Nichteheliche Kinder mit Verfassungsbeschwerde gegen Stichtags-Erbrecht gescheitert
Der Weg aus dem erbrechtlichen Abseits für nichteheliche Kinder ist ein langer und zermürbender Marsch. Noch immer sind nicht alle auf der Sonnenseite der Erbrechtsgarantie des GG angekommen. In zwei Fällen hatte das BVerfG über die Annahme von Verfassungsbeschwerden nichtehelicher Kinder zu entscheiden, die vor dem 1. Juli 1949 geboren waren.
- In einem Fall erkannte der biologische Vater im März 1944 die Vaterschaft an. Weitere Abkömmlinge waren nicht vorhanden. Der Vater verstarb am 23.10.2007. Der Beschwerdeführer beantragte einen Erbschein, den er zunächst auch erhielt. Später zog das Nachlassgericht den Erbschein wieder ein. Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb in allen Instanzen erfolglos.
- Im zweiten Fall machte der Beschwerdeführer Pflichtteilsansprüche gegen seine vom gemeinsamen Vater zur Alleinerbin berufene Halbschwester geltend. Der Vater war 2006 verstorben. Auch er scheiterte mit seinem Begehren im ordentlichen Instanzenzug.
Verfassungsbeschwerden nicht angenommen
Gemäß § 90 a Abs. 2 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz hat das Verfassungsgericht beide Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, da diese keine grundsätzliche Bedeutung hätten und keinerlei Fragen aufwerfen würden, die durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung noch nicht geklärt seien. Aufgrund der verfassungsrechtlich geklärten Rechtslage seien beide Verfassungsbeschwerden unbegründet.
Nichteheliche haben Recht auf Teilhabe am Nachlass
Ausgangspunkt der Überlegungen des Verfassungsgerichts war die durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Erbrechtsgarantie. (BVerfG, Urteil v. 19.04.2005, 1 BvR 1644/00 u. 188/03). Hierdurch sei auch die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der (nichtehelichen) Kinder am Nachlass als tragendes Strukturprinzip des geltenden Pflichtteilsrechts geschützt. Die Bewertung des Erbrechts nichtehelicher Kinder sei hierbei maßgeblich auf die Vorschrift des Art. 6 Abs. 5 GG zu stützen. Hiernach sind unehelichen Kindern durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie ehelichen Kindern.
Uneheliche Kinder dürfen grundsätzlich nicht schlechter behandelt werden als eheliche - lange Nachholbedarf im BGB
Nach Auffassung des BVerfG folgt aus Art. 6 Abs. 5 GG der allgemeine Rechtssatz, dass uneheliche Kinder grundsätzlich nicht schlechter behandelt werden dürfen als eheliche, soweit sich nicht aus ihrer besonderen Situation rechtfertigende Gründe für eine Ungleichbehandlung ergeben. Diese verfassungsrechtlich geforderte Gleichstellung der nichtehelichen Kinder war nach der ursprünglichen Fassung des BGB nicht annähernd gewährleistet. Ein Verwandtschaftsverhältnis zum Vater bestand laut ausdrücklichem Gesetzestext nicht.
EGMR kassierte die Stichtagsregel 01.07.1949: Menschenrechte verletzt
Zum 1.7.1970 hat der Gesetzgeber diese Rechtslage zu Gunsten der nichtehelichen Kinder geändert. Nach einer Übergangsregelung durch das NichtehelichenG galt die Gleichstellung jedoch nicht für vor dem 01.07.1949 geborene Kinder. Durch diese Ausnahme wollte der Gesetzgeber eine Rechtssicherheit für die bereits älteren nichtehelichen Väter und deren (möglicherweise) neuen Familien erreichen. Hierin sah der EGMR
- eine Verletzung von Art. 8 EMRK
- sowie von Art. 14 GG (EGMR, Urteil vom 28. Mai 2009, 3545/04).
Doppelter Stichtag als Lösung
Um die vom EGMR geforderte Gleichstellung zu erreichen, schränkte der deutsche Gesetzgeber im ErbrechtsgleichstellungsG den Ausnahmetatbestand dahingehend ein, dass die vor dem 01.07.1949 geborenen nicht ehelichen Kinder nur dann nicht erbberechtigt sind, wenn der Erbfall vor dem 29. Mai 2009 eingetreten ist. Für Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 - dem Tag nach Erlass des EGMR-Urteils – wird eine Differenzierung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern, gleich welchen Geburtsdatums, nicht mehr vorgenommen.
Damit würden nichteheliche Kinder, die vor dem 01.07.1949 geboren sind – so die Verfassungsrichter –, anhand eines zufälligen, von außen kommenden Ereignisses, nämlich dem Zeitpunkt des Erbfalls (vor oder nach dem 29.05.2009), schlechter gestellt als eheliche Kinder. Diese Regelung rechtfertigt sich nach Auffassung der Verfassungsrichter aus dem berechtigten Interesse der nichtehelichen Väter und deren Familien an der Schaffung eines rechtssicheren Zustandes für die Fälle, in denen der Erbfall vor Erlass des Urteils des EGMR entstanden ist.
Kein Anspruch auf rückwirkende Beseitigung einer verfassungswidrigen Gesetzeslage
Die verbleibende Ungleichbehandlung ist nach Auffassung der Verfassungsrichter hinzunehmen, da dem Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt werden muss, zur Schaffung der grundgesetzlich geforderten Gleichstellung Übergangsregelungen zu schaffen, um von der ursprünglichen grundrechtswidrigen Rechtssituation zu einer grundrechtsgemäßen Situation zu finden. In dieser Überleitungsregelung müsse der Gesetzgeber berücksichtigen, dass alte, bereits abgewickelte Erbfälle nicht ohne weiteres rückgängig gemacht werden könnten, insbesondere auch im Hinblick darauf, dass die bisherigen Erben aus Gründen der Rechtssicherheit nicht unvermittelt Ansprüchen bisher nicht berücksichtigter Erbberechtigter ausgesetzt werden dürften.
Zwar könnten Stichtagsregelungen zu erheblichen Härten führen, wenn hierdurch Personen gerade noch oder gerade nicht mehr in den Genuss einer Neuregelung kämen, oft bleibe dem Gesetzgeber aber keine andere Möglichkeit als die Differenzierung an einer Stichtagsregelung festzumachen. Wenn diese Stichtagsregelung durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei und nicht als willkürlich erscheine, sei sie zulässig. Den hiernach für den Gesetzgeber eröffneten Spielraum habe dieser durch das Erbrechtsgleichstellungsgesetz und die doppelte Stichtagsregelung nicht überschritten.
(BVerfG, Beschluss v. 18.03.2013, 1 BvR 2436/11 u. 3155/11).
Nun bleibt abzuwarten, was der EGMR zu diesem Doppelstichtag sagt.
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