Als ich jüngst mal wieder mit einem L&D-Profi aus einem Unternehmen sprach, wurde es mir erneut bewusst. Firmen belohnen die falsche Kennzahl. In dem Fall sagte mir die Personalentwicklerin: "In meinen Zielvereinbarungen steht, dass ich auf das Jahr betrachtet für alle durchgeführten Schulungen im Durchschnitt eine 1,6 erreichen muss." Wenn es ihr gelingt, diesen Wert der Zufriedenheit auf einer Schulnotenskala zu erreichen, bekommt sie einen Bonus auf ihr Gehalt ausgezahlt.
Wir bekommen, was wir messen. Diese alte Weisheit gilt auch hier. Wenn es um Zufriedenheit geht, tue ich folglich alles, damit ich bei diesem Wert gut dastehe. Folgerichtig muss ich nur die Kennzahl ändern, dann verändert sich auch die Arbeitsweise bei L&D. Und diese Kennzahl müsste dann lauten "messbarer Lerntransfer" nach Schulungen.
Das Szenario: Umsetzungserfolg als Kennzahl
Dieses Szenario habe ich schon des Öfteren in Workshops mit Personalentwicklern und Trainern diskutiert. Bei so einer Fragestellung kommt schnell Stimmung in die Bude. Vor allem hagelt es Einwände. Der erste spontane Gedanke ist: "Ich habe doch den Umsetzungserfolg meiner Teilnehmenden gar nicht unter Kontrolle. Ich bin gar nicht so dicht an denen dran, dass ich Einfluss auf den Lerntransfer habe."
Es lohnt sich aber, tiefer in diese Überlegungen einzusteigen. Denn dann kommen gute Erkenntnisse ans Tageslicht. Also – halten Sie einmal einen Moment inne, und beantworten Sie für sich selbst die folgenden Fragen:
- Was würden Sie wirklich tun, wenn Ihr Bonus davon abhinge, wie erfolgreich Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Gelernte in die Praxis umsetzen?
- Wie genau würden Sie Ihre Schulungsmaßnahmen gestalten?
- Wie sähen Ihre internen Auftragsklärungsgespräche aus?
Erfahrungsgemäß zeigen sich zwei Kernergebnisse in den Workshops, in denen ich diese Fragen diskutiere. Da ist zum einen die klare Aussage, dass sich die Trainerinnen und Trainer sehr viel intensiver mit den Teilnehmenden befassen würden. Dazu gehört, sehr viel genauer zu definieren, was jeder einzelne Teilnehmende konkret lernen soll, und auch zu messen, ob die Lernziele erreicht werden. Außerdem würden die Trainerinnen und Trainer viel mehr Lern- und Übungseinheiten schaffen und persönliches Feedback geben. Plötzlich ist keine Rede mehr von der gängigen Praxis, wonach Teilnehmerinnen und Teilnehmer möglichst schnell neue Skills lernen sollen.
Der andere Punkt geht in Richtung der Führungskräfte im Unternehmen. L&D bzw. Trainerinnen und Trainer würden sich viel mehr bemühen, sie ins Boot zu holen und mit ihnen Vereinbarungen zu treffen, wie sie den Lerntransfer ihrer Mitarbeitenden sicherstellen können.
Ein Hagelsturm von Einwänden
Es ist ja immer so: Wenn eine über Jahrzehnte bestehende Gewohnheit geändert werden soll, ist der Aufschrei groß. Natürlich ist es aufwendiger, wenn ich die tatsächliche Umsetzungsleistung messen will und auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer so schulen muss, dass am Ende der messbare Erfolg rauskommt. Natürlich muss ich mich damit auseinandersetzen, dass Teilnehmende diesen Ansatz für sich unbequem finden und maulen. Natürlich stoße ich auf Führungskräfte im Unternehmen, die genervt abwinken und nicht ernsthaft und verbindlich den Umsetzungsprozess unterstützen wollen. Es geht sogar noch weiter: Vorgesetzte sagen im Brustton der Überzeugung, dass sie nicht für die Entwicklung ihrer Mitarbeitenden zuständig sind. Das sei die Aufgabe der Trainerinnen und Trainer oder liege in der Verantwortung der Teilnehmenden.
Ich selbst höre in Gesprächen mit Personalentwicklerinnen und Personalentwicklern vor allem das Argument, dass die erforderlichen Ressourcen fehlen, damit der Lerntransfer funktioniert. Gemeint sind Zeit und Geld. Wenn es also nicht nur um zehn Mitarbeitende, sondern um 10.000 geht, winken Personalentwicklerinnen und Personalentwickler mit der Begründung ab, dass es gar nicht machbar sei, für alle diese Mitarbeitenden einen Lernprozess zu gestalten, bei dem die Lernziele auch sicher erreicht werden.
Aus all dem spricht Bequemlichkeit und die Scheuklappen von langjährigen Gewohnheiten. Lieber Zufriedenheit messen, als sich wirklich hinsetzen und mal ganz neu denken, wie Schulungskonzepte mit einer messbaren Wirkung auf die persönliche und organisationale Leistung aussehen.
Es zählt nur eines: Umsetzungsleistung in der Praxis
Halten wir zur Sicherheit hier nochmal fest: Schulungen sind kein Selbstzweck, keine Bespielungsaktion und auch kein Incentive, sondern haben den Zweck, Menschen im Unternehmen kompetenter zu machen. Für aktuelle wie auch zukünftigen Anforderungen.
Vor diesem Hintergrund möchte ich hier mit einem Gedanken die Diskussion voranbringen – nämlich Schulungen aus Sicht einer Auswirkungskette zu designen. Das bedeutet, sich zu überlegen, was der eine zentrale erfolgskritische Punkt ist, den ein Teilnehmender nach einer Schulung umsetzen muss, damit es den gewünschten Wertbeitrag gibt. Mit dieser Perspektive sparen wir Trainingszeit, weil wir heute viel zu viele Inhalte vermitteln. Um zu zeigen, was ich hiermit meine, ein ganz simples Beispiel:
Ich hatte einen Außendienstler in einem eintägigen Training, der merkte, dass er in seinen Gesprächen bei Kunden zu oft die Gesprächsführung verlor. Was er lernen musste, war eine recht simple Technik der Gesprächsführung sowie die Haltung, diese durchzuführen. Für diesen Umdenkprozess brauchte er drei Monate Zeit. Begleitet durch zwei kurze Telefon-Follow-Ups mit mir. Er berichtete, dass er schließlich im Schnitt zehn Minuten Gesprächszeit pro Termin einsparte. Bei rund 20 Gesprächen die Woche gewann er also 200 Minuten, also mehr als drei Stunden, die ihm erlaubten, mit mehr Kunden zu sprechen und dadurch die Umsatzchancen zu erhöhen.
Kurzum: Wir werden nur dann kreativer, wie sich die Umsetzung steigern lässt, wenn wir den Rahmen dazu in den Firmen anlegen. Und der beste Hebel ist, Lerntransfer und Umsetzungserfolg zu bonifizieren. Damit wird sich eine neue Denkrichtung entwickeln und ich bin mir sicher, dass mehr möglich ist, als wir heute glauben.
Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet als Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 25 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien.