Erinnert sich noch jemand an Second Life? 2003 noch unter dem Namen "Linden Lab" entstanden, bietet das Videospiel eine virtuelle Welt an, in der Menschen bzw. Avatare als ihre digitalen Repräsentanten viel erleben können. Wie im realen Leben gibt es Diskotheken und Clubs, Shopping-Malls, in denen die Nutzer Mode und Möbel kaufen können und andere Orte, an denen man sich treffen kann. Unternehmen siedelten sich mit eindrucksvollen Repräsentanzen im Second Life an. Teile der deutschen E-Learning-Szene probierten Second Life als Raum für Lehrveranstaltungen aus und trafen sich dort, bevor es bei vielen der registrierten Nutzer in Vergessenheit geriet. Obwohl es auch heute noch existiert und als Meetingraum, für Kurse und Konferenzen für sich wirbt, hat sich daran wenig geändert.
Als Avatar in neue Welten schlüpfen
Der Clou an Second Life waren die Avatare. Jeder und jede konnte seinen Avatar als persönlichen, digitalen Repräsentanten relativ frei gestalten. Manche flogen als Zorro mit großem Hut und langem Degen über Tal und Hügel, andere wählten Barbies mit wallender Mähne und kurviger Figur als Wunsch-Ebenbild, wieder andere bevorzugten einen Look, der eher ihrer realen Person entsprach. In jedem Fall konnte man Menschen kennenlernen und zum Teil auch neu kennenlernen, weil sie sich einfach eine ganz andere Gestalt und Persönlichkeit gegeben hatten als im normalen Leben. Einmal mit den Funktionen vertraut, war es ein sehr immersives Erlebnis, sich mit den anderen Avataren zum gemeinsamen Lernen zu treffen, sich gemeinsam in der fremden Welt zu bewegen, etwas gemeinsam zu erleben und voneinander und miteinander zu lernen. Genau davon profitieren alle Rollenspiele in virtuellen Welten, die heute sehr populär sind.
Avatare helfen bei der Personalentwicklung
Der große Vorteil dieser virtuellen Welten oder Räume: In einem Metaverse kann ich wie im richtigen Leben mit anderen Menschen interagieren, ohne mein Büro oder den Ort, an dem ich mich gerade befinde, zu verlassen. Die Interaktion ist nicht beschränkt auf das platte Bild meines Gegenübers am Bildschirm, wie wir es in den vergangenen zwei Jahren zur Genüge erlebt haben. Ich bzw. mein Avatar kann zusammen mit anderen in einem Raum sitzen und einem Trainer zuhören, ans virtuelle Flipchart treten, gemeinsam mit anderen eine Übung machen. Im virtuellen Büro kann ich am Schreibtisch sitzen, meine Arbeit machen und aufstehen, wenn ich den Kollegen kommen sehe, den ich schon die ganze Zeit etwas fragen wollte. Ich kann mich mit anderen in der Teeküche treffen oder meinen Coach zur Coaching-Session sehen. Mittlerweile ist es dank künstlicher Intelligenz und Klanganalyse sogar möglich, dass mein Avatar das Gesicht verzieht - genauso wie ich im realen Leben, wenn ich mich besonders gut oder schlecht fühle.
Natürlich könnte ich mich auch in ein Lern-Metaverse begeben, um an einem Präsenzseminar teilzunehmen oder mit meinem Team an der Teamentwicklung zu arbeiten. Es wäre sogar vorstellbar, dass Messen und Kongresse - von Zukunft Personal über Learntec bis Online Educa oder L&Dpro - ihre Besucher in Form von Avataren auf dem virtuellen Messegelände begrüßen, die wiederum von den Avataren der Aussteller auf ihren virtuellen Ständen begrüßt werden. Einen Vorgeschmack darauf bot zum Beispiel die Zukunft Personal bereits vor zwei Jahren, als die Preisverleihung des HR-Innovation Awards in eine virtuelle Arena verlegt wurde und die Laudatoren ihre Avatare auf die Bühne schickten.
Metaverse könnte an fehlender Bandbreite scheitern
Dass im Metaverse großes Potenzial steckt, sehen nicht nur die großen Konzerne von Apple und Meta (vormals Facebook) bis Microsoft so. Facebook bietet seit letztem Sommer eine App für das Office in der virtuellen Realität an, Microsoft hat mit "Mesh" eine Mixed-Reality-Plattform für den Bestseller "Teams" geschaffen, die noch lange nicht ausgereizt ist. Die Teilnehmer von Meetings können sich damit per Avatar in einen virtuellen Meetingraum setzen.
Auch Investoren erwarten Großes. Die Analysten von ARK-Invest etwa prognostizieren, dass die Revenue von virtuellen Welten von heute rund 180 Millionen Dollar auf rund 390 Billionen Dollar im Jahr 2025 steigen könnte. Abhängig sei das unter anderem davon, wie sich Tools wie VR- und AR-Headsets am Markt durchsetzen. Oder auch von der Bandbreite. Auf diese unschöne, Träume zerstörende aber weltweit vorhandene Herausforderung wies Duncan Stewart, Director of Research, Technology, Media & Telecommunications bei Deloitte, in einem Video über die Top-Trends der diesjährigen CES in Las Vegas hin. Wenn eine Präsentation schon im Teams-Meeting hänge, weil die Bandbreite fehle, dann habe man im Metaverse erst recht keine Chance, sie ohne Hänger abzuspulen. Genau das aber sei noch in ganz vielen Gegenden der Welt der Fall.
Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung" die Trends auf dem E-Learning-Markt.