es ein großes Konzept braucht. Es sind aber auch Fragen, wie diese: Wie kann ich es konkret im Unternehmen umsetzen? Welche Tools funktionieren? Viele Sorgenfalten im Gesicht und endlose interne Debatten später, ist dann das Ende vom Lied, dass sich die Förderung des Lerntransfers sehr anstrengend und nach unendlich viel Arbeit anfühlt. Also weg damit.
Schnell einsteigen und ins Tun kommen
Ina Weinbauer-Heidel weiß, dass es am einfachsten geht, wenn man mit einem "kleinen, feinen Tool" beginnt. Deshalb hat sie über viele Jahre von den Teilnehmenden ihrer Transfer-Designer-Ausbildung eine Vielzahl von Tools gesammelt, die nachweislich gut funktionieren. Ihr Tipp: "Beginne mit einem Tool, bei dem du das Gefühl hast, dass du das einfach ausprobieren kannst und schaue, wie es ankommt. Dann gehst du zum nächsten Tool." Statt also den Lerntransfer-Himalaya in einem Stück bewältigen zu wollen, trägt man quasi nur einen Stein ab. Nach ihrer Erfahrung merken dann L&D Professionals beziehungsweise Trainer und Trainerinnen, dass es richtig Spaß macht und Effekte bringt.
Bei den Tool-Einsendungen, die sie erreichen, muss sie immer wieder auch mal schmunzeln und sogar laut lachen. Einer hat tolle Effekte mit "Klosprüchen" erreichen können. Die wichtigsten Gedanken für die Umsetzung hingen dann schön aufbereitet mit QR-Code für weitere Informationen auf einem A4-Blatt auf den stillen Örtchen in einem mittelständischen Unternehmen. Das gehe natürlich nicht in jedem Unternehmen, meinte dazu Ina Weinbauer Heidel grinsend. Aber die Idee sei genial, denn zum Klo müsse jeder einmal und da sei auch Zeit, einen Impuls aufzunehmen.
Ein anderes originelles Beispiel stammt aus einem größeren Automobilunternehmen. Die Trainerin ließ in Kleingruppen die Teilnehmenden die Kerninhalte des Trainings in einem neuen Songtext auf eine bekannte Melodie schreiben. Der sogenannte "Transfer-Song" ging dann natürlich unglaublich stark ins Ohr und blieb haften.
Transfer-News: der Benchmark für ein Top Tool
Doch es ist nicht nur Originalität mit Unterhaltungsswert, die beliebte und zugleich wirksame Transfer-Tools auszeichnet. Es gibt noch weitere Zutaten, die sich am besten am Tool "Transfer News" verdeutlichen lassen.
Die Idee der Transfer-News ist, sich gegenseitig weiterzubringen, zu inspirieren und bei der Umsetzung des Gelernten am Ball zu halten. Nach einem Seminar ist jeder Teilnehmende aus der Gruppe einmal dran, an alle anderen eine Mail mit motivierenden Transfer-News zu schreiben. Die Mail kann kurz oder auch länger sein. Als Anregung gibt es etwa zehn Punkte, zu denen man etwas schreiben könnte, wie: "Das habe ich ausprobiert", "Diesen Tipp kann ich euch aus eigener Erfahrung geben…", "Es gab das Hindernis X. Ich habe es überwunden, indem ich …", "Was ich als nächstes angehen werde ist…", "Ich habe eine Rückmeldung zu … bekommen, die hat mich riesig gefreut…". Im Seminar wird festgelegt, wer wann dran ist. Die Transfer-News endet jeweils mit: "PS: Ich bin schon sehr gespannt auf die Transfer-News von … (Name der Person, die als nächster dran ist)".
Das Tool Transfer-News wirkt deshalb so erstaunlich gut, weil es zum einen über einen längeren Zeitraum eine Gruppe im Umsetzungsprozess hält. Es werden Erfolge bei der Umsetzung sichtbar, die alle anderen motivieren. Damit ist auch ein Spannungsbogen verknüpft, was nämlich wohl der nächste Teilnehmende schreibt. Das Tool funktioniert ohne lange Erklärungen und ist vom Zeitaufwand in etwa fünf Minuten einfach machbar.
"Es braucht gar keine großen Wirkungsnachweise, denn das Tool und was die Teilnehmenden schreiben, spricht für sich", sagt dazu Ina Weinbauer-Heidel, die ihre Promotion zum Thema "Transferförderung in der betrieblichen Weiterbildungspraxis" geschrieben hat. Selbst wenn sie Tools gerne auch wissenschaftlich evaluieren würde, so stellt sie fest, dass dies gar nicht in den Firmen gefragt ist. Wenn Tools für sich sprechen, reicht das. Um Tools zu evaluieren, empfiehlt sie in den typischen Seminar-Evaluierungsbögen eine Abfrage zu machen, wie nützlich ein Tool war, wie etwa ein Entsendungsgespräch mit dem Chef vor einem Seminarbesuch.
Wer selbst ein tolles Tool hat, den Austausch mit Ina Weinbauer Heidel möchte, oder mehr über die Transfer-Toolbox erfahren will, findet hier mehr dazu.
Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet als Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 25 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien.