Wenn ein Kind durch eine Sorgerechtsentscheidung nicht nur von einem Elternteil zum anderen, sondern auch von Deutschland nach Frankreich umgesiedelt würde, sollte es zuvor angehört werden, wenn es schon 8 Jahre alt ist. Der BGH hob auch deshalb eine OLG-Entscheidung auf.

Der BGH hob damit eine Entscheidung des OLG Brandenburg mit der Begründung auf:

  • Kinder müssen vor gravierenden Entscheidungen über das Sorgerecht angehört werden,
  • wenn sie groß genug sind, um die Bedeutung zu verstehen.

Hier sollte ein achtjähriges, in Deutschland bei seiner Mutter aufgewachsenes Mädchen in die Obhut seines in Frankreich lebenden Vaters wechseln. Was es selbst von diesem massiven Einschnitt hielt, hörten sich die OLG-Richter nicht an, ehe es dem Vater das alleinige Sorgerecht übertrug. Die Meinung aller Verfahrensbeteiligten, die den Auftrag hatten, das Kind anzuhören, ging in die entgegengesetzte Richtung.

 

Bei Achtjähriger unverzichtbar

Der BGH befand, ein «nach seinem Entwicklungsstand schon verständiges Kind» anzuhören sei für eine solche Entscheidung «unverzichtbar».

Der Fall: Die nicht miteinander verheirateten Eltern streiten um das alleinige Sorgerecht für ihre im Oktober 2002 geboreneTochter. Die Mutter besitzt die deutsche, der Vater die französische Staatsangehörigkeit. Zur Zeit der Geburt des Kindes lebten die Eltern in Frankreich. Kurz nach der Geburt trennten sie sich, und die Mutter kehrte mit dem Kind nach Deutschland zurück, wo das Kind seither lebt und zur Schule geht.

 

Sorgerecht erst gemeinsam ausgeübt, dann Streit um Umgang und Einschulung

Beide Elternteile übten die elterliche Sorge zunächst einverständlich gemeinsam aus. In der Folge kam es zum Streit um das Umgangsrecht, das Recht, wer das Kind einschulen darf, und schließlich um das Sorgerecht. Es ging auch darum, wieweit das Kind die jeweils andere Nationalität leben konnte.

 

Austausch des Verfahrenspflegers

Das AG hatte das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Mutter übertragen. Das OLG hat nach Austausch des Verfahrenspflegers und ohne Anhörung des Kindes dem Vater das alleinige Sorgerecht übertragen und in seinem Beschluss angeordnet, dass die Mutter das Kind innerhalb von 3 Tagen an den in Frankreich lebenden Vater herauszugeben habe.

Die Rechtsbeschwerde der Mutte dagegen hatte Erfolg und führte zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an einen anderen Spruchkörper.

 

Erziehungseignung und Bindungstoleranz der Eltern

Der BGH beanstandete, dass das OLG die vermeintlich bessere Erziehungseignung des Vaters nicht nachvollziehbar begründet habe und auch die negative Bewertung der Bildungstoleranz der Mutter, also deren Fähigkeit und Bereitschaft, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu erhalten und zu fördern, nicht überzeuge.

So habe ein Sachverständige zwar festgestellt, dass der Vater zu wenig flexibel sei, zur "Verbissenheit" neige und die Mutter im Elternkonflikt massiv abwerte. Diese Feststellungen deckten sich auch mit dem Eindruck, den das OLG vom Vater gewonnen hatte. Es sei indes - so das OLG - nicht erkennbar, dass sich diese Defizite irgendwie nachteilig auf die Tochter auswirkten. Der BGH fand es nicht nachvollziehbar, wieso diese Eigenschaften nicht zu einer negativen Bewertung der Bindungstoleranz des Vaters führten.

Die Beziehung der Mutter zum Kind hatte der Sachverständige als "zu eng" und "symbiotisch" bezeichnet. Die erzieherischen Einschränkungen sah er beim Vater aber als größer an. Das OLG war anderer Ansicht und kam zu dem Ergebnis, die Mutter habe eine deutlich geringer ausgeprägte Bindungstoleranz.

Das konnte der BGH nicht damit in Einklang bringen, dass das OLG befand, dass sich die Tochter aller Voraussicht in Frankreich mühelos zurechtfinden werde, weil sie seit ihrem dritten Lebensjahr regelmäßig ungefähr ein Drittel der Zeit auch in Frankreich aufgehalten habe und deshalb dort gut integriert sei.

Dass aber wäre, so der BGH, bei einer defizitären Bindungstoleranz der Mutter schwer vorstellbar, da bei Vorliegen einer solchen regelmäßig der Kontakt zwischen Kind und umgangsberechtigten Elternteil nicht zugelassen würde.

 

Fehlende Anhörung = rechtsfehlerhaft

Rechtsfehlerhaft war es nach Ansicht des BGH auch, dass das OLG das Kind nicht angehört habe. Die alleinige Zuweisung der elterlichen Sorge an den Vater habe für das Kind erhebliche Auswirkungen, weil sie mit einem Umzug nach Frankreich und damit mit einem gravierenden Wechsel seiner bisherigen Lebensumstände einhergehe.

Es sei unverzichtbar, dass das nach seinem Entwicklungsstand schon verständige Kind durch das erkennende Gericht selbst angehört werde. Hinzu komme, dass alle mit dem Kind in diesem Verfahren befassten Personen, die das Kind selbst angehört haben, also der Amtsrichter, die Verfahrenspfleger und der Sachverständige übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt sind, dass das Kind bei der Mutter bleiben solle.

Um sich ein sicheres Bild von dem Willen, den Neigungen und den Bindungen des Kindes zu machen, hätte das Beschwerdegericht das betroffene Kind selbst persönlich durch den gesamten Senat anhören müssen.

 

Auswechslung der eingearbeiten Verfahrenspflegerin

Auf verfahrensrechtliche Bedenken stieß auch, dass das Oberlandesgericht die Verfahrenspflegerin, die das Kind seit längerer Zeit auch aus dem Beschulungs- und Umgangsrechtsverfahren kannte und in das umfangreiche Verfahren eingearbeitet war, kurz vor Abschluss des Verfahrens durch einen anderen Verfahrenspfleger ersetzt hat.

(BGH, Beschluss v. 16. März 2011, XII ZB 407/10).