Perspektivwechsel für Führungskräfte im Dilemma
Stellen Sie sich vor, Sie sind CEO von einem kleinen Unternehmen. Ein wichtiger Kunde fällt in letzter Zeit immer wieder mit rechtspopulistischen und rassistischen Statements auf. Sie haben ihn schon mehrfach darauf hingewiesen, dass Sie seine Ansichten problematisch finden, aber er zeigt sich uneinsichtig. Gleichzeitig ist dieser Kunde Ihrem Unternehmen gegenüber äußerst loyal und hat Ihnen damit geholfen, die Corona-Krise zu überstehen. Was machen Sie? Brechen Sie die Geschäftsbeziehung ab, weil der Kunde Ihre Werte und die Ihres Teams verletzt? Oder machen Sie weiter wie bisher, weil die Zusammenarbeit profitabel ist und der Kunde sich in der Vergangenheit unterstützend verhalten hat?
Solche Dilemmas kommen im Alltag von Führungskräften immer wieder vor, sind doch schwierige Entscheidungen eine der zentralen Aufgaben von Personen in Managementpositionen. Oft hilft hier ein Perspektivwechsel, der den Blick auf die Entscheidungssituation öffnet. Die Coachs und Berater Long Qu und Stephan Pfob haben dafür eine Übersicht mit verschiedenen Polaritäten entwickelt, die sie in einem Online-Vortrag am 18. September 2024 vorgestellt haben.
Leadership-Dilemmas sind besonders schwer zu lösen
Long Qu ist in China und Deutschland aufgewachsen und teilt in seinen Workshops und Coachings die aus seiner Erfahrung und eigener Recherche erkannten Unterschiede und Widersprüche zwischen westlich und fernöstlich geprägtem Denken auf. Dabei ist ihm wichtig zu verdeutlichen, dass vor allem aus der Kombination beider Denkstile neue Kraft entstehen kann. Stephan Pfob berät als Geschäftsführer und Smart Work Guide von "Berlin Alley" Menschen und Organisationen zu Kommunikation und Unternehmenskultur. In ihrem Vortrag zeigten sie Definitionen und Beispiele für Leadership-Dilemmas auf und zeigten auf, wie der Blick auf die westlich und fernöstlich geprägte Denkweise die Perspektiven erweitern kann.
Von einem Dilemma spricht man, wenn man sich zwischen zwei Optionen entscheiden muss, die sich gegenseitig ausschließen, so Long Qu. Das Fiese dabei sei, dass sich meist keine Option richtig anfühle. Dabei stehe meist die moralische Dimension – also das, was das Individuum nach seinen persönlichen Werten für richtig hält oder ihm einen Vorteil verschafft – in Konflikt mit der sozialen Dimension – also dem Gesetz oder dem, was der Gemeinschaft diene.
Leadership-Dilemmas sind nach Qu ein besonders kniffliger Sonderfall, weil für Führungskräfte eine dritte Dimension dazukomme: die an ihre Rolle geknüpften professionellen Erwartungen. Situationen wie das oben genannte Beispiel sind dabei keine Seltenheit; in den mehr als 40 Interviews, die Pfob und Qu im Zuge ihrer Recherche geführt haben, sind ihnen einige vergleichbare Fälle begegnet. Die Führungskraft aus dem Beispiel steht unter anderem vor der Frage: Soll ich mich meinem Kunden oder meinem Team gegenüber loyal verhalten?
Was fernöstliche und westliche Denkweise ausmacht
Um sich einer möglichen Lösung anzunähern, ist laut Pfob und Qu vor allem eine Kombination aus dem fernöstlichen und westlichen Denkstil hilfreich. "Ein westlicher Denkstil analysiert die Perspektiven und zeigt die Widersprüche auf, während ein östlicher Denkstil versucht, die verschiedenen Perspektiven auszubalancieren", meint Qu. Während beispielsweise die Bilder in einem europäischen Museum oft einzelne Personen zeigen, sieht man in Museen in China oder Japan eher Bilder von Landschaften oder Städten aus einer Totale betrachtet. Oder: Wo Personen aus Europa oder Amerika Fische und Wasserpflanzen sehen, sehen Personen aus Asien ein Aquarium. Die westliche Denkweise stellt also das Individuum in den Vordergrund, die fernöstliche Denkweise gibt mehr Kontext und priorisiert die Gemeinschaft. Stephan Pfob weist darauf hin, dass dies aber nur Annäherungen seien und nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zuträfen, nur weil er oder sie in einem bestimmten Kulturraum sozialisiert ist.
Wie aber können diese beiden Konzepte nun bei der Lösungsfindung in einem Leadership-Dilemma hilfreich sein? Zunächst geht es für die Führungskraft darum, sich die verschiedenen Polaritäten mit Hilfe der beiden Denkweisen klarzumachen, um dann im zweiten Schritt die Frage aus beiden Perspektiven zu betrachten. Jeweils gegenüber stehen sich:
- Individuum versus Gemeinschaft
- Initiative versus Geduld
- Prinzip versus Kontext
- Analytische versus holistische Herangehensweise
Was in einem Leadership-Dilemma hilft
Aus westlicher Perspektive liegt der Fokus vor allem darauf, wie sich die Führungskraft als Individuum mit der Entscheidung fühlt. Die Person aus dem Beispiel könnte sich als Gedankenexperiment vorstellen, sie habe bereits eine Entscheidung getroffen und ihre Mitarbeitenden sprechen nun – optimistisch gedacht auf wohlwollende Weise – über sie. Welche positiven Eigenschaften würden die Mitarbeitenden ihr zuschreiben, wenn sie den Kunden priorisiert hat? Welche, wenn sie das Team priorisiert hat? Der Fokus auf das Positive zeigt, dass, selbst wenn sich keine der Optionen richtig anfühlt, auch keine Entscheidung per se falsch ist.
Nach fernöstlicher Denkweise liegt der Fokus dagegen darauf, Harmonie in die Gemeinschaft zu bringen, indem alle das Gesicht wahren können – also darauf, eine Lösung zu finden, die keine der beteiligten Personen in Verlegenheit bringt, beschämt oder demütigt. Dafür muss sich die Führungskraft zunächst klarmachen, welche Personen auf welche Weise von der Entscheidung betroffen sind. In Unternehmen in China und Japan ist es laut der Erfahrung von Webinar-Teilnehmenden durchaus üblich, dass Führungskräfte vor einer Entscheidung diskret nachhorchen, was die verschiedenen Beteiligten sich wünschen. Zudem ist hier auch Geduld eine Tugend: Während man im Westen eher aktiv zu steuern versucht, wartet man, fernöstlich denkend, eher auf einen günstigen Moment oder führt diesen indirekt herbei.
Eine einfache Lösung für jedes Leadership-Dilemma gibt es am Ende leider nicht – denn wenn die Lösung einfach wäre, dann wäre es schließlich kein Dilemma. Doch Qu und Pfob wissen aus Erfahrung: Wenn wir ein Problem aus verschiedenen Perspektiven beleuchten, ergeben sich oft unerwartete Lösungen oder wir erhalten ein klareres Gefühl für das, was wirklich zählt und können die eigene Position leichter kommunizieren.
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