Wie Führungskräfte Lerntransfer fördern können


Lerntransfer: Wir ernten, was wir säen

Wenn Führungskräfte ihre Mitarbeitenden zu Schulungen schicken, dann erwarten sie danach eine bessere Leistung. Doch über eines machen sie sich viel zu wenig Gedanken, findet Kolumnist Axel Koch: welche wichtige Rolle sie für den Schulungserfolg haben.

"Die Mitarbeitenden absolvieren eine Schulung und danach können sie es – ist doch klar!" So bringt der Leiter einer firmeninternen Akademie auf den Punkt, was die meisten Führungskräfte denken. Diese hätten überhaupt nicht auf dem Schirm, welche Faktoren nötig sind, damit Menschen Gelerntes erfolgreich im Job umsetzen. Eine Beobachtung, die er mit vielen anderen teilt. Auch ich stelle das auf der Basis von mittlerweile rund 8.000 Analysen fest, bei denen ich die Transferstärke von Teilnehmenden messe: Der Faktor "transferinteressierter Chef" schneidet unterdurchschnittlich schlecht ab.

Führungskräfte anregen, aktiv zu werden

Die zentrale Rolle von Führungskräften für den erfolgreichen Lerntransfer zieht sich wie ein roter Faden durch mehr als 30 Jahre Lerntransferforschung. Doch in der Praxis ist es eine harte Nuss, die Chefinnen und Chefs für dieses Thema zu gewinnen. Gründe gibt es verschiedene. Meistens fehlt die Zeit oder es besteht die Annahme, dass die Mitarbeitenden im eigenen Interesse das Gelernte umsetzen. Doch das ist zu kurz gedacht.

Erfreulicherweise treffe ich immer wieder unermüdliche L&D-Profis, die hartnäckige Aufklärungsarbeit leisten, um den Führungskräften zu verdeutlichen, wie viel Geld verbrannt wird, wenn sie nicht aktiv werden. So war es auch bei einer Organisation, die ich mit einem besonderen Ansatz dabei unterstützte, den Blick für eine lerntransferförderliche Führungsarbeit zu öffnen.

Verzweifelt auf dem Klo

Die Idee war, eine professionelle Videoreportage zu drehen, die Führungskräften auf emotionalisierende, aber nicht belehrende Weise verdeutlicht, was passiert, wenn sie das Thema Lerntransfer nicht ernst nehmen. Dazu erfolgte vorab eine genaue Recherche über typische Vorkommnisse in der Firma, um pointiert den Spiegel vorhalten zu können. Das Video bekam den Titel "Wir säen, was wir ernten".

"Ein falscher Klick…": Mit diesen Worten startet das knapp achtminütige Video. Es gehen ein paar Computerprogrammmasken auf und es fliegen Sätze ins Bild, die zeigen, welche Folgen der falsche Klick hat, etwa entstehende Kosten, Ärger beim Kunden und Konflikte oder viele Stunden zusätzliche Arbeitszeit. Mit diesen Botschaften sollen die Führungskräfte als Adressaten des Videos gleich ins Nachdenken gebracht werden. Die Story des Videos ist dann, wie eine Mitarbeiterin hoch motiviert von einem Schulungsblock an den Arbeitsplatz zurückkehrt und von ihrem Chef mit den Worten begrüßt wird: "Anna, wo warst du denn so lang." "Bei der Schulung." "Ach ja. Bei uns ist Land unter in der Abteilung und dein Kollege ist auch noch krank geworden, bitte übernimm gleich mal die Aufgaben." "Ich wollte eigentlich noch die Schulung nacharbeiten und das E-Learning machen". "Du kannst die Nacharbeit irgendwann zwischendurch mal machen. Jetzt ist wichtig, dass die Arbeit erledigt wird."

Dann folgt schon die nächste Szene, bei der ein Kollege wutentbrannt ins Büro der Protagonistin Anna rauscht, sich vor ihrem Schreibtisch auftürmt und meckert: "Was lernt ihr eigentlich bei der Schulung? Ständig muss ich deine Fehler ausbessern, das kostet mich unendlich viel Zeit." Die Story gipfelt dann in der Situation, dass besagte Anna verzweifelt in der Toilette auf dem Klodeckel sitzt und dem Weinen nahe ist: "Ich bemühe mich eh immer so. Ich weiß gar nicht, was ich zuerst machen soll. Lernen, die ganze Arbeit. Ich glaube, ich schmeiße es hin."

Zwischen diesen pointierten Szenen des Alltags stoppt die Geschichte und es kommt die Einblendung: "Moment mal, schon mal darüber nachgedacht?" Es folgt ein Impuls von Führungskräften aus der eigenen Organisation, der anregt, mehr im Sinne einer lerntransferförderlichen Führung zu denken und zu handeln.

Zum Schluss spricht ein Mitarbeiter begeistert darüber, wie gut es bei ihm und seinem Chef läuft. Es gibt vor- und nachbereitende Gespräche rund um den Schulungsblock, ein offenes Ohr und Vereinbarungen, wie der Mitarbeiter trotz des normalen Drucks im Tagesgeschäft seinem individuellen Lernbedürfnis nachkommen kann. Am Ende wird durch das Video deutlich, dass es eigentlich gar nicht so schwer ist, Frust bei Mitarbeitenden zu vermeiden und eine gute Verzahnung zwischen Schulung und Praxis zu schaffen. Es kostet zwar Zeit, die aber gut investiert ist.

Checkpunkte: Lerntransferförderliche Führungsarbeit

In Summe geht es also darum, dass sich die Chefinnen und Chefs die Zeit nehmen, mit ihren Mitarbeitenden zu sprechen und auf dieser Basis für ein transferförderliches Klima sorgen. Das zeigen auch ganz klar die Befunde aus der Lerntransferforschung. Dazu gehören Aspekte wie

  • Vor- und Nachbereitungsgespräche zu Schulungen, in denen der Stellenwert, Ziele, Inhalte, Erwartungen, die Transferverantwortung, Transfermotivation sowie Transferbarrieren und deren Überwindung besprochen werden.
  • In Abstimmung mit dem Mitarbeitenden Übungs- und Anwendungsmöglichkeiten schaffen.
  • Positive Unterstützung geben: Was brauchen die Mitarbeitenden für die erfolgreiche Umsetzung?
  • Ermutigung und Lob beziehungsweise konstruktives Feedback bei der Anwendung des Gelernten.
  • Zeitressourcen: Wie und wann können sich die Mitarbeitenden guten Gewissens im Arbeitsalltag mit dem Lerntransfer befassen? Wieviel Zeit braucht es?
  • Für Unterstützung auch vonseiten der Kollegen und Kolleginnen sorgen.

Kommen wir zum Schluss noch einmal zurück zum Video. Das endet mit den Worten: "Wer also gut sät, erntet viel." In dem Sinne wünsche ich mir, dass viel mehr lerntransferförderliche Führungsarbeit in den Unternehmen passiert.


Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet als Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 25 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien.

Schlagworte zum Thema:  Weiterbildung, Lernmethoden, Personalentwicklung