BGH erlaubt vollen Zugriff der Eltern auf Facebook-Konto des verstorbenen Kindes
Nach der Entscheidung des BGH muss die Betreiberin eines sozialen Netzwerks (Facebook) den Erben einer Teilnehmerin des Netzwerks die Möglichkeit einräumen, vom Facebook-Konto der verstorbenen Teilnehmerin und dessen Inhalt auf dieselbe Weise Kenntnis zu nehmen wie zuvor die Verstorbene selbst und sich in dem Konto auch auf die gleiche Weise zu „bewegen“.
Ausgenommen hiervon ist lediglich die aktive Kontonutzung.
Ungeklärte Todesursache der Facebook-Nutzerin
Anfang Dezember 2012 verstarb die Tochter der Klägerin unter bisher ungeklärten Umständen. Vor ihrem Tod hatte die Minderjährige einen Nutzungsvertrag mit dem sozialen Netzwerk „Facebook“ abgeschlossen, dessen Diensteanbieter für Deutschland seinen Sitz in Irland hat.
Um mehr über die Hintergründe und die Todesursache zu erfahren, insbesondere, ob es sich möglicherweise um einen Suizid gehandelt haben könnte, versuchten die Eltern mit den korrekten Zugangsdaten, die ihnen ihre Tochter vor ihrem Tod anvertraut hat, das Facebook-Konto zu öffnen.
Facebook hatte den Gedenkzustand des Kontos aktiviert
Sie mussten jedoch feststellen, dass das Profil wenige Tage nach dem Tod der Tochter bereits in den sogenannten Gedenkzustand versetzt worden war. Namen und Foto eines Verstorbenen bleiben sichtbar und es erscheint der Eintrag "In Erinnerung an". Ausschließlich Facebook-Freunde des ehemaligen Kontoinhabers können dann noch Beiträge einfügen.
Auf Chronik-Einträge und ältere Chats kann nicht mehr zugegriffen werden. Durch die Aktivierung des Gedenkzustands hatten die Erben auch mit dem richtigen Passwort keinen Zugriff mehr auf das Konto.
Rechtsstreit gegen Facebook um das digitale Erbe
Auf die Klage der Mutter hatte das LG Berlin Facebook verurteilt, den Erben Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten ihrer Tochter zu gewähren (LG Berlin, Urteil v. 17.12.2015, 20 O 172/15). Der BGH hatte das Urteil später in einer viel beachteten Grundsatzentscheidung bestätigt (BGH, Urteil v. 12.7.2018, III ZR 183/17). Facebook übermittelte daraufhin der Mutter der Verstorbenen einen USB-Stick, der eine PDF-Datei mit mehr als 14.000 Seiten enthält. Nach Angaben von Facebook enthielt der Stick die vollständigen bei Facebook gespeicherten Daten der verstorbenen Tochter, einschließlich sämtlicher Posts, Nachrichten und Fotos.
Als Nachlass übermittelter Stick war für die Eltern unbrauchbar
Dies genügte den Eltern nicht. Die Vielzahl unstrukturierter Daten war für die Eltern nicht in sinnvoller Weise auslesbar. Ihnen ging es nicht zuletzt darum, in dem Facebook-Konto ihrer Tochter Hinweise darauf zu finden, ob die Tochter möglicherweise Suizid begangen hat und wenn ja, warum. Diese Nachforschungen waren auf Grundlage der völlig unstrukturierten Dateien für die Eltern als digitale Laien praktisch unmöglich.
Facebook beteuert Mitgefühl mit Eltern der verstorbenen Userin
Facebook stellte sich demgegenüber auf den Standpunkt, durch Übergabe des Sticks das Berliner Urteil vollständig erfüllt zu haben. Ein Sprecher von Facebook betonte, mit der Familie zu fühlen und daher alles getan zu haben, um der Familie einen vollständigen Einblick in das Facebook-Konto ihrer verstorbenen Tochter zu ermöglichen. Die Gewährung einer aktiven Weiternutzung des Facebookkontos einer Verstorbenen sei nach den Richtlinien von Facebook aber nicht möglich.
Eltern stellten Zwangsgeldantrag gegen Facebook
Auf Antrag der Mutter hat daraufhin das LG Berlin die Festsetzung eines Zwangsgeldes von 10.000 Euro gegen Facebook verfügt. Nach Auffassung des LG war Facebook seiner Verpflichtung zur Öffnung des Facebook-Kontos für die Erben nicht nachgekommen. Auf die Beschwerde von Facebook hob das KG diesen Beschluss wieder auf und wies den Antrag auf Festsetzung eines Zwangsmittels gegen die Schuldnerin zurück.
BGH: Volles Einsichtsrecht für die Erben
Die Mutter ließ nicht locker und erhob Rechtsbeschwerde beim BGH. Dieser stellte nun in einer Grundsatzentscheidung klar, dass nach dem Tenor des Urteils des LG Berlin vom 17.12.2015 Facebook den Erben nicht nur Zugang zu den im Benutzerkonto vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren hat, sondern
den Erben die Möglichkeit einräumen muss, vom Benutzerkonto selbst und dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können wie die ursprüngliche Kontoberechtigte.
Primärleistungsanspruch der Erben auf Zugang zu Benutzerkonto
Dies folgt nach der Entscheidung des BGH sowohl aus dem Tenor des Urteils des LG als auch aus den Entscheidungsgründen. Hiernach sei der Nutzungsvertrag zwischen der Tochter der Gläubigerin und Facebook mit sämtlichen Rechten und Pflichten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 1922 BGB auf die Erben übergegangen. Letztere seien hierdurch in das Vertragsverhältnis eingetreten und hätten deshalb als neue Kontoberechtigte einen Primärleistungsanspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto ihrer Tochter sowie sämtlichen darin enthaltenen digitalen Inhalten.
USB-Stick mit digitalem Nachlass reicht nicht aus
Diesen Anspruch der Erben hat Facebook nach der Entscheidung des BGH durch die bloße Überlassung des USB-Sticks mit einer umfangreichen, unstrukturierten PDF-Datei nicht erfüllt. Die PDF-Datei bilde das Benutzerkonto auch nicht vollständig ab. Facebook müsse gegebenenfalls den Gedenkzustand des Kontos aufheben, wenn auf andere Weise der Anspruch der Erben nicht erfüllt werden könne. In seiner ursprünglichen Entscheidung hatte das LG Berlin hierzu geurteilt, dass die Gedenkzustandsrichtlinie der Beklagten die Vererblichkeit des Zugangsrechts zum Facebook-Konto in unzulässiger Weise beschränke und in diesem Punkt unwirksam sei. Lediglich die aktive Weiternutzung des Kontos kann Facebook nach der Entscheidung des BGH den Erben verwehren, d.h. für die Erben sind keine weiteren posts mehr möglich.
(BGH, Beschluss v. 27.8.2020, III ZB 30/20).
Hintergrund: Vereinbarkeit der Facebook-Regelungen mit deutschen Erbrecht
Gerichtliche Auseinandersetzungen mit dem Internetriesen „Facebook“ mit Sitz in Irland sind und bleiben schwierig. Nach einer Grundsatzentscheidung des EuGH können Verbraucher soziale Netzwerke immerhin am Sitz ihres Wohnortes verklagen (EuGH, Urteil v. 2.3.2018, C-498/16).
Inzwischen hat Facebook für den Fall des Todes eines Nutzers die Regeln zum Gedenkzustand geändert. Zwar ist es nun den Nutzern möglich, einen „Nachlasskontakt“ zu bestimmen, aber auch dieser kann auf alte Einträge nicht zugreifen. Eine Vereinbarkeit der Facebook-Regelungen mit dem deutschen Erbrecht dürfte also weiterhin problematisch sein.
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