"Habe mich gefragt, ob es Agilität nach Corona überhaupt noch braucht"
Haufe Online Redaktion: Was war Ihr persönliches Highlight der diesjährigen Agile HR Conference?
André Häusling: Vor allem hat mich beeindruckt, in welcher Breite Themen von neuer Zusammenarbeit diskutiert werden. Wir hatten Beispiele aus der Pflege und aus dem Handwerk, zum Beispiel eine agile Bäckerei aus Thüringen. Hier und in vielen weiteren Kontexten wird nach Antworten gesucht auf die Frage, wie mit einer komplexer werdenden Welt umzugehen ist. Somit beschäftigen sich längst nicht mehr nur IT-Unternehmen mit dem Thema Agilität. Das Thema wird breiter und strahlt weiter ab.
Dazu kommt, dass viele Unternehmen wahnsinnige Fortschritte gemacht haben. Manchmal ähneln sich zwar die Themen oder Probleme, aber es gibt eben immer mehr gute Vorbilder, auch immer mehr Vorbilder aus dem HR-Bereich. Vor drei oder vier Jahren wussten die Personaler noch nicht viel über Agilität zu erzählen, aber das hat sich stark verändert: Erfolge werden sichtbar und daraus können dann andere lernen.
Agile HR Conference deckt breites, crossfunktionales Spektrum ab
Haufe Online Redaktion: Ein "agiler Bäcker", aber auch Vorträge über Soziologie und Empirie der agilen Organisation: Das Themenspektrum war tatsächlich sehr weit gefasst. Ist die Agile HR Conference überhaupt noch eine Konferenz für Personalverantwortliche?
Häusling: Eigentlich war die Konferenz nie eine reine HR-Konferenz. Der Titel der Konferenz hat nie wirklich gepasst, ist aber in den Anfangsjahren um 2012 entstanden und wir sind dann dabei geblieben. Unsere Vision war aber schon immer, eine hohe Crossfunktionalität abzubilden. Folgerichtig hatten wir in diesem Jahr tatsächlich erstmals mehr Speaker aus Nicht-HR-Bereichen als aus HR selbst. Aber: Eine HR-Konferenz ist die Agile HR Conference dahingehend, dass es um Menschen geht und darum, wie wir unsere Zusammenarbeit und das Zusammenleben gestalten.
"Eigentlich war die Konferenz nie eine reine HR-Konferenz. Unsere Vision war aber schon immer, eine hohe Crossfunktionalität abzubilden." - André Häusling @hrpioneers_com über die #AgileHRConference
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Haufe Online Redaktion: Erreicht man mit einem solchen Programm und mit diesem Ansatz beispielsweise auch einen deutschen Mittelständler, der bislang wenig mit Agilität oder New Work zu tun hatte?
Häusling: Auch das hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Wir hatten beispielsweise mit Hettich einen typischen deutschen Hidden-Champion im diesjährigen Vortragsprogramm. Natürlich haben wir auch Konzerne wie SAP oder die Telekom dabei, aber das Programm wird auch immer breiter. Und die Probleme sind ja häufig die gleichen: Zu lernen, wie man mit der Komplexität und Geschwindigkeit im Markt umgeht, oder damit umzugehen, dass die Beschäftigten andere Ansprüche an die Zusammenarbeit entwickeln. Diese Themen sind mittlerweile in fast allen Organisationen angekommen.
Agilität bleibt auch in Zeiten von Corona ein zentrales Thema
Haufe Online Redaktion: Die Konferenz ist auch ein Gradmesser dafür, wie es um das Thema Agilität in deutschen Unternehmen aktuell steht. Was nehmen Sie mit? Vor welchen Herausforderungen stehen Personalmanager in Deutschland derzeit?
Häusling: Ich hatte mich tatsächlich gefragt, ob es Agilität nach Corona überhaupt noch braucht. Denn anfangs konnte man ja meinen, dass viele Projekte eingestellt werden und wir wieder zurück in die "alte Welt" und in alte Führungsmodelle rutschen. Aber gerade sehen wir eher, dass das Thema verstärkt wird: Die Welt wird noch komplexer und es braucht noch mehr Agilität. Sicherlich gibt es Unterschiede je Branche oder Unternehmen, aber das Thema ist immer noch da und wirft Fragen auf, die die Leute umtreiben.
Was zum Beispiel erstaunlich häufig aufkam, waren die Fragen: "Wie nehme ich mein Top-Management mit? Wie kann ich das Thema noch besser im Unternehmen verwurzeln? Wie kann ich skalieren und dafür auch die Geschäftsführung begeistern?" Daran arbeiten gerade viele. Ein weiteres Thema ist weiterhin Leadership: Wie schaffen wir es Führung anders zu leben und zu denken? Wie müssen wir die Führungskräfte aber auch die Mitarbeitenden ausbilden und qualifizieren? Dabei ist die Frage nach Organisationsstrukturen auch immer präsent.
Haufe Online Redaktion: Eine typische "agile Antwort" darauf ist ja "Shared Leadership", also das Verteilen von Führungsrollen auf verschiedene Personen im Unternehmen. Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, mit den Fragen rund um Leadership umzugehen?
Häusling: Bei Shared Leadership wird ja Führung häufig erstmal in fachliche Führung und disziplinarische Führung geteilt und erst in der Weiterentwicklung werden Führungsrollen noch stärker verteilt. Das Ganze steht aber im Moment noch in den Anfängen. Es gibt noch nicht viele, die Führung wirklich aufteilen.
Das macht auch nicht für jedes Unternehmen Sinn. Wir versuchen uns dem anhand von Reifegraden zu nähern. Viele Unternehmen sind aktuell in einer Matrix-Organisation aufgestellt und haben dann neben Linienführungskräften beispielsweise die Rolle des Projektleiters. Wenn aber die Komplexität immer größer wird, kommt die Matrix-Organisation an ihre Grenzen, weshalb im nächsten Schritt typischerweise informelle Netzwerke zusätzlich entstehen, die häufig agil arbeiten. Dann gibt es beispielsweise plötzlich Product Owner oder andere Rollen. Damit sind auch schon viele Führungsaufgaben verteilt, aber solange das informell bleibt, herrscht häufig Unklarheit. Dann macht es in der Tat Sinn, nochmal neu darüber nachzudenken, wie Führung am besten organisiert werden kann und gegebenenfalls Führungsrollen neu zu verteilen.
Was wir bisher aber beobachten, ist, dass viele Unternehmen erstmal ihre Organisationsstruktur überdenken, Stichwort "Spotify-Modell". Häufig bleibt es erstmal dabei, dass dann agile Teams zusammenarbeiten, sich darüber aber trotzdem eine Hierarchie in der klassischen Führungslogik aufbaut. Bislang trauen sich nur wenige Unternehmen, diese Führungslogik anzufassen und anders zu denken. Aber vielleicht ist es auch bei vielen Unternehmen nicht oder noch nicht nötig.
Agile HR Conference erstmals als Online-Format durchgeführt
Haufe Online Redaktion: Die Konferenz wurde 2020 erstmals als Online-Veranstaltung abgehalten, die Vorträge und Diskussionen wurden live von drei Bühnen gestreamt. Wann und warum haben Sie sich für dieses Konzept entschieden?
Häusling: Wir haben verschiedene Szenarien durchgespielt, weil wir lange nicht wussten, wie die Konferenz überhaupt stattfinden kann. Der erste Schritt war, dass wir den Termin mit dem Lockdown von April auf den Herbst verschoben haben, um den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Sicherheit und Planbarkeit zu geben. Aber wir wussten nicht, wie die Welt im Herbst aussehen wird und haben deshalb im Sommer auch über eine Absage und über ein hybrides Format nachgedacht.
Eine Absage hätte aber nicht den Bedürfnissen unserer Teilnehmenden entsprochen. Denn diese wollen gerade in der jetzigen Zeit wissen, wie andere Unternehmen mit der Situation umgehen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer brauchen den Austausch und die Vernetzung. Eine Hybrid-Veranstaltung kam dann wegen der geltenden Hygienebestimmungen leider nicht in Frage, weil wir nur mit sehr wenig Personen vor Ort hätten planen können.
Daher haben wir eben entschieden, eine reine Online-Veranstaltung durchzuführen und haben mit "Hopin" auch eine Plattform gefunden, die zu uns passt. Wir konnten so den Charakter unserer Veranstaltung, das Erlebnis, den Austausch und auch die Emotionalität bewahren.
Die Konferenz war auch im Online-Format wieder sehr stark von Interaktion geprägt."
Haufe Online Redaktion: Wie kam das bei den Zuschauern an?
Häusling: Wir wussten natürlich nicht, wie das ankommen wird, wenn wir den Teilnehmenden, die bereits zur ursprünglich geplanten Präsenzveranstaltung angemeldet waren, das Online-Konzept vorstellen. Wir wussten auch nicht, ob wir damit nochmal neue Anmeldungen generieren können und das ist dann auch erst relativ spät geschehen. Wir haben auch noch während der laufenden Veranstaltung eine Anmeldung abgewickelt. In den Jahren zuvor war die Konferenz immer schon ein oder zwei Monate vorher ausverkauft.
Das Feedback war dann aber genauso stark wie in den Jahren zuvor. Die Teilnehmenden waren begeistert. Eine Sache, die viele beeindruckt hat, war unser Networking-Angebot. Es war jederzeit möglich, online andere Teilnehmer kennenzulernen. Mit einem Knopfdruck wurde man mit einer fremden Person verbunden, ein bisschen wie bei einer Dating-Plattform. Außerdem gab es kleinere Sessions zur Vertiefung und Diskussion von einzelnen Themen. Dadurch war die Konferenz auch im Online-Format wieder sehr stark von Interaktion geprägt. Auch technisch hat alles gut funktioniert. Wir standen am Ende ungläubig vor dem überwältigenden Feedback, weil bisher keine Kritik bei uns angekommen ist. Aber mal sehen, was in den nächsten Tagen noch kommt.
Informelle Gespräche am Rande fehlen
Haufe Online Redaktion: Aber kann das Online-Format wirklich den direkten Austausch unter den Zuschauern ersetzen, von dem die Konferenz in den vergangenen Jahren immer stark geprägt war? Dieses Erlebnis ist doch mit einem Online-Tool kaum zu vergleichen, oder?
Häusling: Das inhaltliche und das gezielte Vernetzen, das konnten wir online gut abbilden. Der größte Unterschied sind die informellen Gespräche am Rande, bei der Party am Abend oder beim Mittagessen. Diese spontanen Seitengespräche haben uns am meisten gefehlt. Wenn wir wieder dürfen, wollen wir die Konferenz deshalb 2021 wieder lieber in Präsenz durchführen. Das Streaming wollen wir aber als Add-On auch weiterhin beibehalten.
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