Pflicht zur Totenfürsorge
Im niedersächsischen Oldenburg verweigerte die Tochter des verstorbenen Vaters die Übernahme der Bestattung ihres Vaters, obwohl die zuständige Behörde ihr gegenüber die Übernahme der Bestattung angeordnet hatte. Der Erblasser war zum Zeitpunkt seines Todes von seinen sämtlichen Ehefrauen geschieden, zu seinen Kindern unterhielt er keinen Kontakt, Unterhaltszahlungen hatte er nicht erbracht. 1970 kam die Tochter in ein Kinderheim, nachdem ihre Mutter sie ausgesetzt hatte. Das Sorgerecht wurde später auf die Schwester des Verstorbenen übertragen, ab dem 7. Lebensjahr lebte sie bei den Großeltern. Die zuständige Behörde nahm die Tochter auf Erstattung der Bestattungskosten in Höhe von 1.994 Euro in Anspruch, nachdem die Behörde die Beisetzung selbst vorgenommen hatte. Daraufhin griff die Tochter die Beisetzungsanordnung mit der Anfechtungsklage an.
Die Pflicht zur Totenfürsorge knüpft ausschließlich an Familienbande an
Das VG stellte zunächst fest, dass nach § 8 Abs. 3 NdsBestattG in erster Linie der Ehegatte bestattungspflichtig ist, in zweiter Linie die Kinder, dann Enkelkinder, Eltern usw.. Da sämtliche Ehen des Verstorbenen geschieden waren, waren hier die Kinder bestattungspflichtig. Für die Kostentragung haften diese nach Auffassung des VG als Gesamtschuldner, so dass die Behörde wegen der entstandenen Bestattungskosten nach ihrer Wahl jedes der Kinder auf die volle Summe in Anspruch nehmen konnte. Ausnahmetatbestände sieht der Gesetzeswortlaut nicht vor, so dass der Haftungstatbestand grundsätzlich gegeben war.
Vernachlässigung befreit nicht von der Bestattungspflicht
Darüber hinaus ist nach Auffassung des VG in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Vernachlässigung eines Kindes oder die Verletzung der Unterhaltspflicht das Kind nicht dazu berechtigen, die Übernahme der Bestattung zu verweigern. Dies gelte auch dann, wenn dem Verstorbenen das Sorgerecht im Rahmen eines Scheidungsverfahrens entzogen worden sei und dieser sich anschließend weder persönlich noch finanziell um das Kind gekümmert habe. In diesem Kontext sei es auch nicht Aufgabe der zuständigen Behörde, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob möglicherweise die familiären Beziehungen zwischen dem Verstorbenen und den in Frage kommenden Familienangehörigen zerrüttet seien oder nicht (OVG des Saarlandes, Urteil v. 27.12.2007, 1 A 40/07).
Teleologische Reduktion des Gesetzestextes
An diese grundsätzlichen Feststellungen schloss sich dann das große „Aber“ des Gerichts an. Der Gesetzestext muss nach Auffassung des VG nämlich unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgelegt werden. Sei dem Verstorbenen das Sorgerecht wegen schwerwiegenden Fehlverhaltens nach §§ 1666, 1666 a BGB entzogen worden, so sei von einer fundamentalen Zerrüttung des Eltern-Kind-Verhältnisses auszugehen. In diesen Fällen, in denen der Verstorbene durch schweres Fehlverhalten das Wohl des Kindes zu Lebzeiten gefährdet habe, sei dem Kind nicht zuzumuten, nach dessen Tod für die Bestattung aufkommen zu müssen (Niedersächsisches OVG, Beschluss v. 1.8.2008, 8 LB 55/07). Für diese Fälle müsse die Anordnung der Bestattungspflicht unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit und der Zumutbarkeit teleologisch reduziert werden.
Plausibiliät reicht aus
Nach Auffassung des Gerichts hatte die Klägerin im vorliegenden Prozess das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände plausibel dargelegt. Dass sie nicht in der Lage war, diese Vorgänge durch Vorlage entsprechender Urkunden zu beweisen, schade nicht. Aufgrund der Lebensgeschichte und der offenkundigen Umstände war das Gericht überzeugt, dass der Verstorbene seine Tochter auf schwerste Weise vernachlässigt hatte und das Sorgerecht ihm aus diesen Gründen entzogen worden war. Die Anordnung der Bestattung sei daher unrechtmäßig gewesen. Demgemäß habe die Klägerin auch keine Kosten zu tragen.
(VG Oldenburg, Urteil v. 5.9.2012, 5 A 1368/11)
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