Kein wirksamer Jahresurlaub in Form wöchentlicher Arbeitszeitverkürzung
Der Kläger des Verfahrens war in den Jahren 2014 bis Anfang 2017 als Bote tätig und fuhr Medikamente aus. Das monatliche Bruttogehalt betrug 1.300 Euro bei einer durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von arbeitsvertraglich geregelten 30 Stunden.
Jahresurlaub kann nicht stundenweise abgegolten werden
Laut Arbeitsvertrag war der Jahresurlaub jeweils bis spätestens zum 31. März des folgenden Jahres zu nehmen. In § 9 des Arbeitsvertrages war unter der Rubrik „Besondere Vereinbarung“ geregelt, dass der Arbeitnehmer seinen
- Jahresurlaub „auf eigenen Wunsch“ in Form einer wöchentlichen Arbeitszeitverkürzung nimmt.
- Statt der bezahlten 30 Stunden pro Woche sollte die Arbeitszeit lediglich 27,5 Stunden betragen.
- Gemäß § 11 des Arbeitsvertrages sind alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen einer Frist von drei Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen.
Das Arbeitsverhältnis endete am 31.3.2017.
Klage auf Urlaubsabgeltung beim ArbG blieb erfolglos
Mit Schreiben vom 4.5.2017 forderte der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf, den Urlaubsanspruch für die Jahre 2014-2017 abzugelten. Dies lehnte der Arbeitgeber ab. Der Arbeitnehmer klagte vor dem ArbG und scheiterte dort zunächst.
LAG sah Anspruch auf Abgeltung des Jahresurlaubes nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Das LAG gab dem Kläger im Wesentlichen Recht und stützte seine Entscheidung auf § 7 Abs. 4 BurlG. Nach dieser Vorschrift habe der Kläger einen Anspruch auf Abgeltung des ihm zustehenden Jahresurlaubs von 20 Tagen pro Jahr. Dieser sei nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 4 BurlG in Geld abzugelten.
Urlaub kann nicht stundenweise gewählt werden
Die abweichende Regelung des Arbeitsvertrages stellt nach der Entscheidung des LAG eine unzulässige Bestimmung im Sinne des § 3 BUrlG dar.
Eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden sei kein Erholungsurlaub im Sinne von §§ 1 ff BUrlG. Gemäß § 3 BUrlG werde der Urlaubsanspruch in Tagen berechnet, Urlaub könne daher nicht stundenweise gewährt werden.
Urlaub dient der Erholung
Auch der Vorschrift des § 7 Abs. 2 Satz 1BUrlG sei zu entnehmen, dass
- Urlaub grundsätzlich zusammenhängend zu gewähren sei
- und eine Arbeitszeitverkürzung den Anspruch auf den gesetzlichen Erholungsurlaub nicht ersetzen könne.
- § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG verfolge den Zweck, dem Arbeitnehmer durch Freizeit und Erholung die Wiederherstellung und Auffrischung der Arbeitskraft zu ermöglichen.
- Außerdem verfolge der Jahresurlaub den Zweck der Erhaltung der Gesundheit des Arbeitnehmers.
Dies alles könne durch eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden nicht erreicht werden.
Urlaubsansprüche waren nicht verfallen
Die Urlaubsansprüche sind nach dem Urteil des LAG auch nicht verfallen. Der Verfall von Urlaubsansprüchen könne nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert habe, den Urlaub zu nehmen.
Die früher herrschende Rechtsprechung, wonach Urlaub mit Ende des arbeitsvertraglich vereinbarten Übertragungszeitraumes grundsätzlich verfalle, (BAG, Urteil v. 17.5. 2011, 9 AZR 197/10), gelte nach den Vorgaben des EuGH nicht mehr.
Neuere Rechtsprechung zum Urlaubsverfall
Nach der Rechtsprechung des EuGH bedürfe § 7 BUrlG einer richtlinienkonformen Auslegung (EuGH, Urteil v. 6.11.2018, C-684/16). Unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG treffe den Arbeitgeber eine Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs.
Nach dem Urteil des EuGH sei der
„Arbeitgeber gehalten, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen“,
indem er ihn erforderlichenfalls förmlich auffordert, dies zu tun.
Der Arbeitgeber habe nach dieser Entscheidung darüber hinaus klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraumes oder eines Übertragungszeitraumes verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht nimmt.
Fehlt eine dieser Voraussetzungen, tritt nach dem Urteil des LAG ein Verfall des Urlaubsanspruchs gemäß § 7 BUrlG nicht ein (BAG, Urteil v. 19.2.2019, 9 AZR 541/15).
Verstoß gegen Grundrechtscharta der EU
Die konkrete Urlaubsregelung durch Arbeitszeitverkürzung verstößt nach Auffassung des LAG ebenso wie die Nichtzahlung einer finanziellen Vergütung für den nicht genommenen Jahresurlaub auch gegen Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Der Arbeitnehmer müsse zum wirksamen Schutz seiner Gesundheit über eine tatsächliche Uhrzeit verfügen können.
Entscheidung noch nicht rechtskräftig
Im Ergebnis stellte das LAG fest, dass der beklagte Arbeitnehmer seinen Obliegenheiten, den Kläger konkret aufzufordern, den Urlaub zu nehmen und ihn auf die Möglichkeit des Verfalls hinzuweisen, nicht nachgekommen ist. Damit sei nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaub gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG durch Zahlung abzugelten.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der beklagte Arbeitgeber hat Berufung beim BAG eingereicht.
(LArbG Köln, Urteil v. 9.4.2019, 4 Sa 242/18; BAG, 5 AZN 167/19)
Hintergrund:Verfall von Urlaub
Das Bundesurlaubsgesetz sieht vor, dass Mitarbeiter Urlaub beantragen müssen, um bei Beschäftigungsende einen Abgeltungsanspruch zu haben. Dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wurde in 2 Fällen (Urteile v. 06.11.2018, C-619/16 und C-684/16) die Frage zur Klärung vorgelegt, ob Urlaub verfallen kann, wenn er bis zum Ende der Beschäftigung nicht genommen wurde, obwohl theoretisch die Möglichkeit dazu bestand.Der EuGH lehnt in seinen Entscheidungen einen automatischen Verlust des Urlaubs ab.
Er gibt aber Kriterien vor, bei denen ein Verlust mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Das Unionsrecht lasse es nicht zu, dass ein Arbeitnehmer die ihm gemäß dem Unionsrecht zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub automatisch schon allein deshalb verliert, weil er vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Urlaub beantragt hat. Die Ansprüche könnten allerdings untergehen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber beispielsweise durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die fraglichen Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen. Der Arbeitgeber ist hierfür beweispflichtig.
Ein Arbeitgeber habe aber nicht die Pflicht, den Mitarbeiter zum Urlaub zu zwingen. Diese dürften nicht bewusst Mindesturlaubstage nur ansammeln, um sie sich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vergüten zu lassen. Das BAG greift diese Rechtsprechung des EuGH in einem Urteil inzwischen auf (BAG, Urteil v. 19.2.2019, 9 AZR 541/15).
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