Mittleres Management: Rolle in der Transformation

New Work bringt nicht nur neue Arbeits­methoden, sondern zugleich eine Identitäts­krise für die ohnehin zwischen oben und unten schwer leidenden mittleren Manager und Managerinnen. Was wir tun können, um den Beitrag dieser Füh­rungs­­kräfte an der Trans­for­ma­tion zu verstehen und ihre Rolle neu zu erfinden.

Schöne neue Welt? Nicht unbedingt für Unternehmen, sie stehen vor einer Menge Herausforderungen: Bewährte Geschäftsmodelle werden von heute auf morgen abgelöst. Neue Wettbewerber aus der ganzen Welt sind nur einen Klick entfernt, Kundenerwartungen steigen ins Unermessliche und Feedback ist jederzeit offen auf Bewertungsportalen einsehbar. Die Abhängigkeiten von Zulieferern und Partnern sind in Krisensituationen existenzbedrohend. Der Fachkräftemangel wird immenser, KI verändert zeitgleich unsere Arbeitswelt. Und externe Faktoren wie Pandemie, Krieg oder Inflation sorgen für massive Unsicherheit.

Kurzum: Es herrscht Druck und es besteht Handlungsbedarf in Unternehmen. Die Zukunft der Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit von alteingesessenen Betrieben und Konzernen scheint auf der Kippe zu stehen. Transformation von Unternehmen und wie man sie bewusst, zielführend und erfolgreich gestaltet, ist seit Jahren das zentrale Thema – und wird es bleiben. 

Mittleres Management: Transformationsbeschleuniger …

Führungskräfte und Vertreter des mittleren Managements gelten als Kommunikationsdrehkreuz zwischen Management und Belegschaft. Konkret heißt das: Mittlere Manager geben ihren Teams Sicherheit – und die braucht es in unserer wilden Vuca-Welt mehr denn je. Sie können Hintergründe des Teambeitrags für das große Ganze transparent machen – also Kontext geben – und nach oben zurückkoppeln, welche Konsequenzen Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen haben. Mittlere Manager sind zudem nah genug dran an den schmerzenden Stellen eines Unternehmens und in ihrem Horizont breit genug aufgestellt, um zu erkennen, was es für die Behandlung dieser braucht. 

… oder Verhinderer?

Aber das mittlere Management steht auch in der Kritik. Die Stereotypen im mittleren Management reichen von alteingesessenen Hasen bis hin zu jungen Nachwuchsführungskräften ohne ausreichende Erfahrung. Mutlosigkeit und der Hang, sich in Mikromanagement zu verlieren, runden das negative Bild ab. Methoden von New Work befeuern die Diskussion um den Mehrwert des mittleren Managements. Denn Teams beginnen sich mehr und mehr selbst zu organisieren. Die Erwartungen an Mitbestimmung sind gestiegen – und müssen erfüllt werden, will man bestehende und potenzielle Mitarbeitende nicht verlieren. Wer braucht da noch eine Führungskraft? Hierarchien machen ohnehin behäbig, so die zunehmende Meinung. 

Mittlere Manager als Moderatoren zwischen den Welten

Doch genau die Mischform aus Agilität und Hierarchie ist eine zentrale Herausforderung. Denn die Mehrheit der meisten Unternehmen ist immer noch hierarchisch aufgestellt, während neue Methoden und Anforderungen nur so auf die Teams und Mitarbeitenden einprasseln. Dieser Zwitterzustand ist das Problem: Agile Teams – so effizient sie auch arbeiten mögen – treffen auf hierarchische Grundstrukturen und Umfelder, die mit den neuen Freiheiten noch nicht umzugehen wissen. Die Aufgabe zwischen den verschiedenen Welten – sei es agil und klassisch oder oben und unten – zu vermitteln, landet am Ende beim mittleren Management. Das zeigt: Es braucht ihn – oder sie - mehr denn je.  

Transformation im Fokus der Wertschöpfung

Gemäß Robert E. Quinn und dem Konzept "Competing Values Framework" gehören zum Wirken einer Führungskraft acht zentrale Funktionsfelder, die stellvertretend für ein zum Bewältigen von Transformationsaufgaben notwendiges Spektrum stehen. 

  • Innovator zu sein: Visionen entwerfen, Ver­änderungen auslösen, Mitarbeiter motivieren.
  • Broker zu sein: politisch klug agieren, Ressourcen und Kontakte managen.
  • Facilator zu sein: nach Konsens und Win-win-Situationen suchen und ermutigen.
  • Mentor zu sein: zuhören und individuelle Bedürfnisse be­rück­sichtigen und die Mit­arbeitenden ent­sprechend in ihrer Entwicklung fördern.
  • Producer zu sein: aufgabenorientiert mit Fokus auf Erreichung der Ziele.
  • Director zu sein: Ziele, Rollen und Er­wartungen definieren – und formulieren.
  • Coordinator zu sein: Strukturen, Zeit­planung, Koordination sowie das Einhalten von Regeln und Standards sicherstellen.
  • Monitor zu sein: Informationen verteilen, Ergebnisse über­prüfen und für Kontinuität sorgen.

Mittlere Manager in der Rolle des Underdogs 

Diese breite Wertschöpfung droht in der Wahrnehmung verloren zu gehen. Mittlere Manager und Managerinnen gelten als Underdogs, wenn wir daran denken, wer Transformation und Veränderung in Unternehmen initiiert und durchsetzt sowie die dazugehörigen strategischen Grundlagen liefert. Unternehmen brauchen aber mehr denn je Menschen, die zusammenbringen, wer zusammengehört, und die den Prozess zur Lösungsfindung moderieren – um auch in volatilen Zeiten konsequente Transformationsfortschritte zu machen. 

Das führt zu folgendem Schluss: Das mittlere Management selbst darf – ja muss – selbstbewusster und aktiver werden – und an strategischem Gewicht gewinnen. Ziel: die eigene Positionierung hinterfragen und schärfen. Der eigene Beitrag an der Transformation muss dazu zunächst transparent gemacht und Vorurteile von Behäbigkeit und Mittelmäßigkeit abgeschüttelt werden. Dafür müssen Underdogs beweisen, dass sie die schweren Aufgaben rund um Transformation gestemmt bekommen. Zum Beispiel in Form von ersten Initiativen oder mühevoller Arbeit an wichtigen Grundlagen. Das schafft Credibility und Zutrauen für die Aufgaben, die noch zu bewältigen sind. 

Neue Rollendefinition für das mittlere Management notwendig

Für die, die sich erfolgreich bewiesen haben, braucht es eine Perspektive – insbesondere in Form einer neuen Definition ihrer Rolle. Das würde dafür sorgen, dass mittlere Manager mehr Gehör und mehr Handlungsspielraum erhalten – und genau das lässt ihren Wirkungsgrad steigen. In der Praxis könnte das wie folgt aussehen: Ausgewählte mittlere Manager und Managerinnen werden zum "Capcoach" – eine neu geschaffene Rolle. Sie sind also "Captain" und "Coach" zugleich – und tragen konkrete Verantwortung für die Definition und Umsetzung von Transformationsaufgaben. Captain, weil sie den Weg zu einem konkreten Ziel definieren. Coach, weil sie das eng mit ihrem Team tun und dieses befähigen.

Damit werden sie unmittelbarer Counterpart zur obersten Unternehmensleitung, weil sie strategische Verantwortung erhalten. So entlasten die Capcoaches zugleich den Vorstand, der, getrieben von Regulatorik und Risikomanagement, ohnehin oft mehr in eine verwaltende statt gestaltende Rolle gedrängt wird. Das Ergebnis: eine institutionalisierte Symbiose zwischen Top- und mittlerem Management – und damit mehr Menschen, die aktiv Verantwortung für den Erfolg von Veränderungsinitiativen übernehmen. Gemeinsame Ziele und Werte in Form einer klaren Haltung einen.

Das 3C-Modell

Insgesamt betrachtet sind drei Parteien entscheidend für den Erfolg von Veränderung. Im Buch "Transformation durch das mittlere Management" vereinen sich diese im 3C-Modell: Die Capcoaches sind eines dieser drei Cs; die Chief Officers – also der Vorstand – das zweite C. Herzstück eines Unternehmens sind und bleiben aber die Mitarbeitenden. Sie sind der Kern – neudeutsch "Core" und bilden das Zentrum – und damit das dritte C. 

Die neue Verortung wertet die große Summe an Menschen in Unternehmen auf, verpflichtet aber auch zu Leistung. Capcoaches und Chief Officers umschließen bildlich gesprochen den Core und geben sowohl strategische wie operative Handlungssicherheit. Das Modell kippt die Hierarchiepyramide, die bislang noch immer bestimmende Form in deutschen Unternehmen. Stattdessen werden Unternehmen vom Kern aus gedacht – von den Mitarbeitenden. Streng genommen gibt es dann kein oben und unten mehr. Es macht klar: Jeder leistet im und um den Nukleus des Unternehmens seinen Beitrag zur Transformation. Gleichzeitig ist innerhalb des Kerns Raum für Agilität und Teams, die themen- und projektbezogen – ähnlich wie Moleküle – immer wieder neu zusammenkommen. 

Mehrwerte des Modells

Das zeigt bereits einen klaren Mehrwert des Modells: Es stärkt Menschen, die Einflüsse ausbalancieren und Strategie und Umsetzbarkeit zusammenbringen. Es verteilt die Last auf mehr Schultern, die tragen können. Und auf mehr Köpfe, die entscheiden. Wenn ein mittlerer Manager das Verbindende leisten kann, macht es Organisationen in jedem Fall leistungsfähiger – und damit transformationsstärker.

Mit der Verbreitung erhält das 3C-Modell zugleich ein doppeltes Frühwarnsystem, was Transformationsbedarf angeht: die Chiefs aus Richtung Marktveränderungen und Anforderungen externer Stakeholder. Die Capcoaches aus Richtung der Schmerzpunkte des Arbeitsalltags, die zum Beispiel ein Umschichten von Prioritäten notwendig machen. Das Ziel: 360-Grad-Blick in Richtung Veränderungsnotwendigkeit. Auch die Anzahl der Perspektiven, mit denen auf einen Sachverhalt geblickt wird, wächst. Und genau diese Perspektiven braucht es, um blinde Flecken zu reduzieren. Das gilt auch auf persönlicher Einstellungsebene: Visionäre, Optimisten, Zyniker, Realisten, Abwäger, Vorausprescher – eine Transformationsreise bedarf alle Blickwinkel. 

Fähigkeiten und Rolle mittlerer Manager stärken

Das 3C-Modell und die Rolle des Capcoaches will vor allem eines: die Fähigkeiten und die Rolle mittlerer Manager stärken, weil sie an einer wichtigen Soll-Bruch-Stelle sitzen – und zu wenig beachtet wurden. Und genau hier kommen die HR-Vertreter ins Spiel. Nachwuchsführungskräfteprogramme gelten als Standard, doch was ist mit Angeboten für alteingesessene alte Hasen?

Gleichzeitig ist auch klar: Nicht jeder mittlerer Manager ist für die Rolle des Capcoaches – den man auch Transformationsmultiplikator nennen könnte – geeignet. Es geht darum zu verstehen: Wer hat das Unternehmen aus der Mitte heraus die vergangenen Jahre bereits nach vorne gebracht und hat Skills für die Zukunft? Zuletzt geht es auch darum, vorhandene Strukturen zu hinterfragen und neue zu Ende zu denken. Das 3C-Modell tritt also nicht in Konkurrenz mit agilen Methoden. Im Gegenteil: Es konkretisiert die Anbindung agiler Konstrukte zur Unternehmensleitung, zu vorhandenen Hierarchieformen und zu übergeordneten Zielen. Die Rolle der Capcoaches kann also helfen, agile Streams zu synchronisieren. 

Dieser Beitrag ist erschienen in personalmagazin neues lernen, Ausgabe 4/2024, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der App personalmagazin - neues lernen.