Sohn muss sich auch an Pflegeheim-Kosten beteiligen, wenn Vater ihn verstoßen hatte
Die Eltern des Antragsgegners trennten sich, als dieser 18 Jahre alt war. Der Sohn blieb bei seiner Mutter. Nach bestandenem Abitur im Jahr 1971 brach der Kontakt des Vaters zu dem Sohn komplett ab.
Enterbt und gemieden
In seinem 1998 errichteten Testament setzte der Vater seine Bekannte zur Alleinerbin ein und verfügte, dass der Sohn nur den „strengsten Pflichtteil“ erhalten sollte. Der Vater erwähnte im Testament, dass er seit rund 27 Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn habe. Seit April 2008 lebte der Vater in einem Heim und verstarb im Februar 2012.
Stadt verlangt Anteil der Heimkosten vom verstoßenen Sohn
Zu den Kosten der Heimunterbringung hatte die Freie Hansestadt Bremen nicht unerhebliche Beiträge geleistet und verlangte einen Teilbetrag in Höhe von etwas über 9.000 EUR von dem Sohn zurück. Nachdem dieser die Zahlung verweigerte, bemühte die Hansestadt die Gerichte.
Unterschiedliche Instanzentscheidungen
Die mit der Sache befassten Vorinstanzen beurteilenden Fall unterschiedlich. Während das AG dem Begehren der Stadt Bremen zunächst entsprochen hatte, wies das OLG den Antrag zurück mit der Begründung, der Vater habe den Anspruch auf Elternunterhalt verwirkt. Der Umstand, dass der Vater sich von seinem Sohn abgewendet und diesen nach dem Abitur in einer maßgeblichen Lebensphase der beruflichen Orientierung allein gelassen habe, stelle – auch wenn der Sohn zu diesem Zeitpunkt bereits volljährig gewesen sei – eine schwere Verletzung seiner erzieherischen Pflichten und damit eine schwere Verfehlung gegenüber dem Sohn dar.
Hinzu komme die testamentarische Verfügung, in der der Vater den Sohn wegen des über einen Zeitraum von 27 Jahren unterbrochenen Kontaktes praktisch enterbt habe. Diese Verhaltensweisen des Vaters ließen es in ihrer Gesamtheit nach Auffassung des Senats für den Sohn gemäß § 1611 Abs. 1 BGB (Verwirkung) unzumutbar erscheinen, nachträglich auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch genommen zu werden (OLG Oldenburg, Beschluss v. 25. 10.2012,14 UF 80/12). Allerdings hatte das OLG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.
Pflicht zum Beistand
Auch der BGH stellte klar, dass § 1618 a BGB eine Pflicht der Eltern zu Beistand und Rücksicht gegenüber den Kindern postuliere. Diese Pflicht habe der Vater durch Abwendung von dem Sohn nach dessen Abitur verletzt. Dies stelle eine erzieherische Verfehlung des Vaters gegenüber seinem Sohn dar.
Gebrauch der Testierfreiheit ist keine Verfehlung
Demgegenüber war der BGH der Auffassung, dass die testamentarische Verfügung des Vaters, in der er seinen Sohn auf den „strengsten Pflichtteil“ setzte, zur Beurteilung der Verwirkung nicht herangezogen werden könne. Insofern habe der Vater lediglich von seiner durch das Gesetz gewährten Testierfreiheit Gebrauch gemacht. Dies könne nicht negativ im Sinne eines Verwirkungstatbestandes bewertet werden
BGH ist nicht kleinlich: einfache Verfehlung ja, schwere Verfehlung nein
Im Ergebnis kam der BGH zu dem Schluss, dass die Abwendung des Vaters von seinem Sohn nach dessen 18. Lebensjahr nicht den Begriff der „schweren Verfehlung“ im Sinne des Verwirkungstatbestandes nach § 1611 Abs. 1 Satz eins BGB erfülle.
Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Vater seinen Erziehungspflichten bis zum Erreichen der Volljährigkeit des Sohnes nachgekommen sei. Die Abwendung deutlich nach der Volljährigkeitsgrenze wiege demgegenüber nicht so schwer, dass hiermit die Verwirkung des Unterhalts begründet werden könne. Der BGH gab daher der Rechtsbeschwerde der Stadt Bremen statt und stellte das amtsgerichtliche Urteil wieder her.
(BGH, Beschluss v. 12.02.2014, XII ZB 607/12).
Große praktische Bedeutung des Urteils
Die enorme Bedeutung des Urteils erschließt sich, wenn man die Belastungen der Kommunen durch Sozialleistungen im Bereich der Pflege in Rechnung stellt. Laut statistischem Bundesamt wird sich der Zahl der Pflegebedürftigen von zurzeit ca. 2,5 Million bis zum Jahr 2020 auf 3 Millionen erhöhen.
Die Belastung der Kommunen liegt derzeit pro Jahr bei knapp 4 Milliarden EUR. Die Kommunen werden daher immer häufiger mit allen Mitteln versuchen, in diesem Bereich erbrachte Leistungen von unterhaltsverpflichteten Kindern zurückzuerhalten.
Die Kinder sind, zumal wenn sie sich durch gleichzeitige Unterhaltspflicht gegenüber eigenen Kindern in einer Sandwichposition sehen oder, wenn sie von den Eltern nicht nur Gutes erfahren haben, oft nicht zur Zahlung bereit. Gerichtsentscheidungen mehren sich und werden noch zunehmen.
Höchstrichterlichen Entscheidungen lassen bisher nur die Tendenz erkennen, dass sehr individuell unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls entschieden wird.
So musste ein Elektriker das selbst genutzte Eigenheim nicht verkaufen, um die Pflege seiner Eltern zu finanzieren (BGH, Beschluss v. 07.08.2013, XII ZR 169/12). Auch dort hat der BGH allerdings deutlich gemacht, dass der Fall anders zu entscheiden gewesen wäre, wenn es sich nicht um ein selbst genutztes Eigenheim gehandelt hätte, das auch die Funktion der Altersvorsorge hatte. Exakte Grenzziehungen werden wohl erst nach einer ganzen Reihe weiterer höchstrichterlicher Entscheidungen auf diesem Gebiet möglich sein.
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