Lebensbedarf ausländischer Ehegatten häufig geringer

Der Lebensbedarf eines aus dem Ausland stammenden Ehegatten kann deutlich unter dem angemessenen Lebensbedarf eines deutschstämmigen Ehegatten liegen, darf jedoch nicht unter das in Deutschland geltende Existenzminimum sinken.

Zu diesem auf den ersten Blick befremdlich wirkenden Ergebnis ist der BGH in einer neuen Entscheidung gekommen. Die Parteien hatten im Mai 1990 die Ehe geschlossen, sie trennten sich im Sommer 2002 und wurden im Jahre 2005 geschieden. Kinder sind aus der Ehe nicht hervorgegangen. Die Beklagte stammt aus der Ukraine und war im Zusammenhang mit der Eheschließung im Jahre 1990 in die ehemalige DDR übergesiedelt, 1993 erwarb sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Rahmen der Scheidung wurde der Ehemann zu monatlichen Unterhaltszahlungen in Form von Aufstockungsunterhalt verpflichtet. Zugunsten des Ehemanns berücksichtigte das Gericht in seiner Unterhaltsberechnung fiktiv ein von der Ehefrau als Sekretärin erzielbares monatliches Einkommen in Höhe von 650 EUR. Später verlangte der Ehemann im Wege der Abänderungsklage neben einer Herabsetzung eine Befristung des Unterhaltsanspruchs bis zum 31.12.2007. Das OLG hatte in seiner Abänderungsentscheidung der Ehefrau wechselnde Unterhaltsbeträge zwischen ca. 830 und 1.460 EUR gewährt und die Unterhaltspflicht auf Ende 2008 befristet. Sowohl gegen die ihrer Auffassung nach zu geringe Unterhaltshöhe als auch gegen die Befristung wendete sich die geschiedene Ehefrau mit der Revision.

Kläger war mit Befristungsverlangen nicht ausgeschlossen

Der BGH-Senat stellte klar, dass das Verlangen auf Abänderung eines Unterhaltstitels nicht nur bei Änderung der tatsächlichen Verhältnisse sondern auch bei Änderung der rechtlichen Beurteilung zulässig ist. Die rechtliche Beurteilung wiederum setzt nicht eine Änderung der Gesetzeslage voraus, sondern kann auch auf eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestützt werden (BGH, Urteil v. 08.06.2011, XII ZR 17/09). Auf eine zwischenzeitlich eingetretene Änderung der Rechtslage habe der Kläger sein Abänderungsverlangen stützen können.

Änderung der Rechtsprechung bei der Unterhaltsbefristung

In früheren Urteilen hatte der BGH eine Befristung von Unterhaltsansprüchen bei längerer Ehedauer von deutlich mehr als zehn Jahren grundsätzlich abgelehnt (BGH, Urteil v. 28.3.1990, XII ZR 64/89). Von dieser Rechtsprechung ist der BGH in neuerer Zeit abgerückt und hat es als entscheidendes Merkmal für die Frage der Unterhaltsbefristung angesehen, ob für den Unterhaltsgläubiger mit Eingehung der Ehe erkennbare Erwerbsnachteile verbunden waren (BGH, Urteil v. 12.4.2006, XII ZR 24/03). Dies führt dazu, dass eine Befristung von Unterhaltsansprüchen insbesondere dann ausgeschlossen ist, wenn der Unterhaltsberechtigte bei Eingehung der Ehe oder wegen der Erziehung gemeinsamer Kinder auf die Möglichkeit eigenen beruflichen Fortkommens verzichtet hat und hierdurch auch nach der Scheidung an der Erzielung eines angemessenen eigenen Einkommens gehindert ist. Solche Umstände sahen die Richter vorliegend nicht, so dass eine Befristung des Unterhalts grundsätzlich nicht ausgeschlossen sei.

Maßstab für den Unterhaltsbedarf ist die Ukraine

Die Kriterien für die Erwägungen zum angemessenen Bedarf des Unterhaltsgläubigers finden sich in § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs bemisst sich nach Auffassung des Senats nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe zur Verfügung hätte. Im konkreten Fall hatte die Ehefrau in der Ukraine eine Ausbildung als Sekretärin absolviert. Ohne  die Eheschließung hätte sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dort in ihrem Beruf gearbeitet. Diese hypothetische Lebenssituation des Unterhaltsberechtigten sei für die Bestimmung des angemessenen Bedarfs entscheidend.  Auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Kaufkraft in der Ukraine und in Deutschland hätte die Ehefrau nach Auffassung des Senats kein Einkommen erzielen können, dass oberhalb des von der Vorinstanz berücksichtigten fiktiven Einkommens in Höhe von 650 EUR gelegen hätte. Mit ihrer Übersiedlung nach Deutschland hatte sie ebenso wie durch die Eingehung der Ehe nach Auffassung der Richter keinerlei berufliche Nachteile erlitten. Da sie über ausreichende Deutschkenntnisse verfügte, hätte sie ihren Beruf als Sekretärin in Deutschland ebenso gut wie in der Ukraine ausüben können. Außerdem sei es ihr unbenommen gewesen, nach der Scheidung der Ehe in ihr Heimatland zurückzukehren und dort als Sekretärin zu arbeiten.

Das deutsche Existenzminimum muss erreicht werden

Dass gemäß § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich Unterhalt zum angemessenen Lebensbedarf zu gewähren ist, bedeutet  nach Auffassung der Richter, dass das in Deutschland geltende Existenzminimum durch die Unterhaltshöhe erreicht werden muss. Dieses richte sich nach dem notwendigen Selbstbehalt eines nicht erwerbstätigen Unterhaltsschuldners. Dieser beläuft sich seit dem 01.01.2013 auf 800 EUR monatlich. Das Einkommen eines erwerbstätigen Unterhaltsschuldners sei deshalb nicht maßgeblich, weil dieses einen zusätzlichen Erwerbsanreiz einschließe, der auf Seiten des Unterhaltsgläubigers keine Berechtigung habe (BGH, Urteil v. 17.2.2010, XII ZR 140/08). Dieses Existenzminimum kann nach Auffassung des BGH auch ein im Hinblick auf die Eheschließung in Deutschland ansässig gewordener Ehegatte als Mindestbedarf verlangen und muss sich vom unterhaltspflichtigen Ehegatten insoweit nicht auf eine Rückkehr in sein Heimatland verweisen lassen. Dies folge aus der Verpflichtung zur nachehelichen Solidarität.

Revision zurückgewiesen

Nach Auffassung des BGH hatte die Vorinstanz diese Gesichtspunkte hinreichend berücksichtigt. Die Revision der Ehefrau blieb sowohl zur Unterhaltshöhe als auch hinsichtlich der Unterhaltsbefristung erfolglos.

(BGH, Urteil v. 16.1.2013, XII ZR 39/10)


Schlagworte zum Thema:  Unterhalt, Scheidung, Existenzminimum