Rechtsmissbrauch durch Steuerklassenwechsel zur Reduzierung des Elternbeitrags
Das BVerwG hatte folgenden Fall zu beurteilen: Infolge einer schweren seelischen Behinderung war der Sohn des Klägers stationär in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Für die Kosten sollte zum Teil der Vater des Kindes aufkommen, die Mutter verfügte nur über Einkommen in geringer Höhe.
Steuerklasse gewechselt, um Beteiligung an der Unterbringung des Kindes zu reduzieren
Das zuständige Jugendamt errechnete bei einem monatlichen Gesamtaufwand von 6.500 EUR einen monatlichen Beitrag des Vaters in Höhe von 635 EUR. Infolge eines anschließend vom Kläger gewählten Wechsels der Steuerklasse reduzierte sich dessen monatliches Nettoeinkommen. Er beantragte deshalb eine entsprechende Reduzierung seines monatlichen Kostenbeitrages. Da die Behörde eine Anpassung verweigerte, klagte der Vater vor dem Verwaltungsgericht.
Wechsel der Steuerklasse zwecks Reduzierung des Nettoeinkommens: Rechtsmissbrauch?
Der Kläger berief sich vor Gericht auf § 93 Abs. 2 Ziff. 1 SGB VIII. Nach dieser Vorschrift sind bei der Berechnung des Kostenbeitrags vom Verpflichteten gezahlte Steuern von dessen beitragsrechtlich relevantem Einkommen in Abzug zu bringen. Diese Argumentation überzeugte das VG nicht.
Nach dessen Auffassung hatte der Vater die Steuerklasse rechtsmissbräuchlich gewechselt. Hierdurch sei sein Nettoeinkommen trotz eines leichten Anstiegs des Bruttoeinkommens gesunken. Diese Einkommensreduzierung könne sozialrechtlich nicht berücksichtigt werden.
Steuerrechtlich o.k.
Ganz anders das zweitinstanzlich mit der Sache befasste OVG. Der Kläger habe steuerrechtlich beanstandungsfrei gehandelt. § 93 Abs. 2 Ziff. 1 SGB VIII sehe eine Berücksichtigung der abgeführten Steuern vor, ohne dass die Gründe für die Höhe der Steuerlast eine Rolle spielten. Das hierdurch erreichte Ergebnis sei nicht grob unbillig. Die OVG-Richter gaben dem Kläger in vollem Umfang Recht.
Der Wechsel der Steuerklasse ist frei
Nun musste das BVerwG ran. Dieses bestätigte zunächst die steuerliche Wahlfreiheit des Klägers, die ihm auch durch das Sozialrecht grundsätzlich nicht beschnitten werde.
Dennoch kann nach Auffassung der obersten Verwaltungsrichter ein Wechsel der Steuerklasse aus sozialrechtlicher Sicht rechtsmissbräuchlich sein, so dass die Reduzierung der Einkommenshöhe durch den Steuerklassenwechsel sozialrechtlich nicht berücksichtigt werde.
Rechtsmissbräuchlich sei der Wechsel der Steuerklasse dann, wenn er vorwiegend zum Zweck der Reduzierung des sozialrechtlich relevanten Einkommens erfolge und hierdurch die Höhe des jugendhilferechtlichen Beitrags gemindert werden solle.
Das OVG muss erneut prüfen
Nach Auffassung der Bundesverwaltungsrichter hatten die Vorinstanzen die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Rechtsmissbrauch noch nicht hinreichend geprüft. Der Kläger habe Argumente für den Wechsel der Steuerklasse vorgebracht, denen die Vordergerichte noch nicht ausreichend nachgegangen seien. Das OVG muss daher der Frage nachgehen, ob der Kläger schützenswerte Gründe für den Wechsel seiner Steuerklasse hatte.
(BVerwG, Urteil v. 11.10.2012, 5 C 22.11).
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