Impact MBA: Von der Nische zum New Normal
Wer für einen großen Energiekonzern arbeitet, kommt um Fragen der Nachhaltigkeit nicht mehr herum. So ging es jedenfalls Julia Nicola von Arco-Valley. Sie hat "ganz klassisch" VWL an der LMU in München studiert und machte dann bei Eon Karriere. Zuletzt war sie für die Energieverteilungsnetze und erneuerbare Energien zuständig. "So bin ich in den Nachhaltigkeitsbereich hineingerutscht."
Generalistisches Nachhaltigkeitswissen gefragt
Heute arbeitet die Nachhaltigkeitsexpertin als Consultant bei der internationalen Personalberatung Spencer Stuart. Sie kommt ins Spiel, wenn Unternehmen jemand für die Position Chief Sustainability Officer (CSO) suchen – auf Vorstandslevel oder eine Ebene darunter. Laut einer Studie, für die Spencer Stuart 95 CSOs befragt hat, gewinnt die Position an Gewicht – und ist stärker strategisch ausgerichtet als noch vor einigen Jahren. Natürlich brauche es dafür ein generalistisches Nachhaltigkeitswissen. "Aber als CSO muss man vor allem Verständnis fürs Business und das operative Geschäft mitbringen, kommunikationsstark und empathiefähig sein", meint Julia Nicola von Arco-Valley. Erfolgsentscheidend sei, ob die Kandidatinnen und Kandidaten interne Abläufe und die Auswirkungen auf Beschäftigte verstehen und gut erklären können.
MBA-Studium mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit
All diese Kompetenzen stehen für gewöhnlich bei jedem MBA auf dem Lehrplan. Der Master in Business Administration ist ein generalistisches Managementstudium für Führungskräfte und Beschäftigte, die ebendies werden wollen. Doch neben Masterstudiengängen für Nachhaltigkeit, die wie Pilze aus dem Boden schießen, kennen auch MBA-Programme inzwischen immer häufiger Spezialisierungen. Einen solchen Impact MBA bietet beispielsweise die Tomorrow University of Applied Sciences, die erst seit Kurzem als Hochschule offiziell anerkannt wurde. Er richtet sich an Führungskräfte, die an nachhaltigen Geschäftspraktiken interessiert sind. Das Studium lässt sich in 12 bis 18 Monaten absolvieren und kostet 14.850 Euro.
Einen ähnlichen Studiengang hat der Kompetenzcampus, die wissenschaftliche Weiterbildungseinrichtung der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), ab dem Wintersemester 2023/24 im Programm: den MBA Sustainable Business Development. Kompetenzen wie kritische Reflexion, agile Lösungsorientierung, Strategieentwicklung und Netzwerkfähigkeit sowie Lerninhalte zu individueller Wirksamkeit, transformativer Führung und General Management bilden die Schwerpunkte. Das Studium möchte vor allem für die Wechselbeziehung zwischen Geschäftsentscheidungen aus wirtschaftlicher Sicht und der ökologischen und soziokulturellen Perspektive sensibilisieren. Studierende sollen lernen, in komplexen Systemen zu denken und zu handeln. Der berufsbegleitende Studiengang, der 19.900 Euro kostet, ist auf vier Semester über 24 Monate angelegt. Die Kursblöcke finden in Präsenz im House of Science and Transfer in Frankfurt statt, in der Regel an drei Tagen pro Monat, donnerstags bis samstags. Dabei kommt auch die Sichtweise der Praxis zum Tragen: Ein Modul in Wien leiten Dr. Sandra Wolf, Geschäftsführerin des E-Bike-Herstellers Riese und Müller, und Valerie Schönberg, Mitgründerin des Wiener Beratungsnetzwerks Circular Cocreation.
Ebenfalls ab Oktober 2023 bietet die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) zusammen mit Siemens Professional Education (SPE) einen berufsbegleitenden Online-MBA Sustainability Management an. Der Studiengang ist vorwiegend für Managerinnen und Manager von Siemens gedacht, aber auch offen für externe Bewerberinnen und Bewerber aus Wirtschaft und Verwaltung. Das englischsprachige Programm ist in neun je 50-stündige Module aufgeteilt, die Studierende in 18 Monaten absolvieren können. Die Studiengebühr beträgt 31.240 Euro.
Worauf es bei der Wahl des Programms ankommt
Spezial-MBAs mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit sind also keine Nische mehr. "Jeder muss ein Verständnis für Nachhaltigkeit aufbauen", konstatiert der Gründer der Tomorrow University Christian Rebernik in einem Podcast. Doch nicht immer halten die Programme, was sie versprechen. "Es reicht nicht aus, nur ein Ethik-Modul ins letzte Semester zu schieben und sich dann als nachhaltiger Studiengang zu labeln", so Professor Patrick Velte von der Leuphana Universität Lüneburg auf dem Portal Haufe Sustainability. Entpuppe sich Nachhaltigkeit nur als Label und Greenwashing, seien Studierende schnell wieder weg. An der Leuphana, die schon lange einen MBA für Sustainability Management und zudem verschiedene Masterstudiengänge mit Nachhaltigkeitsschwerpunkten offeriert, habe man die Themen Umwelt und Soziales bereits vor mehr als 20 Jahren teilweise in die BWL integriert.
Viele Wirtschaftshochschulen wie die ESMT in Berlin, die WHU – Otto Beisheim School of Management oder die IMD – International Institute for Management Development haben sich bisher gegen einen Spezialstudiengang für Nachhaltigkeit entschieden, vor allem beim MBA, der ein breites Managementwissen vermitteln soll. Hier setzt man lieber auf schulübergreifende Nachhaltigkeitsinitiativen und baut Nachhaltigkeitsthemen in die Pflichtprogramme im Studium ein. Diesen Ansatz verfolgt auch die INSEAD. "Wir haben von Unternehmen gehört, dass sie immer noch zu uns kommen, um General Manager einzustellen", erklärt der Dekan für Studiengänge und Finanzprofessor Urs Peyer gegenüber dem Portal Poets & Quants. Topmanagerinnen und -manager müssten vom Vokabular und vom Wissen her in der Lage sein, sich mit Herausforderungen von Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Da dies je nach Branche und Land verschieden sei, habe man sich entschieden, den Teilnehmenden eine ganzheitliche Sichtweise im Pflichtteil des Studiums zu vermitteln und ihnen dann die Möglichkeit zu geben, sich durch Wahlfächer auf das zu spezialisieren, was sie in Zukunft beitragen wollen. Die Business School mit Hauptsitz in Frankreich erneuerte deshalb ihren MBA-Lehrplan. Sie möchte Nachhaltigkeit in allen 14 Kernkursen berücksichtigen. In ein neues Abschlussprojekt sollen in allen Managementfacetten Nachhaltigkeitsaspekte einfließen.
Laut Julia Nicola von Arco-Valley gibt es immer mehr Unternehmen, die Nachhaltigkeit zu einer Hauptpriorität machen und entsprechende Stellen ausschreiben. Doch die Zahl der passenden Kandidatinnen und Kandidaten steige auf der obersten Ebene noch schneller als das Angebot. Für viele Menschen sei dieser Arbeitsbereich inzwischen attraktiv – auch für Frauen. Denn wenn die Position nicht eine reine Kommunikationsfunktion bleibt, besteht die Chance, etwas zu bewegen. Wer wirklich purpose-driven sei, finde meistens einen Weg ins Sustainability Management – ob über ein explizites Nachhaltigkeitsstudium oder ohne. "Aber ein MBA schadet nie."
Dieser Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 6/2023, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen.
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