Lasset die Kindlein doch besser zuhause bleiben: Unerfüllbarer Ki

Da kündigt sich Unheil für die Gemeinden an. Für das Land Rheinland-Pfalz existiert bereits ein vielversprechendes Urteil, das im Fall eines nicht zur Verfügung gestellten Kindergartenplatzes der betroffenen Mutter uneingeschränkten Schadenersatz zuspricht.

In Rheinland-Pfalz – als erstem Bundesland – ist für alle Kinder der Besuch des Kindergartens ab dem zweiten Geburtstag beitragsfrei und es besteht bereits ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Zweijährige. In anderen Bundesländern steht letzteres zur Jahresmitte bevor.

Der Musterfall

Am 8.04.2009 hatte die Klägerin zu 1 ihre Tochter geboren. Bereits am 4.12.2009 hatte sie bei der beklagten Stadt in Rheinland-Pfalz die Zuteilung eines Krippen- bzw. eines Kindergartenplatzes beantragt.

Kein Anspruch unter dieser Nummer

Am 12.10.2010 brachte sie ihr Kind in einer privaten Kinderbetreuungseinrichtung unter, da sie von der Beklagten bis dahin keine Reaktion erhalten hatte. Mit Bescheid vom 12.7.2011 lehnte die Gemeinde den Antrag der Klägerin zu 1 auf Übernahme des Betrages für die Unterbringung in der privaten Krippe ab. Nach der Feststellung der Beklagten lag das Einkommen der Eltern über den maßgeblichen Einkommensgrenzen.

Mutter verklagt Gemeinde

Im September 2011 verklagte die Mutter die Gemeinde

  • auf Zuweisung eines Kindergartenplatzes

  • sowie auf Erstattung der Kosten für die Unterbringung des Kindes in einer privaten Einrichtung für den Zeitraum ab dem 08.04.2011 (Vollendung des zweiten Lebensjahres des Kindes).

Mit Einwilligung der Beklagten wurde das Kind als Klägerin zu 2 in das gerichtliche Verfahren mit einbezogen.

VG spricht Schadensersatzanspruch zu

Nachdem der Klägerin im Laufe des Verfahrens ein Kindergartenplatz zur Verfügung gestellt worden war, beschränke sie die Klage auf den Kostenerstattungsanspruch. Das zuständige VG sah den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Kosten insoweit als gegeben an, als nicht die Verpflegungskosten betroffen waren, die die Klägerinnen auch bei Zurverfügungstellung eines staatlichen Kitaplatzes hätten bezahlen müssen.

Richterrechtlich anerkannten Folgenbeseitigungsanspruch

Das VG stützte den Schadensersatzanspruch rechtlich auf den richterrechtlich anerkannten Folgenbeseitigungsanspruch. Da das rheinland-pfälzische KitaG jedem Kind ab Vollendung des zweiten Lebensjahres einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz gewähre, bedeute die unterlassene Zurverfügungstellung durch die Gemeinde die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes. Da der Klägerin zu 1 nichts anderes übrig geblieben sei, als in Eigeninitiative für einen solchen Kindergartenplatz zu sorgen, sei die Gemeinde zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten (mit Ausnahme der Verpflegungskosten) verpflichtet.

OVG bestätigt den Schadensersatzanspruch

Die OVG-Richter teilten allerdings nicht die rechtliche Begründung des VG. Hierbei stützen sie sich auf die Rechtsprechung des BVerwG, wonach der Folgenbeseitigungsanspruch grundsätzlich nur einen „Ausgleich in natura“ gewähre, während eine Restitution in Geld nur in besonderes gelagerten Fallkonstellationen zuerkannt würde (BVerwG, Urteil v. 19. 07.1984, 3 C 81.82).

Die Kostenbelastung der Mutter sei hier nur eine mittelbare Folge der Verletzung ihres subjektiv-öffentlichen Rechts. Erst durch den in Eigeninitiative organisierten privaten Kinderkrippenplatz sei es zu der erhöhten Kostenbelastung gekommen. Der Ersatz dieser mittelbar entstandenen Kosten werde von dem Folgenbeseitigungsanspruch nicht erfasst.

Schadensersatzanspruch aufgrund spezieller sozialrechtlicher Grundlage

Die OVG-Richter replizierten auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Jugendwohlfahrt- und Jugendhilferecht. Dort sei seit jeher anerkannt, dass eine Kostenübernahme vom Jugendhilfeträger verlangt werden könne, wenn eine Leistung zu Recht verlangt wurde und infolge fehlerhaften Verhaltens des Jugendhilfeträgers ohne dessen Vermittlung anderweitig in Anspruch genommen werden musste (BVerwG, Beschluss v. 25. 08. 1987, 5 B 50.87).

Verletzung des Primäranspruchs führt sekundär zur Kostenerstattungspflicht

Nach Auffassung des OVG war der originäre Anspruch der Klägerinnen auf die Zurverfügungstellung eines Kindergartenplatzes gerichtet. Nach Auffassung der Richter setzt sich „die Verletzung der Primärverantwortung sekundär in der Verantwortung für die Übernahme der Kosten fort, wenn die geschuldete Leistung anderweitig beschafft werden musste“ (BVerwG, Urteil v. 13.6.1991,5 C 27.88). Auch die weiteren Voraussetzungen für die Zuerkennung des Ersatzanspruches sind nach Auffassung der OVG - Richter erfüllt. Die Klägerinnen hatten rechtzeitig einen Antrag auf Zuweisung eines Kindergartenplatzes gestellt. Dieser Anspruch besteht nach § 5 Abs. 1 Kita G (Rheinland-Pfalz) ab Vollendung des zweiten Lebensjahres.

Hauptsacheklage nicht erforderlich

Nach Auffassung der OVG-Richter sind die Betroffenen nicht verpflichtet, zunächst den Primäranspruch auf Zurverfügungstellung eines Kindergartenplatzes im Verwaltungsrechtsweg durchzusetzen. Eine Abhilfe konnte hier nämlich nicht erwartet werden, da angemessene Kindergartenplätze überhaupt nicht zur Verfügung standen. Schließlich habe die Beschaffung eines Ersatzplatzes auch keinen zeitlichen Aufschub geduldet, da beide Eltern berufstätig waren. Schließlich sind nach Auffassung des OVG auch beide – Mutter und Kind – klagebefugt. Zuvörderst sei der Anspruch auf Zurverfügungstellung eines Kitaplatzes ein Anspruch des Kindes selbst. Gleichseitig sollten aber auch die Eltern begünstigt werden, indem ihnen ein Teil ihrer Betreuungspflichten abgenommen würde.

Revision zugelassen

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das OVG gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Revision zugelassen. Das OLG hat darauf hingewiesen, dass der Fall dem BVerwG Gelegenheit gebe, seine Rechtsprechung im Hinblick auf die Kostenübernahme bei der Selbstbeschaffung von Jugendhilfeleistungen fortzuentwickeln. Im Hinblick auf die bundesweite Einführung eines Anspruches auf Krippenplätze für ein- bis dreijährige Kinder ab dem 01.08.2013 ist die Entscheidung von außerordentlicher Bedeutung und dürfte wegweisend auch für die bundesrechtliche Regelung werden.

(OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24. 10. 2012, 7 A 10671/12. OVG). 


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