Wie aus normalen Messen emotionale Festivals werden
Deutschlands große Computermesse Cebit gibt es seit dem Jahr 1986. Damals wurde sie aus der industriellen Leistungsshow „Hannover Messe“ ausgegliedert. Zu Spitzenzeiten hatte die Veranstaltung fast 8.000 Aussteller und 860.000 Besucher. Doch im Laufe der Zeit wurde die Cebit immer unattraktiver. Im Jahr 2017 kamen nur noch 200.00 Besucher. „Ein neues Messekonzept muss her“, entschied die Leitung der Cebit. In Zukunft müsse die Digitalisierung „erlebbarer“ gemacht werden. Die Messe sollte einen Festivalcharakter bekommen mit Livemusik, Riesenrad und Street-Food-Lastwagen.
Ein neuer Anfang für die Cebit
Als am Ende der „neuen“ Cebit die Zahlen präsentiert wurden, war von 2.800 Ausstellern und 120.000 Besuchern die Rede. „Die neue Cebit war ein voller Erfolg“, sagte daraufhin Heiko Meyer, Vorsitzender des Cebit-Messeausschusses und Geschäftsführer von Hewlett Packard Enterprise. Für ihn hatte eine ganz „neue Cebit“ Premiere. Meyer sagte weiter: „Mit dem Mut zur radikalen Transformation wurde die Basis für die Zukunft gelegt. Die neue Cebit hat Business mit Festival verbunden. Die beteiligten Unternehmen sind von dem neuen Konzept überzeugt.“
Wie die „neue Cebit“ funktioniert
Oliver Frese, Vorstand der Deutschen Messe AG, ergänzte: „Wir haben überaus positives Feedback zur Zukunftsfähigkeit des neuen Konzeptes und zu unserem Mut, nicht nur von Disruption zu sprechen, sondern sie auch anzupacken.“ Hierdurch sei es auf Anhieb gelungen, konkretes Business in den Hallen mit Festivalstimmung auf dem Gelände zu verbinden. „Die neue Cebit macht Digitalisierung emotional. Sie baut die Distanz zwischen Technologie und Gesellschaft ab und zeigt auch die konkreten Chancen auf.“
Die Cebit sei jetzt endlich wieder jung und schaffe mit frischem Wind eine neue Aufbruchstimmung. „Wir stellen fest, dass Geschäftskontakte in lockerer Atmosphäre besser entstehen können. Das wichtigste Ziel ist erreicht: Unsere Kunden sind sehr zufrieden“, betonte Frese. Die Mechanik der neuen Cebit sieht laut Messegesellschaft so aus:
- Die Cebit muss die Digitalisierung in die Gesellschaft tragen. Damit das funktioniert, muss Business mit Festival, Technologie mit Emotionen und Geschäft mit Spaß verbunden werden.
- Es muss ein viel breiteres Publikum als die üblichen IT-Entscheider angesprochen werden.
- Es gibt nach wie vor Messehallen, in denen „tagsüber“ Aussteller auf ihren Ständen stehen, ihre Produkte und Dienstleistungen erklären und „Leads schreiben“.
- Zusätzlich gibt es in allen Hallen mehr oder weniger viele Konferenzbühnen. Hier verfolgten zum Beispiel an allen Tagen mehr als 30.000 Zuschauer die Keynotes und Diskussionen rund um Chancen und Risiken der Digitalisierung. „Die neue Cebit ist das Forum, auf dem die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft besprochen wird“, betonte Frese. Im Zentrum der diesjährigen Cebit standen vor allem künstliche Intelligenz, Blockchain, schnelle Netze, Security und Human Robotics.
- Zwischen den Hallen gab es ein Freigelände, auf dem die Digitalisierung in Lounge-Atmosphäre erlebbar war. Dort gab es auch kleinere Events – zum Beispiel eine Modenschau mit Wearables, ein Wettrennen, das junge Leute mit ferngesteuerten Drohnen austrugen, ein Riesenrad von SAP, eine Art Wasserrutsche für Wellenreiter von Intel oder einen Cloud Lifter von IBM.
- An den Abenden standen dann die ganz großen Emotionen im Mittelpunkt. Es gab ein anspruchsvolles Musikprogramm mit Livemusikern – zum Beispiel mit Jan Delay, einem bekannten Hip-Hop-Musiker.
Die Festivalisierung der Cebit gilt unter Eventexperten als „mutiger Schritt“, der nur im ersten Anlauf gelungen sei. Denn wenn die Mischung im nächsten Jahr nicht stimme und der Spaß übertrieben werde, dann könne es sehr schnell passieren, dass die Unternehmen keine Messestände mehr buchten. Für die Aussteller ist es nach wie vor wichtig, dass auf der Cebit auch „in Ruhe“ konkrete Geschäfte angebahnt werden können. Die Aussteller müssen Kontakt zu den Besuchern bekommen können und wollen natürlich von diesem Kontakt auch profitieren. Fürs Erste gilt das Experiment der Festivalisierung als gelungen. So sind die Besucher laut Cebit-Pressesprecher Hartwig von Saß wie erhofft tatsächlich jünger geworden und der Frauenanteil unter den Besuchern hat sich erhöht. Das Ziel sei es, die Digitalentscheider der Zukunft auf die Messe zu holen und untereinander vernetzen.
„South by Southwest“ als Vorbild
Das große Vorbild der „neuen Cebit“ scheint übrigens das amerikanische Event „South by Southwest“ (SXSW) zu sein, das jährlich im März in Austin, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Texas, stattfindet. Es vereint Festivals, Konferenzen und Fachausstellungen vor allem in den Bereichen Musik, Film und interaktive Medien. Das Festival fand das erste Mal 1987 statt und geht mittlerweile insgesamt über 10 Tage. Wenn man eine direkt davor stattfindende Bildungsmesse mit Konferenz dazu zählt, dauert die ganze Veranstaltung sogar 14 Tage. „South by Southwest“ ist eine der größten Zusammenkünfte im Namen der Kreativität auf der Welt. Hier treffen Musik und Filmfestivals auf Konferenzen und Ausstellungen. Da sich unzählige Innovatoren aus einer Vielzahl von Medien unter einem Dach versammeln, entsteht eine inspirierende Atmosphäre, die Besucher und Teilnehmer gleichermaßen Zeuge unvergesslicher Auftritte werden lässt. Unter anderem wurde dort im Jahr 2007 der Kurznachrichtendienst „Twitter“ einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.
SXSW als ideale Vermarktungsplattform
Seitdem versuchen Anbieter von sozialen Netzwerken und Apps diesem Erfolg nachzueifern. Für Entwickler ist die SXSW dabei eine ideale Vermarktungsplattform, 40 Prozent der Besucher kommen nämlich inzwischen aus dem Ausland. Wird ein neuer Dienst von den Besuchern akzeptiert, verbreiten sie diese Neuheit anschließend in alle Ecken der Welt. In diesem Jahr überraschte der Unternehmer Elon Musk das SXSW-Publikum. Der Chef von „Tesla“, einem Pionier in Sachen Elektroauto, tauchte plötzlich bei einer Podiumsdiskussion auf und beantwortete Fragen aus dem Publikum. Dabei überraschte der Vordenker mit deutlichem Technik-Pessimismus. So stufte er künstliche Intelligenz gefährlicher als nukleare Waffen ein. Ein Musikfestival aus dem Jahr 1986, das es geschafft hat, zur digitalen Leitkonferenz zu werden, taugt verständlicherweise als Vorbild für die Cebit. Seit Jahren schon wird auf dem SXSW-Festival weniger gefeiert als früher. Dafür geht es jetzt ernsthafter um politische Themen.
Neben dem Musik- und Film-Festival ist der „Interactive“-Teil der größte Bereich des Festivals. Hier diskutieren Unternehmer, Entwickler, Vordenker und Künstler den Einfluss der technologischen Entwicklung auf die Gesellschaft. Immer mehr steht dabei die Frage im Mittelpunkt, ob die Menschheit die Vorteile der Digitalisierung nicht zu rosarot sehe. Die SXSW lockte in diesem Jahr übrigens über 70.000 Teilnehmer aus der ganzen Welt nach Austin.
Die Cebit war immerhin in Deutschland tagelang Topthema im Internet. Mit dem neuen Konzept erreichte die Messe nach eigenen Angaben von der ersten Minute an große Relevanz im Internet. Die Live-Onlinestreamings der Konferenzen wurden von mehr als 400.000 Personen genutzt.
Cebit war Spitzenreiter bei Twitter
Über die sozialen Netzwerke der Cebit wurden jeden Tag mehr als eine halbe Million Menschen erreicht. Auch die Aussteller berichteten von Millionen-Reichweiten. Die Hashtags #cebit, #cebit18 und #cebit2018 waren in den ersten Tagen Spitzenreiter in den deutschen Twitter-Charts. Und außerdem soll ganz Hannover eine Woche lang im Cebit-Fieber gewesen sein. Tausende Besucher hätten täglich auf dem Kröpcke, dem zentralen Platz der Stadt, die Live-Übertragungen vom Messegelände beobachtet und sich an Diskussionen beteiligt. Es gab eine Cebit-Clubnacht und beim großen Open-Air-Abschluss am Freitagabend in der Innenstadt wurden mehrere Tausend Gäste gezählt.
Digitale Aufbruchstimmung auf der neuen Cebit
„Der frische Wind der neuen Cebit sorgt für eine digitale Aufbruchstimmung, die in jedem Detail spürbar war“, fasste Frese seine Sicht der Dinge zusammen. „Nach dieser erfolgreichen Premiere krempeln wir jetzt die Ärmel hoch und arbeiten gemeinsam mit unseren Partnern an der Cebit 2019.“ Zum Abschluss der Cebit in Hannover meldete sich auch der IT-Verband „Bitkom“ zu Wort. Dessen Präsident Achim Berg erklärte: „Die Neuausrichtung ist ein entschlossener, wichtiger Schritt in die richtige Richtung. 32 Jahre nach ihrer Gründung wandelt sich die frühere Computermesse zu einem Digital-Festival. Ihren Namen hat die Cebit behalten, sie findet weiterhin in Hannover statt und sie umfasst auch klassisches Messegeschäft. Im Übrigen aber hatte die Veranstaltung 2018 nichts mehr mit ihren Vorgängerinnen gemein. Sie ist einzigartig in Europa, eine echte Premiere und als solche ein Erfolg.“
Noch mehr Festival?
Der Re-Start gilt als geglückt. Das breite Angebot aus Messe-, Konferenz- und Festivalprogramm müsse weiterhin bestmöglich verzahnt werden. Den Festival-Gedanken sollte man laut Bitkom noch stärker in die Messehallen tragen. Ob das noch mehr Nutzen stiftet, wird sich zeigen. Die Cebit 2019 wird vom 24. bis 28. Juni ausgerichtet.
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