Akzeptieren vorläufiger Fremdbetreuung kann Sorgerechtsverlust verhindern
Im Norden Deutschlands kam es zu einer Liebesbeziehung einer Frau von der Elfenbeinküste mit einem Guinneer mit belgischem Pass. Im darauf folgenden März 2016 wurden ihre Zwillinge geboren.
Jugendamt zweifelt an Erziehungsfähigkeit der Mutter
Der Vater hielt sich eine ganze Zeit in Afrika auf und erfuhr erst nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Spätsommer 2016 von seiner Vaterschaft. Derweil kümmerte sich die Mutter um die Babys - nach Ansicht des Jugendamts mehr schlecht als recht. Es sah das Wohl der Säuglinge gefährdet. Offenbar gab es einen Vorfall, bei dem eines der Kinder Verbrennungen erlitt.
Vorläufiger Sorgerechtsentzug der Mutter
Das Amt nahm daraufhin die Babys in ihre bzw. gab sie in die vorläufige Obhut einer Pflegefamilie und sorgte dafür, dass das Amtsgericht Oldenburg der Mutter im Dezember 2016 in wesentlichen Punkten die elterliche Sorge entzog. Dies umfasste :
- das Aufenthaltsbestimmungsrecht,
- das Recht zur Gesundheitsfürsorge,
- das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen sowie
- das Recht der Vertretung bei Behörden
Für diese Rechte ordnete es Ergänzungspflegschaft des Jugendamts an. Das geschah per einstweiliger Anordnung, also vorläufig.
Vaterschaftsanerkennung und gemeinsame Sorgerechtserklärung
Der Vater trat erst kurz darauf für Behörden und Gericht auf die Bildfläche. Mit Zustimmung der Mutter erkannte er am 19.12.2016 seine Vaterschaft an. Beide Eltern gaben darüber hinaus eine gemeinsame Sorgerechtserklärung ab. Der Vater gab bekannt, dass sie zusammenleben wollten und wünschte sich, dass die Kinder zur Mutter zurückkehrten.
Amtsgericht entzieht Sorgerecht auch dem Vater
In dem Verfahren vor dem Amtsgericht Oldenburg zweifelte das Jugendamt weiterhin die Erziehungsfähigkeit der Mutter an, was anscheinend auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen sei und sprach sich für eine dauerhafte Fremdunterbringung der Kinder aus. Außerdem meinte es, der Vater habe bislang keinerlei Beziehung zu seinen Sprösslingen aufgebaut und sei ebenfalls ungeeignet für die Kinder zu sorgen.
Das Amtsgericht
- hielt den teilweisen Sorgerechtsentzug der Mutter aufrecht und
- entzog auch dem Vater das Sorgerecht im selben Umfang.
Elterliches Sorgerecht als Grundrechtsgarantie erlaubt Verfassungsbeschwerde
Dagegen legte der Kindsvater Beschwerde beim OLG Oldenburg ein. Er gab an, dass er, sofern ihm das Sorgerecht zugesprochen würde, zunächst damit einverstanden sei, dass die Babys in der Bereitschaftspflegefamilie blieben. Die Beschwerde blieb erfolglos, die OLG-Richter bestätigten die Amtsgerichtsentscheidung. Der junge Vater verzagte nicht, sondern ging weiter zum Bundesverfassungsgericht. Dort berief er sich auf sein elterliches Grundrecht – mit Erfolg!
Kindeswohl und Verhältnismäßigkeit als Säulen der Elternsorge
In unserem Grundgesetz ist garantiert, dass den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder zusteht (Art. 6 Abs.2 S.1 GG).
- Eine räumliche Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen stellt den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht dar,
- der nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen darf.
Art. 6 Abs. 3 GG erlaubt diesen Eingriff nur unter der strengen Voraussetzung, dass das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre.
Eine solche Gefährdung des Kindes ist dann anzunehmen, wenn bei ihm bereits ein Schaden eingetreten ist oder sich eine erhebliche Gefährdung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. |
Sorgsame Prüfung auch bei Eilentscheidungen zum Sorgerecht
Auch der vorläufige Entzug der Personensorge stellt einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Eltern dar. Deshalb sind bei der Sorgerechtsentziehung im Eilverfahren hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung zu stellen.
- Soll das Sorgerecht vorläufig entzogen werden, sind die
- Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung umso höher,
- je geringer der möglicherweise eintretende Schaden des Kindes wiegt,
- in je größerer zeitlicher Ferne der zu erwartende Schadenseintritt liegt und
- je weniger wahrscheinlich dieser ist.
Dass der Vater die Kinder kaum kannte, war kein Grund zum Sorgerechtsentzug
- Das BVerfG hat den Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg im Ergebnis aufgehoben, weil eine Kindeswohlgefährdung in Bezug auf den Vater nicht ausreichend geprüft wurde
- und der vollständige Entzug der elterlichen Sorge in diesem Fall, in dem der Vater die Fremdunterbringung seiner Kinder akzeptierte, nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig war.
Nach Ansicht der Bundesverfassungsrichter begründet das Fehlen einer tragfähigen Beziehung des Vaters zu seinen Kindern allein keine Kindeswohlgefährdung, welche ein Sorgerechtsentzug rechtfertigt. Wenn das Oberlandesgericht befürchtete, er könne die Kinder der Mutter überlassen, ließ es außer Acht, dass er mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, dass er einen unbeaufsichtigten Umgang der Mutter mit den Kindern nicht befürworte und nicht anstrebe, die Kinder abrupt aus der Pflegefamilie zu nehmen und der Mutter unbeaufsichtigt zu überlassen.
(BVerfG, Beschluss v. 13.7.2017, 1 BvR 1202/17)
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Hintergrund:
Die Verfassungsrichter stellten bereits mit Beschluss v. 19.11.2014 (1 BvR 1178/14) klare Kriterien für die Entziehung der elterlichen Sorge auf. Diese setzt voraus, dass
- die Eltern bei ihrer Erziehungsaufgabe komplett versagen oder das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht,
- das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht hat, dass das Kind beim Verbleib bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen und seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre.
- Der körperliche oder seelische Schaden des Kindes muss bereits eingetreten sein oder aber eine erhebliche Schädigung mit hoher Sicherheit vorausgesehen werden.
- Die dazu erforderlichen Feststellungen muss das entscheidende Gericht zwingend selbst treffen und darf sich nicht kritiklos auf die Feststellungen eines Sachverständigen verlassen.
- Hat ein Sachverständiger die sachlichen Feststellungen getroffen, so hat das Gericht diese eigenständig einer rechtlichen und tatsächlichen Würdigung zu unterziehen, d.h. es muss die Feststellungen des Sachverständigen auf ihre Stichhaltigkeit und Plausibilität eingehend prüfen.
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