Erstausbildung hat nicht immer Vorrang vor einer Unterhaltsverpflichtung
In dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall begehrte der im Jahr 2003 geborenen Sohn, der beim Kindesvater lebt, von seiner Mutter die Zahlung des Mindestunterhalts seit November 2013.
Mutter beginnt eine Ausbildung nach der anderen
In ihrem Heimatland Mexiko erwarb die Kindesmutter 1997 die allgemeine Hochschulreife. In der Folgezeit brach sie mehrere Studiengänge und diverse Lehren ab. Bis heute besitzt sie keine abgeschlossene Berufsausbildung.
- Gegenüber dem Unterhaltsanspruch des Sohnes beruft die Kindesmutter sich auf fehlende Leistungsfähigkeit und verweist auf ihre fehlende Berufsausbildung.
- Im August 2014 hatte sie eine zweijährige Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau begonnen, die sie im Oktober 2014 wieder abbrach.
- Seit Ende November 2014 bezieht sie als Mitarbeiterin eines Unternehmens ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von rund 1.425 Euro.
Grundsatz der Barunterhaltspflicht
Das zweitinstanzlich mit der Sache befasste OLG verwies zunächst auf §1 601 BGB. Hiernach hat ein Kind gegen den Elternteil, bei dem es nicht lebt, grundsätzlich Anspruch auf Zahlung von Barunterhalt. Soweit nur der Mindestunterhalt geltend gemacht wird, muss dabei der Bedarf nicht näher spezifiziert werden.
Gesteigerte Unterhaltspflicht bei minderjährigen Kindern
Eine Ausnahme von der Barunterhaltspflicht besteht nach § 1603 BGB dann, wenn der Unterhaltspflichtige bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.
Eltern sind gleichwohl gemäß § 1603 Abs. 2 BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (gesteigerte Unterhaltspflicht).
Berücksichtigung fiktiver Einkünfte
Darüber hinaus stellte das OLG klar, dass im Fall von Arbeitslosigkeit der Verpflichtete sich ernsthaft und intensiv um eine Arbeitsstelle bewerben muss. Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm tatsächlich mögliche und auch zumutbare Erwerbstätigkeit unterlasse, seien nicht nur die tatsächlich erzielten, sondern auch die fiktive erzielbaren Einkünfte bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zu berücksichtigen.
Wer kann, muss notfalls zwei Jobs annehmen
Vor diesem Hintergrund ist im konkreten Fall die Kindesmutter nach Auffassung des OLG ohne weiteres in der Lage, den Mindestunterhalt für ihr Kind zu Zahlen. Dabei ließ es das OLG dahinstehen, ob der Kindesmutter nach Abzug ihrer Kosten für die Fahrt zum Arbeitsplatz und sonstiger berufsbedingter Aufwendungen noch der ihr zustehende Selbstbehalt in Höhe von 1.000 Euro monatlich bis zum 31.12.2014 und in Höhe von 1.080 Euro monatlich seit dem 1.1.2015 verblieb.
Im Hinblick auf ihre gesteigerte Unterhaltspflicht sei es der Kindesmutter zuzumuten, neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit eine Nebentätigkeit im Umfang von mindestens 4 Stunden wöchentlich auszuüben, mit denen sie ein weiteres Einkommen von mindestens 120 Euro monatlich erzielen könnte.
Ausnahme nur bei Unzumutbarkeit der Nebentätigkeit
Die Aufnahme einer Nebentätigkeit sei nur dann nicht erforderlich, wenn eine solche Tätigkeit der Kindesmutter nicht zumutbar sei. Hierfür habe die Kindesmutter nichts vorgetragen. Für eine eventuelle Unzumutbarkeit sei sie aber darlegungs- und beweispflichtig. Die Kindesmutter sei aber bisher anscheinend nicht einmal auf die Idee gekommen, neben ihrer Vollzeittätigkeit eine Nebenerwerb aufzunehmen.
- Eine reale Beschäftigungschance bestehe für die Kindesmutter in den frühen Morgenstunden, den Abendstunden oder am Wochenende bei lebensnaher Betrachtung ohne weiteres.
- Eine solche Nebentätigkeit sei ihr auch deshalb zumutbar, weil sie auch unter Berücksichtigung einer solchen zusätzlichen Arbeit eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden nicht überschreiten würde.
I. d. R. hat Erstausbildung Vorrang vor Unterhaltsverpflichtung
Diese Argumentation gilt nach Auffassung des OLG im Hinblick auf die gesteigerte Erwerbsobliegenheit auch für den Zeitraum, in dem die Kindesmutter eine Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau aufgenommen hatte.
- Zwar sei eine Erstausbildung regelmäßig auch gegenüber der gesteigerten Unterhaltspflicht der Vorrang einzuräumen, da die Erlangung einer angemessenen Ausbildung zu einem Beruf zu den dem Unterhaltspflichtigen zuzugestehenden elementaren Lebensbedürfnissen gehöre.
- Dieser Grundsatz gelte aber nicht uneingeschränkt, vielmehr sei im Einzelfall die Gesamtheit der individuellen Umstände zu berücksichtigen.
- Die Einzelbetrachtung zeige hier, dass die Kindesmutter in der Vergangenheit begonnene Ausbildungen in einer großen Zahl abgebrochen habe.
Sie habe keine Umstände vorgetragen, die den Rückschluss zuließen, dass sie die aufgenommenen Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau konsequent durchführen und beenden wollte. Vor diesem Hintergrund sei dem Ausbildungsinteresse der Mutter hier kein Vorrang vor dem Unterhaltsinteresse des Kindes einzuräumen. Das OLG verpflichtete die Kindesmutter daher zur Zahlung des Mindestunterhaltes über den geltend gemachten Zeitraum.
(OLG Hamm, Beschluss v. 24.04.2015, 12 UF 225/14).
Vgl. zu dem Thema auch:
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