Unterhaltsverpflichtung aufgrund fiktiven Einkommens
Seit Mitte Oktober 2010 lebten die Eheleute getrennt, seit Januar 2012 sind sie rechtskräftig geschieden. Die beiden aus der Ehe hervorgegangen Kinder lebten seit der Trennung bei der Mutter. Der Vater verfügt weder über einen Schulabschluss, noch hatte einen Beruf erlernt. Seit Herbst 2008 war er bis Ende Oktober 2010 als selbständiger Futterlieferant tätig. Seit November 2010 arbeitete er bei seinem Bruder als Fahrer und lebt seit Ende 2011 in Paraguay.
Mit Schreiben vom 22.10.2010 wies die Ehefrau den getrennt lebenden Ehemann auf seine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den gemeinsamen Kindern hin und forderte ihn zur Zahlung des Mindestunterhalts auf. Unter Hinweis auf sein äußerst geringes monatliches Einkommen verweigerte der Vater die Zahlung von Kindesunterhalt.
Differenzierte Betrachtungsweise des OLG
Das zweitinstanzlich mit der Sache befasste OLG nahm im Hinblick auf die Unterhaltsverpflichtung des Antragsgegners verschiedene zeitliche Zäsuren vor. Für den Monat Oktober 2010 kam es nach Auffassung des OLG auf das tatsächlich seitens des Antragsgegners erzielte Monatseinkommen an. Die sich anschließenden Monate waren wegen Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit von einer beruflichen Neuorientierung geprägt.
Zeit für berufliche Neuorientierung
Nach Auffassung des OLG-Senats ist dem Unterhaltsverpflichteten eine gewisse Zeit der beruflichen Neuorientierung zuzubilligen. Angemessen sei ein Zeitraum von drei Monaten. In diesem Zeitraum sei der Antragsgegner auch nicht verpflichtet gewesen, eine Nebentätigkeit auszuüben, da er als Kraftfahrer 40 Stunden wöchentlich arbeitete. Infolge des geringen monatlichen Nettoeinkommens in Höhe von ca. 971 € stand als Verteilungsmasse für den Unterhalt für die beiden Kinder bei einem Selbstbehalt in Höhe von 900 € lediglich ein Betrag von monatlich 71 € zur Verfügung, der insgesamt für beide Kinder an Unterhalt zu zahlen war.
Der Unterhaltspflichtige muss seine Berufserfahrung nutzen
Andere Maßstäbe sind nach Auffassung des OLG allerdings für den Zeitraum ab März 2011 anzuwenden, denn ab diesem Zeitpunkt war die Orientierungsphase beendet. Zwar hatte der Antragsgegner keine Berufsausbildung absolviert, jedoch hatte er hinreichend Erfahrung als Berufskraftfahrer. Er hätte daher durchaus Möglichkeiten gehabt, sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund seiner Berufserfahrung als Kraftfahrer zu bewerben und hätte auf diese Weise ein deutlich höheres monatliches Einkommen als bei seinem Bruder erzielen können.
Gesteigerte Erwerbsobliegenheit
Nach Auffassung des OLG Senats traf den Antragsgegner seit diesem Zeitraum die unterhaltsrechtliche Obliegenheit, die ihm möglichen Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Berufserfahrung so gut wie möglich zu nutzen und die für ihn bestmögliche Erwerbstätigkeit auszuüben. Hierbei sei es dem Unterhaltspflichtigen unter Umständen auch zumutbar, einen Orts- oder Berufswechsel vorzunehmen, wenn er nur auf diese Weise seine Unterhaltspflicht erfüllen kann (BGH, Urteil v 15.12.1993, XII ZR 172/92). Komme der Unterhaltspflichtige dieser Erwerbsobliegenheit nicht nach, so müsse er sich so behandeln lassen, als ob er das theoretisch erzielbare Einkommen tatsächlich erzielt hätte.
Volle Darlegungs- und Beweispflicht
Der Senat stellte klar, dass gerade im Falle des Mindestunterhalts den Unterhaltspflichtigen die volle Darlegungs- und Beweislast für seine behauptete mangelnde Leistungsfähigkeit treffe. Hiernach müsse er dartun, dass er die ihm möglichen Bemühungen um eine besser dotierte Arbeitsstelle unternommen habe. Hierzu habe er anzugeben, wann und bei welchem Arbeitgeber er sich im einzelnen beworben habe. Die seitens des Antragsgegners insoweit vorgebrachte depressive Störung konnte er nicht in der Weise nachweisen, dass hierdurch seine Erwerbsfähigkeit spürbar eingeschränkt gewesen wäre.
Auswandern hilft nicht
Der Aufenthalt in Paraguay half dem Antragsgegner nicht. Nach Auffassung des OLG-Senats hatte er keine nachvollziehbaren Gründe vorgetragen, die den Aufenthalt in Paraguay erforderlich gemacht hätten. Zumindest dann, wenn eine nachvollziehbare Begründung für den Ortswechsel nicht ersichtlich sei, müssten Belange der privaten Lebensführung zurückstehen, wenn sonst der Mindestunterhalt gefährdet sei (OLG Saarbrücken, Beschluss v 17.11.2011, 6 UF 110/11).
Im Ergebnis musste der Antragsgegner sich daher das auf der Basis eines erzielbaren Stundenlohns von 11,30 € errechnete monatliche fiktive Einkommen eines Berufskraftfahrers von netto ca. 1.290,- € zurechnen lassen. Auf dieser Grundlage wurde er zur Zahlung des Mindestunterhalts an seine beiden Kinder verurteilt.
(OLG Hamm, Beschluss v 17.1.2013, II – 2 UF 53/12)
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