Umdeutung des Entwurfs eines gemeinschaftlichen Testaments
Der Erblasser war im Mai 2013 im Alter von 74 Jahren verstorben. Bereits im Jahr 2007 hatten er und seine Ehefrau die Absicht, ein gemeinschaftliches Ehegattentestament zu errichten. Der Erblasser erstellte selbst den Entwurf des gemeinschaftlichen Testaments und versah diesen mit seiner Unterschrift. Nach dem Entwurf war vorgesehen, dass der überlebende Ehegatte Vorerbe des zuerst versterbenden Ehegatten werden solle. Eines der vier aus der Ehe hervorgegangenen Kinder sollte zum Nacherben eingesetzt werden. Die vorgesehene Unterzeichnung des gemeinschaftlichen Testaments durch die Ehefrau unterblieb aus nicht bekannten Gründen.
Erbscheinsantrag der Witwe abgelehnt
Nach dem Tod des Ehemannes stellte die überlebende Ehefrau beim Nachlassgericht einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins auf Grundlage der gesetzlichen Erbfolge. Zum Erstaunen der Witwe lehnte das AG Lünen die Erteilung des Erbscheins ab mit dem Hinweis, es existiere ein wirksames Testament. Zwar habe das von den Eheleuten zunächst beabsichtigte gemeinschaftliche Testament keine Wirksamkeit erlangt, da es nicht von beiden Eheleuten unterschrieben worden sei. Da der Entwurf jedoch die Unterschrift des verstorbenen Ehemannes trage, sei das Papier als Einzeltestament auszulegen.
Das AG legt den Willen des Verstorbenen eigenwillig aus
Nach Auffassung des Nachlassgerichts war aus dem Entwurf der eindeutige Wille des verstorbenen Ehemannes zu entnehmen, das beiden Eheleuten gehörende Hausgrundstück als Familieneigentum zu erhalten. Dies gehe daraus hervor, dass der überlebende Ehegatte als Vorerbe eingesetzt werden sollte und nur eines der Kinder als Nacherbe eingesetzt war. Dieser letzte Wille des Verstorbenen sei zu respektieren.
Gemeinschaftliches Testament begründet gegenseitige Pflichten
Gegen den Beschluss des AG legte die Witwe Beschwerde ein und erhielt vom OLG Recht. Nach Auffassung des OLG hatte das AG den Entwurf eines gemeinschaftlichen Testaments zu Unrecht als Einzeltestament gewertet. Das AG habe die Unterschrift des Erblassers unter den Entwurf des gemeinschaftlichen Testaments überinterpretiert. Ein gemeinschaftliches Testament begründe grundsätzlich Rechte und Pflichten beider Ehegatten. An diese gegenseitigen Pflichten knüpften die in einem gemeinschaftlichen Testament bestimmten Verfügungen an. Damit habe ein gemeinschaftliches Testament grundsätzlich einen völlig anderen Rechtscharakter als ein Einzeltestament.
Umdeutung beruht auf Auslegungsfehler
Nach Auffassung des OLG waren keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Erblasser die Einsetzung zum Vor- und Nacherben unabhängig von dieser gegenseitigen Verpflichtung der Ehegatten aus einem gemeinschaftlichen Testament habe verfügen wollen. Gerade die Zielsetzung „Erhaltung des Familieneigentums“ sei davon abhängig gewesen, dass beide Eheleute das gemeinschaftliche Testament unterzeichnen. Der Wille des Erblassers, die in dem Entwurf angeordneten Rechtsfolgen auch ohne diese gemeinschaftliche Verpflichtung eintreten zu lassen, sei nirgends erkennbar. Die seitens des Nachlassgerichts vorgenommene Umdeutung in ein Einzeltestament sei daher rechtsfehlerhaft.
Der Erbschein muss erteilt werden
Das OLG hat daher den Beschluss des AG aufgehoben und das Verfahren zwecks Erteilung eines Erbscheins entsprechend dem Antrag der Witwe an das Amtsgericht zurückverwiesen. Der Beschluss ist rechtskräftig.
(OLG Hamm, Beschluss v. 21.02.2014, 15 W 46/14)
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